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Der Verteidiger ex offo

Ein Porträt aus dem Barreau.

Klaus Haindl ist Ordensbruder worden! – Sollte jemand nicht wissen, wer Klaus Haindl ist, oder vielmehr war, so bin ich bereit ihm Bescheid zu geben. Klaus Haindl war ein Typus als Mensch; Klaus Haindl war ein Typus als Redner und Rechtsphilosoph; Klaus Haindl war ein Typus als Verteidiger im Landesgerichte zu Wien für Strafsachen. Und wegen dieser letzteren Eigenschaft drängt es mich, ihm einen Nachruf zu widmen, da er für das Barreau als ein Gestorbener zu betrachten ist. Sein Scheiden von der Kriminalpraxis, das übrigens lange vor seinem Eintritte in das Kloster erfolgt ist, hat eine empfindliche Lücke zurückgelassen. Sie wird nie ausgefüllt werden. Er hat, wie jedes Original, Schule gemacht. Auch diese ist nicht mehr, und indem ich dem Meister Klaus Haindl diese Zeilen widme, schreibe ich auch jenen, welchen er das Merkmal seines Geistes aufgedrückt, den Nekrolog.

Klaus Haindl wandelte mehr als ein Jahrzehnt auf dem Kriegspfade gegen die Staatsanwaltschaft Wien. Tag für Tag erschien der kleine beleibte Mann in seiner Amtstracht, als welche er die seltsame Kombination einer dottergelben Hose mit einem schwarzen Frack erfunden hatte, in den Korridoren des Landesgerichtes. Nachdem er vor dem Posten beim Portale ehrerbietig den abgegriffenen Cylinder gezogen und nach der Reihe sämtliche Saaldiener nebst allen ihm zufällig begegnenden Aufsehern ebenso feierlich als unterwürfig begrüßt hatte, begab er sich in das Verteidigerzimmer, um hier die Zahl und den Umfang seiner Aufträge zu prüfen. Er war nämlich das Haupt der sogenannten Fünfgulden-Männer. Jeder Advokat, der den Zeitverlust und die Mühe scheute, den ihm ex officio von der Kammer zugewiesenen Klienten persönlich zu verteidigen, fand in Klaus Haindl gegen das mäßige Honorar von fünf Gulden einen Stellvertreter, welcher die Sache des Klienten mit dem Aufgebote aller seiner Vorzüge zu verfechten bereit war. Die linke Brusttasche des weitläufigen Überrockes, unter welchem Klaus Haindl die dottergelben Hosen und den längst zu enge gewordenen Frack bis zu dem weihevollen Momente seines Aufstieges zu dem Verteidigerpulte verbarg, war vollgepfropft mit Anklageschriften, deren Bekämpfung dem vortrefflichen Manne im übertragenen Wirkungskreise oblag. Er breitete die einzelnen »Fälle«, unter welchen die geständigen Diebe stets in überwiegender Anzahl vorhanden waren, vor sich aus und studierte sie emsig, wobei er gewöhnlich sein zweites Frühstück, bestehend aus mehreren von dem Aufseher des Zimmers gebratenen Kartoffeln, verzehrte. Unterrichtet über die verschiedenartigen Schurkereien, welche man den ihm anvertrauten Klienten zur Last legte, wünschte er nun, diese persönlich kennen zu lernen, um vor der Verhandlung noch ihren gebeugten Mut aufzurichten und ihnen betreffs des Strafausmaßes milden Trost zu spenden. Zu diesem Zwecke ging er die Front der auf dem Korridor wartenden Parteien ab und fing durch Namensaufruf die seinigen heraus, oder aber er begnügte sich, wenn er es mit einem verhafteten Diebe zu thun hatte, einen Blick durch das Guckloch der Aufbewahrungszelle zu werfen und seinen Mann bloß anzusehen. Mitunter – es waren dies die ganz hoffnungslosen Fälle – sah er seinen Klienten bei der Verhandlung zum erstenmale, und da nur von rückwärts, weil der Angeklagte unter dem Pulte des Verteidigers sitzt und diesem den Rücken zukehrt.

Ein untrügliches Zeichen dafür, daß in diesem oder jenem Saale bald eine von Klaus Haindl übernommene Strafsache beginnen werde, bestand in dem heftigen Geräusch des Niesens, welches plötzlich in dem betreffenden Saale zu hören war. Bevor sich Klaus Haindl in Kampfbereitschaft gegen den Staatsanwalt setzte, bot er diesem immer als Gewähr seiner fortdauernden Hochachtung und Ergebenheit mit tiefem Bücklinge eine Prise aus der großen, runden, bunt bemalten Dose an, welche nach den Erzählungen mehrerer indiskreter Aufseher ein geheimes Fach mit dem Bilde einer üppigen Weibsperson enthalten haben soll, was jedoch von Klaus Haindl gegen jedermann auf das heftigste bestritten wurde. Auch der Saaldiener erhielt seine Prise, die Journalistenbank desgleichen, und zum Schluß bekam die Dose ihren Platz auf dem Verteidigerpulte, hinter welchem Klaus Haindl nunmehr ohne den Überrock mit der schwer herabhängenden Aktentasche, in seiner schon beschriebenen Amtstracht bis zum Erscheinen des Gerichtshofes Aufstellung nahm. Den Zuhörern flößte Klaus Haindl's Figur in solchen Augenblicken Vertrauen und Bewunderung ein. Der fast kahle Kopf mit der breiten glänzenden Stirne, die kleinen grauen Augen, die stechend durch Brillengläser blickten, ließen den Schluß zu, daß sich ein tiefer Denker dazu hergegeben habe, die Sache dieses, so illustrer Anwaltschaft gar nicht würdigen Angeklagten zu vertreten.

Während der Verhandlung ließ sich der Anwalt selten herbei, eine Frage zu stellen oder sonst eine Bemerkung zu machen. That er es aber, so verblüffte er die Richter derartig, daß allgemeines Kopfschütteln entstand, denn man entnahm daraus, daß der grübelnde Verteidiger gerade den scheinbar unwesentlichsten Dingen eine große Bedeutung beimaß – eine Methode, welche ihn allerdings verleitete, auch die wichtigsten Umstände zu vergessen oder sie verkehrt aufzufassen. Klaus Haindl's ganzes Können und seine eigentümliche Beredsamkeit zeigten sich aber erst im Plaidoyer. Leider behinderte ihn hier ein fataler Mangel an der Entfaltung all' seiner unzweifelhaft schönen Mittel. Er litt nämlich, so oft er plaidirte, an einem trockenen Husten, der die herrlichsten, schwunghaftesten Perioden meist nach dem ersten Gliede schon abschnitt. Durch diesen unglückseligen Husten wurde die Täuschung erzeugt, als sei der gewandte Redner im Begriffe stecken zu bleiben und suche sich durch Hüsteln über die Verlegenheitspause hinwegzuhelfen. Es war doppelt schade, daß dieser lästige Hustenreiz ihn an der klaren, fortlaufenden Abwicklung seiner Gedanken behinderte, denn er hätte den letzteren durch die Anwendung seines heimatlichen tiroler Dialektes eine hübsche Farbe und durch die, wenn auch stets gleichbleibende so doch äußerst glückliche Wahl der einleitenden Worte eine mustergiltige Fassung gegeben. Er begann z. B. jedesmal:

»Hocher Gärichchtshof! Entgägen den Ausführungen der löblachchen Staatsanwaltschaft ischt es meine Pflichcht, den Angeklagten gegen den äußerst schädlachchen Vorwurf des Gewohnheitsdiebstahles in Schutz zu nehmen. Wer ischt ein Gewohnheitsdieb? Kch ... kch ... kch ...« Da überkam ihn der Husten und verließ ihn nicht mehr, so daß die einzelnen Sätze ihren Zusammenhang verloren. Bei jedem Hüsteln beugte sich der bedauernswerthe Redner entweder mit weitgeöffneten Augen vor, als wollte er die unfreiwillige Pause wenigstens zur Erhaschung eines ferne schweifenden Einfalls ausnützen, oder er beugte sich abwärts nach den Akten, wie um daraus den unterbrochenen Zusammenhang der Dinge wieder herzustellen. Und das Merkwürdigste an diesem abscheulichen Husten war, daß er nach gehaltenem Plaidoyer spurlos verschwand; im Gespräche hatte Klaus Haindl nie darunter zu leiden. Der Plaidoyerhusten trägt auch die Schuld, daß manche seiner Aussprüche, in welchen er bemerkenswerte Rechtsanschauungen niedergelegt hat, uns nur bruchstückweise erhalten geblieben sind. So erinnere ich mich an eine sensationelle Glosse zum Betrugsparagraphen, die Klaus Haindl zum Urheber hatte. Er empfahl einen Gauner, der ungefähr zwanzig Personen betrogen hatte, der weitgehendsten Milde des Gerichtshofes aus dem wirklich geistreich erdachten Grunde, weil dieser Angeklagte den Schaden auf viele Personen verteilt und sich dadurch gewissermaßen der Zufügung eines größeren Schadens enthalten habe; denn wie empfindlich wäre es einer Person gewesen, wenn er diese um den ganzen Schadensbetrag betrogen haben würde, während der auf zwanzig Personen verteilte Schaden keinem der Betrogenen besonderen Schmerz bereitete. Eine andere Glosse, die mir noch im Gedächtnisse haftet, betraf das Verbrechen der Kindesweglegung, in welchem der tiefdenkende Redner keine so arge Ruchlosigkeit erblickte, weil ja ein Moses diesem Verbrechen seine Carriere verdankt habe, und somit auch anderen weggelegten Kindern eine schöne Zukunft offen stehen könne. Ebenfalls als Bruchstück fällt mir nachstehende, von Klaus Haindl unter schweren Hustenanfällen vorgebrachte Definition eines militärischen Kleidungsstückes ein. Er sagte wörtlich: »Dienstmänner ... kch ... kch ..., verhältnismäßig von rückwärts angesehen ... kch ... kch ... tragen ganz die Farbe der k. k. Uniformmäntel ...«

Noch sehe ich ihn vor mir, wie er bei derartigen besonders inhaltsreichen Aussprüchen nicht allein krampfhafter hustete, sondern auch mit dem Bleistifte immerfort in die Luft stach, als suche er da den richtigen Punkt zu treffen.

Ich sehe ihn auch, den guten gefälligen Menschen, wie er so oft in das Kaffeehaus der Berichterstatter trat, an deren Tische vorbeiging und, seinen gewohnten Bückling machend, nichts als die Worte sagte: »G'horschamster ... drai Monate« oder: »G'horschamster ... fünf Jahre« – was bedeutete, daß dem von ihm verteidigten Klienten in später Nachmittagsstunde solches Urteil widerfahren. Und ich sehe ihn noch, wie er eines Tages in jammervolle Verlegenheit kam, weil er im Kaffeehause in Gesellschaft einer jungen Dame, die gewiß nicht ins Kloster gehen wird, gesehen wurde. »Eine Landschmännin«, beeilte er sich, die Dame vorzustellen und schien damit sein Gewissen ziemlich beruhigt zu haben.

Nun sind derlei kleine Scherze mit »Landschmänninnen« zu Ende. Klaus Haindl ist Novize in einem Cistercienser Kloster Tirols geworden und hat da endlich, wie er schreibt, »die beschte Ruhe gefunden.« Wohl ihm! Beim Predigen schadet der fatale Husten nicht so viel wie beim Plaidiren, und als Geistlicher hat er auch ex officio die sündhafte Menschheit vor einem höheren Richterstuhl zu verteidigen. Ich kann mir ihn lebhaft vorstellen, wie er im gelblichweißen Talar mit schwarzem Skapulier durch die Kreuzgänge des Klosters schlurft und in der rundlichen Hand die bemalte Dose hält, sie knixend den ehrwürdigen Patres, so viele er antrifft, zu reichen. Das Bild, von dem die indiskreten Aufseher sprachen, ist doch gewiß nicht in der Dose, nicht wahr? Es schickte sich auch nicht für einen Novizen, einen »geischtlichen« Herrn! ...

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