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Trunkenbolde

I. Das Futtersack'l.

Herr Nechwatal trank zu viel. Er pflegte dies mit seinem großen Durste zu erklären, ohne aber jemals seiner Gattin Josefine das Weltwunder erklären zu können, wie er zu einem so dauerhaften Durste gekommen. Frau Nechwatal kränkte sich sehr über diese Eigenschaft ihres Mannes und da sie eine schlichte Frau war, so hielt sie dafür, daß der Suff im allgemeinen sehr verwerflich, ihrem Gatten aber vermöge der ungewöhnlichen Dimensionen seiner Räusche außerdem noch an seiner Gesundheit schädlich sei, welche Meinung ihr Mann allerdings lebhaft bestritt, indem er behauptete, ein Rausch sei der einzige menschenwürdige Zustand, da er noch niemals ein betrunkenes Tier gesehen habe und es unmöglich wider die Natur sein könne, wenn ein Mensch den Ehrgeiz besitze, sich von der unvernünftigen Tierwelt vorteilhaft zu unterscheiden.

Eines Tages brachten einige Freunde Herrn Nechwatal in einem Einspänner nach Hause, welcher darauf bestanden hatte, daß dem schwer betrunkenen Fahrgaste das »Futtersack'l« um den Kopf gebunden werde, denn er fürchtete für die Polster seines Wagens. Als die Freunde Herrn Nechwatal ausluden, schaute just dessen besorgte Gattin aus dem Fenster und schlug die Hände zusammen über diesen Anblick; denn Herr Nechwatal stak mit dem Kopfe noch im »Futtersack'l« drinnen und der Komfortabler nahm es ihm erst jetzt mit denselben Handgriffen ab, wie sonst seinem Gaule, indem er sagte: »No alsdann, hab' i's net glei g'wußt, a B'soffener derleidt's 's Fahren net, bei mir kriagt a jeder 's Futtersack'l«.

Während Herr Nechwatal diesen bedeutenden Rausch ausschlief, klagte seine Gattin zwei Nachbarinnen ihr Leid. Diese rieten ihr, sich an eine »Zauberin« namens Frau Lego zu wenden, welche wohl ein Mittel wissen werde gegen die Trunksucht. In der That braute Frau Lego ein Tränklein zusammen, von dem einige Tropfen genügen sollten, Herrn Nechwatal zu einem leuchtenden Vorbilde der Nüchternheit zu machen. Seine Frau brachte es ihm geschickt bei; allein an selbigem Tage beschwerte sich Herr Nechwatal wiederholt über ein eigentümliches Gefühl im Magen, als ob ihm unversehens eine Zucht Kaulquappen hineingeraten sei.

Am Abend machte er den Versuch, diesen lästigen Tieren mit ein wenig Alkohol beizukommen und brachte sie damit offenbar allesamt zu Tode, denn nach einigen Stunden schon hatte sich sein Wohlbefinden derart gesteigert, daß er seiner Hausmeisterin einen Gulden Sperrgeld gab und ihr außerdem die Hand küßte mit der Bitte, seiner Frau nichts davon zu sagen. In seiner Wohnung angekommen, wechselte aber plötzlich die Laune, wie dies bei starken Trinkern vorzukommen pflegt, und es überkam ihn das sogenannte besoffene Elend, mit welchem er schluchzend einschlief.

Frau Nechwatal war natürlich außer sich über die Wirkungslosigkeit des Zaubertrankes, für welchen sie fünf Gulden hingegeben hatte, und sie eilte am nächsten Lage zu der Zauberin hin, allein diese war verschwunden. Nach vielen Monaten erst, in deren Verlauf Herr Nechwatal eine noch vermehrte Anhänglichkeit an Spirituosen bethätigt hatte, traf seine Gattin die Zauberin Lego zufällig auf der Straße und ließ sie sofort arretieren. Bald stand dieselbe, eine ganz »riegelsame« Kleinhäuslerswitwe, welche noch gar nicht in das richtige Hexenalter vorgerückt ist, des Betruges angeklagt vor dem Richter des dritten Bezirkes. Frau Nechwatal war als Zeugin und Beschädigte anwesend.

»Wie konnten Sie an solche Geschichten glauben?« fragte sie der Richter.

»Der Totenkopf, Herr kaiserlicher Rat, der Totenkopf! Wenn i den net g'seg'n hätt'!« brachte die Zeugin einigermaßen schauernd hervor.

»Was für ein Totenkopf?«

»Na, denken's Ihnen nur, sie hat g'sagt, i soll ihr a paar Eier geb'n; die hat's in ein Tuch eing'wickelt und mir befohl'n, daß i d'raufsteig'. I hab's 'than und wie sie 's Tüchel wieder aufmacht, war a Totenkopf d'rin. So a Wunder! D'rauf hab' i drei Vaterunser bet'n müss'n und nachher hat's g'sagt, mein Mann wird in vierzehn Täg ganz g'sund sein. Und stell'ns Ihnen nur vor: 's Geld im Kasten hat's mir auch vermehren woll'n durch a Stück'l Pech in Leinwand; 's is aber net mehr word'n, eh'nder weniger, weg'n die fünf Gulden, die i der »Zauberin« geb'n hab' müssen. Meine Nachbarinnen hab'n mir g'sagt, wo die Frau Lego ein dummes Weib g'fund'n hat irgendwo, hat sie's glei' beredt (besprochen). So is sie halt auch zu mir kommen.«

Als sich die Heiterkeit, welche ob dieser letzten Bemerkung entstanden war, gelegt hatte, kam Frau Lego zum Worte und beteuerte, daß sie in Wien vollständig fremd sei, Frau Nechwatal gar nicht kenne und niemals den geringsten Zauber ausgeübt habe. Es müsse eine Personenverwechslung vorliegen, und dies um so wahrscheinlicher, als man der Klägerin wohl eine solche Geistesschwäche zumuten dürfe. Infolge dieser Verantwortung mußte der Richter die Verhandlung zur Vernehmung der mehrerwähnten Nachbarinnen als Identitätszeuginnen vertagen. Frau Nechwatal machte zu diesem Beschlüsse des Richters ein Gesicht, als ob sie nun nicht im mindesten mehr zweifle, daß die Angeklagte Lego sich durch übernatürliche Kräfte aus jeder mißlichen Sache herauszaubern könne.

*

II. Der Wandschrank.

Herr Florian Weinwurm hatte etwas Wein zu sich genommen. Wie viel, wollen wir ihm nicht nachrechnen. Es liegt uns auch ferne zu behaupten, daß auf Herrn Florian Weinwurms gehobene Stimmung der Wein einen nennenswerten Einfluß geübt hätte. Er war eben vergnügt, wie so viele ältliche Junggesellen, wenn sie am Samstag Nachts aus der Kneipe gehen und daran denken, daß sie am nächsten Tage ungestört bis Mittag zu Bette bleiben können. Herr Weinwurm ging durch stille, notdürftig erhellte Straßen der innern Stadt und freute sich des Widerhalles seiner Schritte. Er erinnerte sich dabei seiner Knabenzeit, als er sich so oft unter ein Felsenthor nächst seinem Heimatsstädtchen gestellt und zur Kräftigung seines Abscheues vor jeglicher Knechtung des Geistes das Echo herausgefordert hatte mit dein Rufe: Der Schuldirektor ist ein Esel! Es war derselbe scharfe, schlagartige Nachklang seiner Stimme, als er jetzt plötzlich, ohne recht zu wissen warum, den Heine-Schubertschen Doppelgänger zu singen anhub. »Still ist die Nacht, es ruhen die Gassen ...« Horch! Hatte da nicht jemand mitgesungen? Nichts regte sich; er vernahm nur ein dumpfes Brausen im Ohr, das allsogleich verstummte, als er sich wieder in Bewegung setzte. Jetzt um die Ecke, wo bei Tage der komische glattrasierte Dienstmann steht, der immer so höflich grüßt, weil er zweimal im Jahre mit Aufträgen beehrt wird – vorbei an dem Kaffeehause, aus dessen matterleuchteten Fenstern eine Welt von Schläfrigkeit blinzelt – unter die ganznächtige Laterne, deren Flackern immer wie ein vertraulicher Nachtgruß anzuschauen ist – zweimal geläutet: einmal sachte und einmal rasch, weil der Hausmeister daran die Hand erkennt – eine rauhe verschlafene Stimme: Guten Abend, dank' schön, Herr von Weinwurm – und Herr Weinwurm ist zu Hause, in dem separierten Zimmer, welches die Witwe Gröblein seit Jahren an ihn vermietet hat.

Stunden vergehen, ungemessen von dem Schläfer, der unruhigen Geistes lange Zeiträume im Traume durchlebt. Er schreit laut auf, erwacht über den eigenen Schrei und weiß weder, wo er sich im Augenblicke befindet, noch was mit ihm selbst vorgeht. Vergebens tappt seine Hand nach Streichhölzern; er kann sich schlechterdings nicht besinnen, ob er überhaupt je welche besessen, oder wo er sie sonst hinzulegen pflegte. Steht das Bett mit dem Kopfende gegen das Fenster oder umgekehrt – er weiß es nicht. Es ist tiefe undurchdringliche Nacht um ihn her, und doch sieht er leuchtende Sternchen selbst dann, wenn er die Augen schließt ... Herr Weinwurm nimmt alle Seelenkraft zusammen, um sich zu ermuntern. »Es muß doch wohl schon Tag sein,« ist der erste seiner langsam und scheinbar aus großer Ferne wiederkehrenden Gedanken. »Ich will einmal zum Fenster gehen und hinausschau'n.«

Herr Weinwurm verläßt das Bett unsicheren Schrittes und tappt durch das Zimmer. Wir bitten ihn, ehe wir die nächsten Zeilen schreiben, unser tiefgefühltes Bedauern darüber entgegenzunehmen, daß in einer Großstadt wie Wien an achtbare Persönlichkeiten Zimmer vermietet werden, in welchen sich Wandschränke befinden. Wir machen die kompetenten Behörden hiermit nachdrücklichst aufmerksam auf derartige bedenkliche Logements und speziell auf den Wandschrank in Herrn Weinwurms gewesenem Schlafzimmer. Dieser in hohem Grade gewissenlose und heuchlerische Wandschrank stellte sich nämlich vermöge seiner, in einiger Höhe über dem Fußboden befindlichen Glasthüre und unter dem Schutze der Dunkelheit Herrn Weinwurm gegenüber als das Fenster dar, so zwar, daß Herr Weinwurm in dem ehrlichsten Glauben, das Fenster erreicht zu haben, die Stirne an seine Scheiben preßte und lange Zeit gedankenvoll in das Innere des Wandschrankes starrte.

»Merkwürdig – es ist noch stockfinstere Nacht draußen,« sagte er endlich und tappte sich zurück in das Bett, wo er in einen höchst aufgeregten Halbschlummer verfiel, in welchem er seine Seele als eine zuckende kleine Flamme sah, die von dicker schwarzer Finsternis umrungen und langsam erstickt werde. Fiebernd am ganzen Körper sprang er wieder auf. Dasselbe Dunkel wie vorhin. Wir kommen in die schmerzliche Lage, unser obiges Bedauern wiederholen zu müssen; denn Herr Weinwurm geriet in dem Bestreben, das Fenster zu erreichen, abermals vor den lauernden Wandschrank und starrte wieder hinein mit unendlicher Verwunderung, daß der Tag noch immer nicht angebrochen. Jetzt öffnete er aber die innern Flügel, um sich zu vergewissern, daß nicht etwa die Rouleaux herabgelassen seien. Im Begriffe, den Kopf vorzustrecken, schlug er diesen mit solcher Heftigkeit an einen harten Gegenstand, daß ein Feuerstrahl vor seinen Augen aufblitzte. In demselben Momente bemächtigte sich seiner die unglückselige Vorstellung, er befinde sich in einem branderfüllten Raume und müsse, um sein Leben zu retten, durch das Fenster auf die Straße hinabspringen. Er heulte laut auf vor Todesangst, zerschlug die Scheiben des Wandschrankes, stieß in seiner wahnwitzigen Verblendung mit den Händen auf allerlei unbekannte Gegenstände, die er zu Boden warf, daß sie in tausend Stücke zerschellten, und er kratzte sich die Nägel blutig in dem Bemühen, die steinerne Hinterwand des Schrankes zu entfernen, da er denselben noch immer für das Fenster hielt. Schließlich schwang er sich mit einem verzweifelten Satze in das Innere des Schrankes, krümmte sich zusammen und erwartete den Tod.

Da brach mit einemmal ein breiter Streifen Tageslicht in die Unglücksstätte. Die Thür hatte sich geöffnet und Frau Gröblein stand in derselben händeringend ob des Anblicks, der sich ihr darbot.

»Jessus Maria, Herr v. Weinwurm, was sitzen's denn da d'rin, wie der Karpf' im Vogelhaus?«

»Gott steh' mir bei, sehn's denn nicht, daß ich bald verbrennt wär'?«

»Alle guten Geister, Herr v. Weinwurm, nehmen's mir's nit übel, aber wann's wo brennt hat, so kann das nur in Ihnern Pofesenkammerl g'wesen sein ... Na, so ein' Schwammer hat die Welt no net g'seh'n ... macht si' selber die Fensterläden bumfest zu und glaubt nachher um elfe z'Mittag, 's is stockfinstere Nacht und 's brennt und der Schrank is a Fenster, und weiß Gott was ... Wissen's, was das alte Wiener Porz'llan kost', was Sie mir da in Ihnern Schweig'l z'sammg'haut hab'n? I hätt's net um hundert Gulden hergeb'n.«

Die gute Frau machte sich schluchzend daran, die Scherben aufzulesen. Herr Weinwurm stieg von dem Wandschrank herab, stellte sich in den von der Thür ausgehenden Lichtkegel und war in Hemd und Unterhose sehr geisterhaft anzusehen.

»Frau Gröblein,« sagte er mit dumpfer Stimme, »Frau Gröblein', ich trau' meinen Ohren nicht. Sie haben von einem »Schwammer« und einem »Schweigel« gesprochen. Sollten Sie diese Ausdrücke wirklich in Beziehung zu meiner Person gebraucht haben?«

»Na, was denn, schenirn wir' i mi no? A Mensch, der mir mein Porz'llan z'haut und der in Schrank d'rinknotzt und Feuer schreit, is entweder a Narrnthurm oder a B'suff, ob er hiazt der Herr v. Weinwurm oder der Fürst Pamsti, oder was und er will is. Verstengen's!«

Herr Weinwurm hielt es mit seiner Würde nicht für vereinbar, auf diese Ausfälle zu erwidern. Er kündigte sofort die Wohnung, räumte dieselbe schon am nächsten Tage und hinterließ seiner Wirtin als Entschädigung für das zerbrochene Porzellan fünfzig Gulden. Damit jedoch nicht zufrieden, klagte Frau Gröblein auf weitere fünfzig Gulden bei dem Bagatellgerichte. Die Klägerin gab sich über Zureden des Richters schließlich mit fünfundzwanzig Gulden zufrieden, konnte es aber nicht unterlassen, ihrem ehemaligen Zimmerherrn noch eins anzuhängen, ehe sie aus dem Gerichtssaale ging.

»Mein lieber Herr v. Weinwurm,« sagte sie, »Ihner neuche Zimmerfrau beneid' i net. Da wird's heunt, in der Sylvesternacht, eh' kein Brand absetzen, ui jegerl! Vielleicht ruckt im neuchen Jahr glei' d'Feuerwehr aus und find' Ihnen im Gläserkasten d'rin oder sonst wo. Seg'n's, Herr v. Weinwurm, Sie sein sonst a recht a neutraler Herr; aber wann Sie Ihner jedesmal, so oft Sie in ein solchen Zustand z'Haus kommen, einbilden, daß Sie ein Opfer vom Ringtheater sein, nachher werd'n Sie im neuchen Jahr no' oft auszieh'n müssen. Biberl'n's halt weniger, d'Nerven leiden's net!«

Herr Weinwurm beglückwünschte sich, von dieser keifenden alten Dame losgekommen zu sein. Es fiel ihm ein, daß er sie an jenem denkwürdigen Morgen von seinem Sitze im Wandschranke aus einige Sekunden lang doppelt gesehen hatte. Zwei Frau Gröblein! Der Gedanke an eine Wiederholung solchen Silvesterspuks durchschauerte ihn.

*

III. Die Welt als Unwille.

Immer das alte Vorurteil! Wenn die Leute Einen des Nachts durch die Straßen schwanken sehn, und wenn sie hören, daß er Selbstgespräche führt, dann sagen sie, er sei betrunken. Das mag bei Individuen gewöhnlicher Art zutreffen, aber es giebt auserwählte Naturen, an welchen sich die menschliche Gesellschaft durch eine solche niedrige Meinung geradezu versündigt. Wie sonst dürfte Lenau sagen:

Den Dichter sieht man aus der Nacht
Der Eichen selig schwanken;
Er taumelt heim mit seiner Tracht
Unsterblicher Gedanken.

So ungefähr verhielt sich's auch mit Herrn August Fichtner in einer schönen Augustnacht. Ja, es ist wahr, daß er schwankte; ja, er taumelte sogar von Zeit zu Zeit wie ein Kreisel, ehe er zur Erde kollert; ja, er führte Selbstgespräche: aber wir haben alle Ursache zu glauben, daß Herr Fichtner hierbei nicht der gemeinen Wirkung des Weines unterlag, sondern daß eine Sturmflut von gewaltigen Gedanken seinen Körper so hin- und herwarf. Herr Fichtner pflegt nämlich zu gewissen Zeiten, namentlich des Nachts auf der Heimkehr aus dem Kreise gedankenloser Zecher, von ebenso erhabenen als undeutlichen Vorstellungen über den Zweck des Daseins und den Bau der Welt befallen zu werden. Ohne sonst eitel zu sein, hält er sich in solchen Augenblicken für den Mittelpunkt der Schöpfung und empfindet alles, was außer ihm noch vorhanden ist, bloß in der Form eines heftigen Unwillens.

Der Umstand, daß die Straßen menschenleer sind, flößt ihm die Überzeugung ein, daß die menschliche Gesellschaft im Vollgefühle ihrer Unwürdigkeit sich zurückgezogen habe und es nicht mehr wage, von ihm Konzessionen zu verlangen. Er erinnert sich nicht mehr deutlich, welcher Art die Konzessionen sein sollten, die man von ihm einst begehrte, aber er ist fest entschlossen, jede Annäherung der menschlichen Gesellschaft nötigenfalls mit Gewalt zurückzuweisen.

In jener Augustnacht nun schien Herr Fichtner trotz der Ausgestorbenheit der Straßen befürchtet zu haben, daß irgend ein zudringliches Mitglied der von ihm so verachteten menschlichen Gesellschaft auf ihn mit der Bitte zutreten werde: Schätzbarster Herr Fichtner, machen Sie uns doch Konzessionen, wir ertragen das Leben ohne solche nicht länger! Um jedermann vor diesem waghalsigen Unternehmen zu warnen, rief Herr Fichtner auf dem ganzen Heimwege mit lauter Stimme aus: »Eine Watsche! Eine deutsche Watsche!« und es erfüllte ihn, soweit der tiefe Unwille in der Seele dieses Weltweisen es zuließ, die Genugthuung, daß niemand so frech war, ein Thor zu öffnen und sich den Fährlichkeiten einer deutschen Watsche auszusetzen.

Schon war Herr Fichtner bei seiner Wohnung in Penzing angelangt und stieß zum letztenmale den herausfordernden Ruf von der deutschen Watsche aus, als ein Wachinspektor herbeikam und ihm Stillschweigen gebot. Herr Fichtner, höchlich erstaunt über die Unerschrockenheit dieses Mannes, entschloß sich alsbald, an demselben ein Exempel zu statuieren. Er gedachte ihm nicht allein die deutsche Watsche zu verabreichen, sondern es gelüstete ihn auch, in der Person dieses Gegners die ganze menschliche Gesellschaft durchzuwalken.

Zu diesem Ende zerrte er das Wachorgan in sein Spänglergeschäft und schloß alsogleich die Thüre, um den bedeutungsvollen Kampf im Finstern auszukämpfen. Dem Inspektor gelang es jedoch rechtzeitig, die Thüre wieder halb aufzustoßen und, ehe ihn Herr Fichtner noch erwischen konnte, um Hilfe zu rufen. Dieser Schrei lockte zunächst aus einem Hintergemache zwei Weiber herbei, die sich im Glauben, Herr Fichtner bedürfe ihrer Hilfe, sofort auf den Inspektor stürzten. Herr Fichtner seinerseits schleppte einen schweren Hammer herbei und machte sich eben daran, denselben gegen den unglücklichen Inspektor in Bewegung zu setzen, als zwei Wachleute zu dessen Entsatz erschienen. Es entspann sich ein kurzes Handgemenge, bei welchem ohne sonderliche Folgen herumgepufft wurde, bis endlich die Wache im Siege blieb und Herrn Fichtner persönlich als Beute mit sich nahm.

Der Vorfall kostete Herrn Fichtner baare vier Wochen Kerkers. Wir fürchten sehr, daß die Weltanschauung dieses tiefen Denkers hierdurch nur noch pessimistischer geworden ist.

*

IV. Das Doppelgesicht.

Ein Gartenzaun. Das erblassende Strauchwerk duckt sich wie fröstelnd vor dem feuchtkalten Windeshauche. Die durchbrochenen Latten und rostigen Eisendrähte, von welchen die wilde Rebe schon hinabgewelkt ist, gestatten einen Blick in den Garten. Drinnen jagen sich die abgefallenen Blätter wie toll zwischen den Stämmen der Bäume, von welchen einzelne noch mit den traurigen Überresten von Speisekarten und Konzerteinladungen beklebt sind. Zu langen Reihen stehen die nackten Tische in schiefe Ebene gestellt – ein grämlicher Anblick! – und die weiß angestrichenen Sessel sind haufenweise von Ketten umschlossen, als fürchtete ihr Eigentümer, daß die bleichen Gesellen, empört über die verletzende Art, in welcher die Menschen sich mit ihnen in Verbindung zu setzen pflegen, allesamt zum Teufel gehen könnten. Ein trübes Grau über den schwankenden Wipfeln der Gartenbäume; eine kotige, einsame Straße neben dem Zaun; aus der verwaschenen Häuserferne vom Winde hergetragene wehmutsvolle Werkeltöne: so fand Herr Wilhelm Bierhandl den Heurigenschank wieder, den er zur lauen Frühlingszeit auf so eigentümliche Weise verlassen. Er kannte die Leute nicht, die damals an einem Nebentische saßen, aber sie schmeichelten sich in sein treues deutsches Herz durch die gewissenhafte Erfüllung jener von den alten Deutschen übernommenen Stammespflicht ein, welche in dem herrlichen Studentenliede ausgedrückt ist:

»Es wohnten die alten Deutschen
An beiden Ufern des Rheins,
Sie lagen auf Bärenhäuten
Und tranken immer noch eins

Es muß leider zugegeben werden, daß Herr Bierhandl in seinem Enthusiasmus zwei Fehler beging. Erstlich vermeinte er aus ganz unerforschlicher Ursache, daß er die alten Deutschen drüben, die immer noch eins tranken, durch den Zuruf »Bravo, alter Schwede!« erfreuen und noch mehr anspornen werde, und zweitens wendete er sich mit dem Lobspruche »Bravo, alter Schwede!« verblendeterweise an eine Dame, welche durch dieses nordische Kompliment einigermaßen verletzt zu werden schien. Herr Bierhandl wurde alsogleich von der Mehrzahl der alten Deutschen eindringlich darüber befragt, ob er seinen Gebeinen für den Fall einer Verstreuung eine fortlaufende Ordnungsnummer gegeben habe. Vermutlich bejahte er dies, denn die alten Deutschen zeigten nun weiter kein Bedenken hinsichtlich eines Versuches, Herrn Bierhandls Knochen ihres natürlichen Zusammenhanges zu berauben. Es gelang ihnen dies, trotzdem sie »immer noch eins« schlugen, nicht vollständig, denn die bessere Hälfte Herrn Bierhandls wurde schließlich von mitleidigen Personen hinweggetragen, während nur seine schlechtere Hälfte, nämlich ein hochbetagter Überzieher, ein Stiefel und die bis zur Unkenntlichkeit entstellten Reste eines Filzhutes auf dem Platze blieben.

Es war Herrn Bierhandls erster Ausgang, nach mehrmonatlichem schweren Leiden, als sein Fuß diesen Unglücksort wieder betrat. Er hatte seinem Chef brieflich zugeschworen, fürderhin dem Genüsse geistiger Getränke vollständig zu entsagen. »Und sollte ich – so beteuerte er – in dieser an sich höchst schwierigen Ausgabe wankend werden, so wird sich die Erinnerung an die ausgestandene Lebensgefahr zwischen Lipp' und Kelchesrand legen.«

Es fehlt uns an Raum, den heißen Kampf zu schildern, den Herr Bierhandl mit der »an sich so schwierigen Aufgabe« kämpfte, während er am Gartenzaun lehnte. Um kurz zu sein – Herr Bierhandl unterlag. Er ergab sich gegen die Bedingung, daß er im Garten bloß einen »Stehpfiff« trinke. Dies geschah auf einen Zug, worauf er, um die Wiederkehr seiner Kräfte zu feiern, noch einigemale das Glas füllen ließ. Sodann umarmte er einen Baum und sprach folgendermaßen mit sich selbst:

»... In den westlichen Vororten werden sie sich freuen, mich wieder auf den Beinen zu sehen ... Hieltet ihr mich für tot, ihr Grundwachter? ... Nein, ich lebe, und der miselsüchtige Chef soll mich kennen lernen ... meine Halskrägen sind dir nicht recht, eitler Geck? Ich vertrinke meine Kämme raunzest du? ... Hast du mich schon betrunken gesehen, Theelöffel verdammter, bin ich jemals betrunken? Heraus damit, hier stehe ich, ein alter Schwede oder ein alter Deutscher, was du lieber willst, elender Tintenfisch! ... ( Er würgt den Baum und taumelt vergnügt hinweg.) Oho, laßt uns nur die blaue Republik fächerförmig verbreiten auf dem Weltall, dann sollt ihr ... weg mit euch zwei Sicherheitswächtern, weg, sag' ich euch, ihr Spione, oder ich reiße euch in Stücke!« ... ( Greift zu und fällt besinnungslos zu Boden.) – – – –

Zwei Wochen später. Herr Bierhandl erscheint bleich und verschüchtert vor dem Bezirksgerichte. Der Richter hält ihm die Anklage vor: wörtliche und thätliche Wachebeleidigung.

»Ich habe die Ehre, einen guten Morgen zu wünschen,« stottert Herr Bierhandl, »wollen verzeihen, daß ich bemühe, aber ich gebe mich ohnehin schuldig. Ich war Rekonvaleszent, hatte ein wenig getrunken und wurde irritiert durch die Anwesenheit von zwei Wachmännern, welche mich beide anpacken und beruhigen wollten ...«

»Sie sind im Irrtum. Ich sehe aus Ihrer Verantwortung, wie schwer betrunken Sie waren; denn Sie hatten es nur mit einem Wachmann zu thun, sahen also in Ihrem Rausche doppelt.«

»Halten zur Güte, das ist nicht möglich.«

»Der Wachmann wird es Ihnen selbst sagen.«

Herr Bierhandl wird in diesem Sinne konfrontiert und erhält von dem Zeugen die bestimmte Auskunft, daß kein zweiter Wachmann in der Nähe gewesen. Er heftet einen langen Blick auf den Wachmann und macht nun noch das verschämte Geständnis:

»Darum also hab' ich die beiden für Zwillingsbrüder gehalten!«

Herr Bierhandl wird mittelst einer Geldstrafe von zehn Gulden neuerdings in schmerzlicher Weise an die »an sich so schwierige Aufgabe« gemahnt, welcher er sein ferneres Leben gewidmet hat.

*

V. In Keilschrift.

Unter-Sievering. Vorort von Wien. Guter Heuriger. Elf Uhr Nachts. Große Zeche. Urewiger Konflikt. Lösung bekannt. Wallfisch zu Askalon. Gast Fischer hinausgeworfen. Wirt warf ihn. Gast wütend. Will zurück. Geschwungener Holzstuhl. Wirt unentwegt. Besitzer eines Ochsenziemers. Gast windelweich gedroschen. Wirt drosch ihn. Sehr schmerzhaft. Auch kränkend. Rache. Mitternacht. Mehrere Raufer. Der Hinausgeworfene. Wirt nicht da. Macht nichts. Andere hauen. Auch ein Genuß. Gas abgedreht. Finster. Hiebe hageldicht. Kontrole unmöglich. Licht. Alle gedroschen. Fleischer Grasel besonders. Thäter: Hauer Fink. Anklage. Verhandlung. Bezirksgericht Währing. Angeklagter Fink überwiesen. Beschädigter Grasel angeheitert. Seine Erzählung:

»Dö Raffer san träuperlweis in's Lokal kumma. Glei hab'n's 'n ersten Antrag g'macht.«

Frage des Richters: »Was ist das?«

»Na, dös san halt Hieb'.«

»Sie scheinen stark gefrühstückt zu haben heute?«

»Ah, hörn's mir auf: Dreiviertel Liter Wein und an Rausch?«

»Was beanspruchen Sie?«

»An Paragraphen will i.«

»Was soll das heißen?«

»Na, a Straf' für den, der mi' g'haut hat. Sö werd'n 'n schon wissen den Paragraphen.«

Angeklagter Fink vierzehn Tage. Wirt freigesprochen. Begründung. Wirt große Rechte. Darf Raufbolde abschaffen. Auch mit Gewalt. Beschädigter Grasel vergnügt. Schmerzen vergessen. Keile gesühnt. Urteil freut ihn.

»Dös is der richtige Paragraph!«

Sprach's und ging.

Wohin?

Geheimnis! ...

* * *


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