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Die Bandwurm-Komödie

Mit einem Vorberichte, enthaltend die denkwürdigen Erlebnisse eines Patienten im Ahnensaale der Bandwürmer und seine Flucht aus demselben.

Das Manuskript ließ in dem Zustande, wie es in unsere Hände kam, erraten, daß es unter der ersten Nachwirkung einer grauenvollen Begebenheit geschrieben worden. Die Schriftzüge waren unregelmäßig, verworren, und ein hie und da auftretender Knäuel von Buchstaben deutete an, daß der Verfasser plötzlich von einem Schüttelfroste ergriffen worden, der Hand und Feder auf dem Papier unwiderstehlich hin- und hergeworfen. Wir glauben heute noch, daß der Mann, der uns dieses Manuskript einsendete, irrsinnig war, denn seine Schilderung einer Bandwurmkur, der er sich unterzogen, entfesselte alle Schrecken verwunschener gespensterhafter Orte, an welchen es nicht mit rechten Dingen zugeht. Soweit wir uns noch erinnern, begann der Verrückte seine Erzählung mit der eingehenden Beschreibung des Ahnensaales der Bandwürmer. Man hatte ihn in einen dunkel ausgeschlagenen Saal geführt, an dessen Wänden in hohen, schmalen Gläsern die wohlkonservierten Leichname der edelsten Bandwurmgeschlechter zu erblicken waren. Inschriften auf den gläsernen Sarkophagen gaben ihr Alter an und wann sie aus ihren Stammsitzen vertrieben worden, sowie auch ob die betreffende Familie vollständig ausgestorben sei oder nicht. Auf dem Kamin stand, in Bronce ausgeführt, eine sinnreiche Allegorie auf den Besitzer dieser schönen Sammlung: nämlich ein Mann in griechischer Gewandung, welcher das Schwert über einem siebenköpfigen lernäischen Bandwurm schwingt.

Von diesem Saale aus konnte man eine Reihe von Gemächern erblicken, deren Einrichtung den armen Irrsinnigen mit einer gräßlichen Ahnung bevorstehender Folterqualen erfüllte. Es befand sich nichts darin als je ein hoher Armstuhl aus geschwärztem Holze, dessen unterer Teil sorgfältig geschlossen war, sodaß er eine fatale Ähnlichkeit mit den Röststühlen in mittelalterlichen Folterkammern hatte, worin Feuer angemacht und der Delinquent langsam gebraten wurde. Der entsetzliche Eindruck dieser Vorrichtungen ward aber noch gesteigert, als aus dem ersten Nebengemache Schmerzenslaute an das Ohr des Besuchers drangen und dieser eine menschliche Gestalt in dem Armstuhle gewahrte, die ihm zuwinkte, die Hände rang und mit Grabesstimme endlich jammerte: »Ist's denn noch nicht aus, jetzt sind's schon geschlagene fünf Stunden ... und Sie haben gesagt, in drei Stunden tritt schon der sichere Tod ein und ich bin erlöst ...« Die Stimme des Unglücklichen verlor sich in ein leises Wimmern.

Der Mann im Ahnensaale wartete nicht länger. Er sprang jemandem ins Gesicht, der zur Thür herein wollte, stürzte hinaus und verlor auf dem Wege bis zum Thore den Verstand, was um so bedauerlicher ist, als es uns in die Unmöglichkeit versetzt, zu entscheiden, was in seinem Manuskripte als Wahrheit, was als Ausgeburt einer kranken Phantasie angesehen werden soll.

Hier endet der Vorbericht, dessen Nützlichkeit außer allen Zweifel tritt, wenn wir bemerken, daß das oben geschilderte Erlebnis sicherlich auf Herrn F. A. Reckland einigen Einfluß geübt hat, denn wie wäre er sonst dazu gekommen, in einem Prospekte dem p. t. von Bandwürmern belästigten Publikum die höfliche Anzeige zu machen, daß er im Gegensatze zu der schmerzhaften und gefährlichen Art, in der die Ärzte derartige Kuren vollziehen, eine Methode erfunden habe, durch welche das gleiche Resultat ohne Schmerz und Gefahr erreicht würde. Ja, man vermochte aus dem Prospekte herauszulesen, daß diese Methode vermöge ihrer besonderen Annehmlichkeit allgemach zu einer würdigen Zerstreuung und beliebten Volksbelustigung der Wiener werden könnte. Mit begreiflichem Mißbehagen vernahm ein hiesiger Bandwurm-Spezialist von dieser Neuerung und beschloß alsbald, den Konkurrenten durch eine Anzeige wegen Kurpfuscherei lahmzulegen. Zu diesem Zwecke bedurfte er jedoch eines Beweises, daß Reckland Heilmittel gegen den Bandwurm wirklich verkaufe. Diesen Beweis herzustellen, wurde nun folgende Komödie in Scene gesetzt. Es begab sich vorerst die Gemahlin des Spezialisten zu Herrn Reckland, um die Rolle einer Patientin zu spielen.

– »Ich leide fürchterlich«, sagte sie und sank auf einen Stuhl; »geben Sie mir ein Mittel, ich bitte Sie inständig« Herr Reckland zeigte sich ungemein teilnehmend, aber etwas zurückhaltend in betreff der Diagnose.

– »Meine Gnädige«, sagte er, »werden wir uns zuvor klar über die Symptome. Haben Sie öfters einen Kitzel in der Nase?«

– »Nein«, sagte die Dame unvorsichtiger Weise.

– »Bedauere unendlich«, erwiderte Reckland, »aber das wäre die Hauptsache. Ohne Nasenkitzel kein Bandwurm. Warten wir dieses bedeutsame Symptom ab. Ich empfehle mich Ihnen bis dahin, meine Gnädige.«

Das war also mißlungen. Am nächsten Tage begab sich der Spezialist persönlich zu Reckland, und zwar in der Maske eines vorortlichen Spießbürgers. Schon im Vorzimmer ächzte er und schrie immerfort: »O, du Rabenvieh! ... O, du elende Bestie! ...«

– »Ist denn ein Hund hereingekommen?« rief Reckland erbost und riß die Thüre auf.

– »Ah belei, a Hund net«, seufzte der falsche Patient, seine Gestalt zusammenkrümmend, »i red' ja mit mein Bandlwurm, den hab' i leider immer bei mir. I bitt Ihna Herr Doktor, geb'ns m'r was dafür, sunst geh' i auf Fransen, meiner Seel.«

Diesmal ließ sich Reckland täuschen. In der Meinung, einen Biedermann vom Grunde vor sich zu haben, gab er die Medikamente und ließ sich ein Honorar von zehn Gulden bezahlen. Frohlockend eilte der graduierte Bandwurmdoktor nach Hause, entsandte aber, um noch ein Zeugnis zu haben, sofort sein Stubenmädchen zu Reckland, das der Verstellungskunst mächtiger war, als ihre Herrin und sich ebenfalls Medikamente zu erheucheln wußte. Nun wurde gegen den geprellten Konkurrenten die Anzeige erstattet und dieser vom Bezirksgerichte wegen Kurpfuscherei zu einer Arreststrafe von vierzehn Tagen und sechzig Gulden Entschädigung an den Spezialisten verurteilt. Der letztere hatte nicht weniger als sechshundert Gulden verlangt unter dem Titel, daß Herr Reckland sicherlich dreihundert Bandwürmer à zwei Gulden aus dem Leibe von solchen Patienten entfernt habe, welche sonst genötigt gewesen wären, im Ahnensaale der Bandwürmer die Hilfe des großen Bezwingers derselben in Anspruch zu nehmen.

* * *


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