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Der böse Blick

– »Ich bedauere Sie, liebe Frau,« sagte Herr Bingel.

– »Bleiben's daham mit Ihnern Bedauern, Sö Pflanzmacher, Schwindler, Leutauszieher,« sagte Frau Schirmer und würde wahrscheinlich noch allerlei von dieser Art zu sagen gewußt haben, wenn nicht Herr Bingel im düstern Tone eines Richters aus der Unterwelt sie gewarnt hätte: »Frau Schirmer, Beleidigungen im Gerichtshause gegen Anstandspersonen werden mit schwerem Kerker bis zu mehreren Jahren, verschärft durch Polizeiaufsicht bestraft.« Herr Bingel knüpfte hierauf seinen etwas fadenscheinigen Rock um einen Knopf falsch zu und betrachtete mit einem leisen, meckernden Gelächter die Wirkung seiner Worte.

Frau Schirmer begnügte sich, gegen das ihr angedrohte hohe Strafausmaß mit der Bemerkung anzukämpfen, daß nach ihrer Ueberzeugung Herr Bingel nicht nur keine Anstandsperson sei, worüber sie nöthigenfalls auch das Zeugnis vieler anderen Personen beibringen könne, sondern daß derselbe lediglich in Folge einer unbegreiflichen Fahrlässigkeit der Behörden bisher noch nicht an den Galgen gekommen sei. Die hübsche Frau gerieth dabei wieder in beträchtlichen Eifer, wurde aber an einer Fortsetzung ihrer Aeußerungen über den Charakter Herrn Bingels durch eine Stimme unterbrochen, welche beide Parteien in das Zimmer des Bagatellrichters rief.

Wir haben uns seit langer Zeit daran gewöhnt, über Gerichtsverhandlungen dieses Schlages nur resumirend zu berichten, da die Ergießungen der darin auftretenden Personen, wörtlich wiedergegeben, Bände füllen würden. So beschränken wir uns auch diesmal darauf, in Kürze mitzutheilen, weshalb Frau Schirmer, bürgerliche Greislerswitwe, von dem Charakter Herrn Bingels eine so schlechte Meinung hat. Herr Bingel, ein etwa vierzigjähriger hagerer Mann mit ziemlich verkniffenen Gesichtszügen, war längere Zeit Zimmerherr bei Frau Schirmer und ist derselben für Kost und Quartier fünfzehn Gulden, sowie baare zehn Gulden schuldig geworden, zu deren Bezahlung er, wie die Klage besagt, »auf dem Pfade des Guten« nicht zu bewegen war. Herr Bingel hat keine eigentliche Beschäftigung, war aber vor zehn Jahren noch beflissen, Medizin zu studiren. Nach Angabe Frau Schirmers zieht Herr Bingel aus diesem, wenn auch unvollendet gebliebenen, Studium eine Rente so ungewöhnlicher und schändlicher Art, daß es sich verlohnt, darüber einiges zu sprechen.

Herr Bingel hat sich nämlich einen untrüglichen Scharfblick in der Diagnose von Lungenschwindsucht angeeignet. Er beurtheilt sicher auf Distanz, ob ein Mensch von der Phthisis befallen sei, und er weiß fast auf den Tag genau, wie lange ein solcher Unglücklicher noch zu leben habe. Diese unheimliche Begabung verwerthet Herr Bingel in der Weise, daß er nur Gast- und Kaffeehäuser besucht, wo der Zahlkellner unter dieser schrecklichen Krankheit leidet. Bis er näher mit dem Kellner bekannt ist, bezahlt Herr Bingel pünktlich wie jeder andere Gast. Dann aber, und wenn der arme Kellner nach seiner Berechnung nur etwa mehr sechs bis acht Wochen am Leben bleiben wird, fängt Herr Bingel an, die Zeche schuldig zu bleiben und weiß die Zahlung so lange hinauszuschieben, bis sein Gläubiger dem Leiden erliegt, womit natürlich Herrn Bingels Schuldbuch vernichtet ist. Herr Bingel pflegt dann den andern Gästen gegenüber den Spieß umzukehren und zu sagen, der Verstorbene sei eine Zierde seines Standes, ein ehrlicher braver Bursche gewesen, dem er selbst, wiewohl er sonst bei der Kreditgebung äußerst vorsichtig sei, einmal dreißig Gulden geborgt habe. Dieses Geld sei nun leider verloren, allein trotzdem werde er als Stammgast nicht ermangeln, dem honetten Menschen die letzte Ehre zu erweisen, denn es wäre nie seine Art gewesen, mit jemandem wegen weniger Gulden über das Grab hinaus zu hadern.

Frau Schirmer machte aus ihrer Anschauung kein Hehl, daß Herr Bingel mit dem bösen Blicke behaftet sein müsse. Ihr Zimmerherr sei eines Tages in einem an Verzweiflung grenzenden Zustande nach Hause gekommen und sie habe gehört, wie er sich mit Selbstvorwürfen überhäufte. »O, ich Esel, ich Kameel,« rief er ein über das andere Mal aus, »kann ich das je vor mir selbst verantworten? Wann wird so eine Gelegenheit wiederkehren?« Theilnahmsvoll von ihr um den Grund seiner Aufregung befragt, erzählte er, daß er sich von einem Bekannten vor Kurzem zehn Gulden ausgeborgt habe und daß derselbe, wie er eben erfahren, am Tage darauf einem Schlaganfalle erlegen sei. Herr Bingel machte sich nun die bittersten Vorwürfe darüber, daß er von jenem wackeren Manne nicht lieber fünfzig Gulden anstatt der zehn Gulden entliehen, und er schalt sich deshalb eine unpraktische, zu ideal angelegte Natur.

Schließlich gab Frau Schirmer noch eine kleine Geschichte zum Besten, welche von einem Halbdutzend Unterhosen ihres Seligen handelte. Herr Bingel habe dieselben eines Tages ohne ihr Vorwissen versetzt, den Versatzschein wieder versetzt und den Versatzschein über den Versatzschein endlich verkauft. »Dö war'n gründlich pfutsch, dö Hosen,« sagte Frau Schirmer und führte die Schürze zu den Augen; »'s war mir net weg'n Werth, sondern weil's schließlich und letztlich auch ein Andenken von mein' Seligen war'n. Wie oft hat er g'schimpft, wann a Bandel abg'rissen war ... ( die Klägerin bekommt ihre Fassung wieder, da Herr Bingel ein höhnisches Gemecker hören läßt) ... aber in mir soll si' der saubere Herr da g'irrt hab'n; i stirb' net, weil er si' zehn Gulden ausg'lieh'n hat von mir ... da schau'ns dö Prügel Arm an und auf der Brust san m'r a Gott sei Dank g'sund; i still' mei Klane selber ...«

– »Was haben Sie vorzubringen?« fragte der Richter, den Redefluß Frau Schirmer's unterbrechend, den Kläger.

»Richtig ist die Sache mit der Schuld,« meckerte Herr Bingel und blinzelte schlau auf seine Gegnerin hinüber; »aber ich kann die gute Frau nur bedauern. Kriegen thut sie keinen Heller von mir, da ich nichts habe, und wenn sie noch lange über mich schimpft, so werde ich Dinge erzählen, die ihr gar nicht angenehm sein können.«

– »Was denn, Sö ausdörrter G'schwuf?« Spottname für Liebster fuhr Frau Schirmer zornig auf.

– »Pst, keine solchen Redensarten,« ermahnte der Richter.

– »Ich will die gute Frau nicht öffentlich blamiren,« kicherte Herr Bingel schadenfreudig. »Es müßte die Verhandlung für geheim erklärt werden, wenn ich es sagen soll.«

Frau Schirmer schien nicht übel Lust zu haben, ihren perfiden Gegner mit den »Prügeln Armen« gehörig durchzuwalken. Sie kämpfte aber diese Aufwallung meisterhaft nieder, trat vor den Richter hin und sagte mit Schärfe und Nachdruck: »Euer Gnaden, müßt m'r net glaub'n, daß i mit dem aufg'rollten Haring da a Techtl-Mechtl Liebesverhältnis g'habt hab'? Gott bewahr a jed's Frauenzimmer davor! Wissen's, was 's war? 's is freili a Schand und a Dummheit g'west, aber nix Schlechtes. Weil er si' für ein Doctor ausgeb'n hat, so hab i halt bei mein letzt'n Kind, wissen's, es war eine schwere Geburt ... so hab' i halt zur Hebamm g'sagt: Wann schon ein Doctor dabei sein muß, so is ja auch mein Zimmerherr ein Doctor ... na und da hat's halt den, den Menschen da g'rufen. Dafür hab' ich ihn a ganzes Monat freig'halten. Alle Haar könnt i mir heunt ausreißen dessentweg'n.«

Der Richter warf dem mit seinen zweideutigen Anspielungen abgeblitzten Geklagten einen strafenden Blick zu. Er erkannte denselben sodann der Zahlung von fünfundzwanzig Gulden sammt Interessen für schuldig und gab zur sichtlichen Beunruhigung Herrn Bingels bekannt, daß die so gründliche Verpfändung der Hosen des »Seligen« den Gegenstand einer strafgerichtlichen Untersuchung bilden werde.

– »Euer Gnaden,« sagte Frau Schirmer vor dem Weggehen noch unter Thränen zu dem Richter, »Euer Gnaden, an dem Tod von mein' Seligen is niemand schuld wie der da; i lass' m'r's net nehmen.«

– »Warum glauben Sie das?«

– »Weil er si' von ihm in der letzten Zeit einmal zwa Gulden ausg'liehn hat. Von dem Moment an hat der Mann, der ehender so beinand war, zum kränkeln ang'fangt ... O, der Mensch hat ein bösen Blick beim Geldausleich'n; d'rauf möcht' i a Jurament ableg'n!«

* * *


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