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Des Sturmes Krausen

Eine Trinkerstudie.

Der Brand des Wiener Stadttheaters hatte Herrn Joachim Pausinger ungemein durstig gemacht. Nicht etwa, daß er sich an den Rettungsarbeiten beteiligt und hiedurch seinen inneren Menschen wesentlich ausgetrocknet hätte. Die Nachricht von der Katastrophe traf ihn zu Hause mitten in der nützlichen Thätigkeit, einem lernbegierigen Studenten die augenblickliche Weltlage zu erklären. Man schätzte ihn in der ganzen Nachbarschaft als einen Mann, welcher durch profundes Wissen und unablässiges Nachsinnen bereits einen Teil der Lebensrätsel ergründet habe und namentlich über die Existenz nach dem Tode ganz neue und in der Hauptsache erfreuliche Aufschlüsse zu erteilen vermöge. Nicht minder im Werte standen seine Ansichten über die Politik des Tages, welche er mit bemerkenswerter Unparteilichkeit abgab; letztere hatte er sich durch die Überzeugung errungen, daß die Errichtung noch so vieler czechischer Schulen nicht imstande sein werde, den allgemeinen Weltkrieg aufzuhalten. Frau Johanna Pausinger pflegte, wenn ihr Gemahl aus dem Schatze seiner Weisheit köstliche Perlen auszustreuen begann, auf den Strümpfen durch die Zimmer zu gehen, um ihn ja nicht in seinem Vortrage zu stören. Sie that dies auch an jenem verhängnisvollen Abend, als die Nachricht vom Stadttheaterbrande kam. Herr Joachim Pausinger war in der Darstellung der Weltlage eben erst zu einem denkwürdigen Vergleich der punischen Kriege mit den Vorgängen auf dem Wiener Schlachtviehmarkte gekommen. Er hielt jetzt inne und strich mit der Hand über sein fettes Kinn. Seine Frau beobachtete ihn ängstlich, denn sie wußte, welch' unheilvollen Einfluß jedes bedeutende Ereignis auf ihren Gatten übte. Es litt ihn dann nicht in dem kleinen Kreise der gewöhnlichen Jünger, er fühlte den heißen Drang, zu einer großen Versammlung zu sprechen und fremden Menschen die Wohlthat seiner Lehren zugänglich zu machen. Und wie jede genialische Anlage eine Quelle von innerer Marter ist, so wurde der sonst so mäßige Mann zu solcher Frist von einem qualvollen Durste ergriffen, der seine große Seele zu der von ihm selbst oft als schimpflich bezeichneten Konzession zwang, als reiner Geist über den tiefen Tümpeln von bayrischem Bier zu schweben, welche Herr Joachim Pausinger in seinem Innern anlegte. Auch diesmal nahm er Hut und Stock, verabschiedete den armen, über die Weltlage nun in peinlichster Ungewißheit schwebenden Studenten und machte sich auf den Weg. An der Thüre wendete er sich nochmals um und sagte mit weicher Stimme:

– »Liebe Kathi, für den Fall als mir was zustoßen sollte ...«

– »Ich weiß«, schluchzte die gute Frau, »du hinterläßt uns deine Weltanschauung als kostbares Vermächtnis; dort im Kasten liegt sie niedergeschrieben.«

– »Ja«, nickte er und ging beklommen, als sei er im Begriffe wie ein Missionär ferne wilde Völkerstämme aufzusuchen, welche stets die Neigung zeigten, der Verbreitung sanfter, erhebender und wahrer Lehren mit Keulenschlägen in den Weg zu treten. Als er so dahinschritt, kam er sich unwillkürlich wie ein Kulturträger vor; noch ahnten die Gäste der von ihm gewählten Schenkstube in der Nacht ihrer Unwissenheit nichts von der Erleuchtung, die ihnen durch sein Kommen so bald widerfahren sollte. Er war seit Verhängung des Ausnahmezustandes nicht dort gewesen und besorgte, daß die Aufklärung, die er damals so reichlich gespendet, längst wieder aus den Köpfen der Unglücklichen verschwunden sein werde. Eine Probe hierüber konnte er jedoch nicht anstellen, denn das Schankzimmer war menschenleer. So beschloß er denn zu warten und trank unterdessen, um den ersten Durst zu stillen, zwölf Krügel Bier. Beim nächstfolgenden Krügel rief er den Wirt herbei und wünschte mit einem durchbohrenden Blicke zu wissen, welche Begriffe derselbe von der höchsten Sittlichkeit in ihrem Zusammenhange mit der denkbar höchsten Verwertung der Lebenskräfte, und ob der Wirt den Mut habe, sich ihm gegenüber zu irgend einer philosophischen Schule zu bekennen.

– »I bitt' Ihna«, antwortete der Wirt ärgerlich, »phantasir'ns net wieder von solche Dummheiten, sunst finden's Ihna in Ihnern Schwamma Rausch. wieder in der Fruah am Kahlenberg d'rob'n wia's letzte Mal. Glaub'n's, das is net glei bekannt word'n? Meine Gäst hab'n g'lacht g'nua.«

Herr Pausinger blickte den Mann, der eben ein so furchtbares Zeugnis von niedriger Kulturstufe abgegeben hatte, voll Mitleid an. Es schmerzte ihn, daß ein Mensch so verblendet sein könne, die schöne Gelegenheit, dem Pausinger'schen Weltbegriffe näher zu treten, kühl von sich zu weisen. Er wollte nur noch einen Versuch machen, auf die feineren Sinne des Wirtes einzuwirken, indem er ihn bekümmert fragte:

– »Aber den Sturm hören Sie doch brausen?«

– »Na, i hör' nix, 's is mäuserlstad drauß'd. Kann m'r aber schon denk'n, was Sö für an Sturm brausen hör'n.«

Herr Pausinger zahlte fünfzehn Krügel Bier und entfernte sich in düsterem Schweigen. Sein Gang war stramm, als er sich, seiner Wohnung zustrebend, verleiten ließ, ein Kaffeehaus mit kostümierter weiblicher Bedienung zu betreten. Hier nahm er fünf Flaschen Bier zu sich und zwei Knickebein, wodurch sein Gemüt einigermaßen hoffnungsvoller gestimmt wurde. Er winkte eine Türkin und eine Slovakin zu sich heran in der Zuversicht, diese beiden Damen durch milden Zuspruch von der Bedenklichkeit solcher Kostüme zu überzeugen.

– »Ihr seid zu eitel, Kinder«, sagte er wohlwollend, »und glaubt mir, die Eitelkeit ist die vierfache Wurzel aller Erscheinungen, welche der höchsten Sittlichkeit diametral zuwiderlaufen.«

– »Derzähln's dös im katholischen G'sellnverein, Sö alter Knie beiß«, erwiderte die Türkin und eilte fort, die Slovakin nach sich ziehend.

Wieder ergriff der Unverstandene den Wanderstab und strebte seiner Wohnung zu. Hätte er sie doch erreicht, ehe er in dieser verlorenen Nacht einen vom Dienste heimkehrenden Gewölbewächter begegnete! Im Zwielichte des anbrechenden Tages hielt Herr Pausinger diesen bewaffneten Würdenträger für einen Soldaten, und da er eben erwogen hatte, daß kein Einzelner, sondern nur eine starke Macht gegen die gedankenlose Menge aufkommen könne, so beschloß er sofort, diesen Soldaten für die heilige Legion der höchsten Sittlichkeit anzuwerben. Er stellte sich ihm daher in den Weg und sagte:

– »Sklave, der du bist, verlaß' die Fahne, die bis jetzt deine Nahrung war, und leiste mir den Eid auf diese Hand!«

Der Gewölbewächter stieß ihn bei Seite und erwiderte barsch: »Schaun's, daß's weiter kommen, und daß's Ihnern Fahn' (Rausch) beim Hausthor einibringen!«

Wir würden besorgen, auf das Charakterbild des sonst so gemütlichen Herrn Pausinger einige unverwischbare Flecken zu werfen, wenn wir uns in eine Schilderung des Kampfes einließen, der nun zwischen den beiden entbrannte; denn Herr Pausinger verschmähte es beispielsweise nicht, seinem Gegner in den geöffneten Mund zu spucken, welches allgemein als eine barbarische Kampfesweise gilt.

Er büßte vor dem Einzelrichter sein Ungestüm mit einer Geldstrafe von fünfundzwanzig Gulden, wobei als mildernd angenommen wurde, daß er in jener Nacht so heftig »den Sturm brausen gehört.« Möchte doch in seinem Interesse die Weltlage derart bleiben, daß der bedeutenden Ereignisse möglichst wenige eintreten!

* * *


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