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Ein Henkermahl

Wer kehrt mit seinen Knappen ein
Im »Hirschen« zu Korneuburg?

Er pirschte hier auf guten Wein und war der Held des Tages. Die Nachricht, daß der Scharfrichter Willenbacher aus Wien beim »Hirschen« sein Abendmahl verzehre, verbreitete sich rasch in der kleinen Stadt und übte auf das Volk eine größere Anziehungskraft aus, als ob der Hirschenwirt eine musikalische Abendunterhaltung verbunden mit einem Tanzkränzchen angekündigt hätte. Man muß nämlich wissen, daß Herr Willenbacher in Korneuburg eine ungemein populäre Persönlichkeit ist. Die kurz angebundene Art, in welcher er gegen mehrere berüchtigte Raubmörder der Umgebung verfuhr, sicherte ihm in allen einer Hinrichtung mit Vorliebe nahestehenden Kreisen jene Anerkennung, deren das Kunstgewerbe zu seiner Förderung und Ausbildung so sehr bedarf. Dazu kommt, daß Herr Willenbacher betreffs der äußeren Repräsentation auf der Höhe der Zeit steht. Nichts an ihm erinnert am Vorabende eines hochnotpeinlichen Ereignisses daran, womit er die Morgenstunden des kommenden Tages ausfüllen wird. Ein behagliches Lächeln auf dem glattrasirten, bloß mit einem kleinen schwarzen Schnurrbarte gezierten Antlitz, betritt er nach gewissenhaft überwachter Festrammung des Galgens die Wirtsstube, um sich nun den Freuden der Geselligkeit hinzugeben.

Sein Platz war diesmal zwischen zwei Herren aus Wien, von welchen der eine sein opulentes Nachtessen sofort unterbrach, um dem frohen Gefühle des Wiedersehens Ausdruck zu geben. Er habe, so versicherte er, in den letztvergangenen Jahren wiederholt Gelegenheit gehabt, das geräuschlose Wirken des geschätzten Gastes zu verfolgen, und nehme keinen Anstand, dasselbe in Anbetracht der geringen technischen Behelfe als bewunderungswürdig zu bezeichnen. Während man auf allen anderen Gebieten die Handarbeit verworfen und zur Maschine gegriffen habe, sei auf dem Felde, dessen Meister ihm soeben gegenüber stehe, das Gegenteil der Fall. Das komplizierte Räderwerk, mittelst dessen eine sonst rohe Zeit die Personenbeförderung vorgenommen, habe der bloßen Menschenhand weichen müssen, welche das nämliche Ziel mit der Geschwindigkeit von wenigen Minuten erreiche und somit abermals beweise, was Menschenhände zu leisten vermögen. Der Redner sprach schließlich mit bewegter Stimme die Erwartung aus, daß der Unglückliche in der Gefängniszelle der Wohlthat, welche eine kundige und geübte Scharfrichterhand gewährt, am nächsten Morgen in hohem Maße teilhaftig werden möge. Herr Willenbacher dankte für die vortreffliche Meinung und speiste sodann, nicht ohne fortwährend seitens der zahlreich anwesenden Gäste mit Fragen belästigt zu werden. Er mußte hierbei die Überzeugung gewinnen, daß die Mehrzahl derselben sich über die Elementarbegriffe des Hängens vollkommen im Unklaren befinde. Namentlich erwies sich der bedauerliche Irrtum als vielverbreitet, daß dem Delinquenten das Genick gebrochen werde. Ein Anwesender sprach seine Meinung offen dahin aus, es müsse zum großen Teile dieser besonders schmerzhaften Behandlung zugeschrieben werden, daß sich in der Bevölkerung eine solche Abneigung gegen den Galgen fühlbar mache. Herr Willenbacher erteilte hinsichtlich dieses Punktes die beruhigendsten Aufklärungen. Die namhaften Verbesserungen, welche er bei dieser Todesart angebracht, hätten ihm die Überzeugung eingeflößt, daß, was behagliches Allgemeinbefinden anlange, nur ein laues Wannenbad dem Gehenktwerden annähernd an die Seite zu stellen sei. Die Aufmerksamkeit, welche seinen Bemerkungen geschenkt wurde, bewirkte, daß die Versammlung in kürzester Zeit von den alten Vorurteilen gereinigt und mit der Theorie der jetzt in Europa üblichen, auf den menschenfreundlichsten Grundsätzen beruhenden Hängemethode bestens vertraut war.

Befragt, ob nach seiner unzweifelhaft scharfen Beobachtung der Zustand des Delinquenten, sobald dieser den Strick um den Hals fühle, ein sonderlich lästiger sei, erwiderte Herr Willenbacher, es scheine ihm dies nicht der Fall zu sein. Er lasse allerdings keinem Zeit, über die Sache reiflich nachzudenken oder hierüber das Wort zu ergreifen, sondern unterdrücke das letztere, so sehr er sonst ein freies Wort zu schätzen wisse, durch einen kleinen Druck in der Mundgegend, weshalb er auch glaube, daß der Ausdruck »das Maul halten« seine Abstammung auf diese einfache Prozedur zurückleite. Er sei somit nicht in der Lage, die Aussage eines Privatbeteiligten in dieser Hinsicht beizubringen, allein trotzdem könne ihm nichts die Gewißheit rauben, daß das Hängen der sanfteste gewaltsame Tod sei.

Herr Willenbacher belohnte wiederholtes freundschaftliches Zutrinken mit der Schilderung einiger Hinrichtungen, in welcher er der Dahingeschiedenen in gemütvoller und vertraulicher Weise nur unter ihren Vornamen gedachte. Die rühmliche Haltung, welche dieser »Nazl« oder jener »Schorschl« nach Versicherung des Scharfrichters angesichts der eminenten Todesgefahr bewahrte, rief unter den Anwesenden beträchtliche Teilnahme und den Wunsch hervor, es möchte auch der »Pepi« am kommenden Morgen die gleiche Unerschrockenheit entwickeln. Der Scharfrichter fügte hinzu, er sei noch mit jedem seiner Delinquenten gut darausgekommen und wolle nicht hoffen, daß dieser eine Ausnahme machen werde. Nach diesen Worten bemächtigte sich eines jeden Zuhörers die frohe Überzeugung, daß kein aus Freundschaft oder Achtung bestehendes Band so fest geknüpft sei, wie das zwischen dem Scharfrichter und seinem Delinquenten.

Herr Willenbacher ward es endlich müde, immer nur von dem Geschäftsgange zu sprechen und lenkte die Konversation auf andere Gegenstände. Er zeigte sich sehr unterrichtet über schwebende Fragen und war eben mit seinem Nachbar in ein lebhaftes Gespräch vertieft, als plötzlich die Thüre aufgerissen wurde und ein Bauer mit den Worten hereintrat: »Den Henker möcht' i do' a mal seg'n, der was an Menschen umbringt wie an Künigelhasen.« Die Tischgesellschaft des Scharfrichters lachte und dieser stellte sich, sichtlich heiter berührt durch die ländliche Unschuld, dem Bauer vor, worauf derselbe, zufrieden den Gegenstand seiner Träume mit leiblichem Auge geschaut zu haben, wieder hinausstapfte.

Die Zeit floß bei fröhlicher Rede und blinkendem Glas nur zu rasch dahin. Mitternacht war längst vorüber, als der Scharfrichter und mit ihm die letzten Gäste aufbrachen. Er summte ein Lied vor sich hin und schaute ruhigen Blickes hinüber nach dem Gefängnisse. Wenige Stunden später wurde er geweckt; man erwartete ihn drüben ...

* * *


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