Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Gypsfüße
oder:
Der modellirte Leisten

Er »hatschte« stets. Wir bitten um Vergebung für diesen, dem Wiener Dialekte entnommenen Ausdruck; aber es giebt in der Schriftsprache keine Bezeichnung für jene unglückliche Gangart, welche unsere Muttersprache unter dem Ausdrucke »Hatschen« versteht. »Hatschen« ist nicht Hinken, es bedeutet auch nicht die Bewegung mit den so häufig genannten zwei linken Füßen; es läßt sich überhaupt nicht übersetzen und nicht erklären. Man sieht jemanden auf der Straße gehen; man beobachtet nur einen Augenblick, wie er die Füße setzt und alsogleich ist das Urtheil fertig: dieser ehrenwerthe Unbekannte »hatscht«. So mußte man auch von Herrn Moriz Biel sagen, und er selbst weiß dies recht gut. Seiner eigenen Versicherung zufolge hat er seit Jahren das Gefühl, als ob er auf fremden Füßen stehe, und nur der gewaltige Schmerz, welchen sie ihm bisweilen bereiten, überzeugt ihn von den Eigenthumsrechten, welche er auf die unseligen Füße besitzt. Er hat kein eigentliches Fußleiden, ist aber so empfindlich, daß ihm auch die allergrößten Stiefel unerträgliche Qualen verursachen. Wenn Herr Moriz Biel schlechte Träume hat, so betreffen sie gewöhnlich seine armen schmerzhaften Füße. Es träumt ihm, daß er im Tramwaywaggon auf die Zehen getreten werde, oder daß er mit neuen Lackstiefletten auf einen Ball gehen solle, oder daß ihm ein schwerer Gegenstand, wie eine Gaslaterne oder ein Fensterflügel, auf die Füße falle. Beim Erwachen findet sich der Träumer dann im Bette zusammengekrümmt und mit beiden Händen seine bedrohten Füße umklammernd. Wenn Herr Moriz Biel bei so bewandten Umständen »hatscht«, so ist dies wohl begreiflich, und blos herzlose Charaktere vermöchten ihm ihr Bedauern darüber zu versagen.

Vor einiger Zeit hatte es den Anschein, als ob einige Linderung dieser Leiden möglich wäre. Ein Freund Herrn Biel's, Bildhauer und Modelleur, machte sich anheischig, zwei Gypsabgüsse der Biel'schen Füße anzufertigen, nach deren Form Herr Biel sich später einen Schuhleisten bestellen könnte. Zu diesem Zwecke verfügte sich Herr Biel in das Atelier des Bildhauers, entledigte sich dort unter großem Elend der Stiefel und Strümpfe und stieg sodann mit beiden Füßen in die bereit gehaltene Gypsmasse.

– »Du, das is sehr angenehm,« sagte er zu seinem Freunde, »so ungefähr wie ein Fußbad.«

– »Ja, ja, aber bleib' nur nicht zu lange drinnen, sonst kommst nicht mehr los,« erwiderte der mit anderen Dingen beschäftigte Bildhauer.

»Wieso?« fragte ängstlich Herr Biel, dem plötzlich eine dunkle Vorstellung von äußerst haltbaren Gypsverbänden überkam; »wieso? ... Herrgott, es geht ja jetzt schon nicht ... hilf doch ... es pickt ja und reißt mich fürchterlich ... ich kann nicht heraus, ohne mir das Fell von den Füßen zu zieh'n ... das is eine Gemeinheit, verstehst!«

Leider war die Verzweiflung Herrn Biel's nicht so grundlos, denn es war vergessen worden, ihn aufmerksam zu machen, daß über jene Stellen der Haut, welche vom Gyps berührt werden sollen, zuvor das Rasirmesser gehen müsse, und so blieb nichts übrig, als den bedauernswerthen Mann durch die Scheere frei zu machen, indem man die festklebenden Gypsbestandtheile Stück für Stück herabschnitt, welches eine sehr langwierige und auch keineswegs vergnügliche Operation war. Allein Herr Biel bekam nun seine Fußmodelle und übergab dieselben unverzüglich einem Holzschnitzer mit dem Auftrage, darnach Leisten zu verfertigen. Dieser Künstler lieferte nach kurzer Zeit zwei mit erschreckender Naturtreue geschnitzte Ebenbilder der Biel'schen Füße ab, doch waren es keine Leisten, und der zu Rathe gezogene Schuster erklärte auch, nach diesen Kunstwerken keine Stiefel machen zu können.

Herr Biel hatte ein Recht, in dieser Angelegenheit bereits ärgerlich zu sein. Er wurde es nunmehr in noch höherem Maße und verweigerte dem Holzschnitzer die Bezahlung. Dieser erhob die Klage und auf diese Weise kamen wir in die Lage, die Biel'schen Gypsfüße und deren hölzerne Doppelgänger in Augenschein zu nehmen. Sie standen auf dem Tische des Bagatellrichters, so daß man im ersten Augenblicke ein anatomisches Cabinet zu betreten glaubte. Die nähere Beschreibung derselben wird uns wohl erlassen werden. Ueber Zureden des Richters ließ sich nach längeren Unterhandlungen Herr Biel im Ausgleichswege zu einer Zahlung von zehn Gulden herbei.

– »Was soll mit diesen Modellen geschehen?« fragte der Richter schließlich.

– »Ich brauche sie nicht,« antwortete Herr Biel übellaunig; »ich habe an den Originalen genug.«

– »Dann nehme ich sie mit,« versetzte der Kläger scherzend, »und stelle sie in meinem Atelier aus mit der Ueberschrift: »Die Füße Juno's.«

Herr Moriz Biel brummte etwas, das niemand verstand, und »hatschte« fort; dazu war er ja durch den Mißerfolg der Gypsfüße wieder verdammt.

* * *


 << zurück weiter >>