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Der »Pompfuneberer«

Wiener Dialektwort für die Angestellten der Entreprise des pompes funèbres.

Eine Elegie.

Es giebt schrecklich dumme Gedanken. Während ich die Geschichte von dem so gründlich abgestrittenen Haupttreffer las, welchen Herr Probst von der Entreprise des pompes funèbres gemacht haben wollte, konnte ich mir diesen Herrn Probst unmöglich als jenes ernste, gemessen dahinschreitende, tief ergriffene Wesen vorstellen, als welches er sicherlich schon mehrere hundert Verstorbene zu Grabe geleitet hatte. Immer sah ich einen von den sechs oder acht Fackelträgern die qualmende Fackel ausgelassen in die Höhe schwingen und vernahm, wie er zum Entsetzen seiner Kameraden und der ganzen trüb gestimmten Umgebung in den Jubelrefrain ausbrach: »I hab'n Haupttreffer g'macht!« Und das war doch barer Unsinn; denn wie die Dinge schon damals standen, wäre es weit richtiger gewesen, sich Herrn Probst als den traurigsten aller Fackelträger zu denken, da er nämlich seiner Überzeugung nach der rechtmäßige Besitzer von 100,000 Gulden war und sich trotzdem genötigt sah, anstatt des Lebens Freuden in vollen Zügen zu genießen, mit der Fackel des Todes in der Hand Tag für Tag ganz gleichgiltigen Personen die letzte Ehre zu erweisen. Was jenen dummen Gedanken betrifft, so entwickelte er sich offenbar aus dem ungeheueren Gegensatze, welcher zwischen der gewiß achtbaren, aber ungemein traurigen Stellung eines Fackelträgers der Entreprise und der insgemein weit höher geachteten und vergnüglichen Position eines Mannes mit 100,000 Gulden besteht. Der Sprung von der einen zur andern kann ohne vorübergehende freudige Geisteszerrüttung kaum vor sich gehen. Von der Menschheit ganzem Jammer bis zu der Menschheit ganzem Glück – das ist ein großer Schritt, und der besagte Herr Probst durfte sich glücklich preisen, daß es ihm nicht verstattet war, ihn so jäh, so unvermittelt zu thun.

Sein Prozeß hat jene würdigen Mitbürger, welche man in Wien vertraulich die »Pompfuneberer« nennt, in den Bereich vorübergehenden Interesses gezogen – eine Thatsache, die niemanden mehr freut als mich, der ich schon seit langer Zeit ein Schätzer dieser braven schwarz gekleideten Männer bin, namentlich der Trauerportiere, welche die Unternehmung vor der Wohnung von Leichen erster Klasse aufzustellen pflegt. So ein Portier ist immer ein stattlicher Mann mit schwarzen Gamaschen, Kniehosen, bordiertem Frack und Tressenhut, sowie einem Portierstocke, an dessen Knopf ein Trauerflor flattert. Seine Aufgabe ist es, ein gewisses Aufsehen zu erregen in der betreffenden Gasse und die allgemeine Erwartung einer »schönen Leich'd« auf das höchste zu spannen. Er könnte dies mit der ausdruckslosesten Miene von der Welt thun, allein er würde sich von solchem Statistentum nicht befriedigt fühlen. Die »Pompfuneberer« haben mehr oder minder etwas von den Meiningern. Noch nie hat ein menschliches Auge den Moment erhascht, da der Portier seinen Posten bezieht. Er ist plötzlich im Hausflur und wird ebenso plötzlich vor dem Thore sichtbar, wo er, anscheinend in trübes Sinnen verloren und auf seinen Stab gestützt, eine Weile regungslos stehen bleibt, bis seine vornehm-düstere Erscheinung eine Schaar Neugieriger angezogen hat. Er mustert dieselbe mit teilnahmslosem Blicke, gleich als ob er schwerlich jemanden darunter zu finden hoffe, der fähig wäre, seinen Schmerz und seine Trauer ob des Hinganges jenes bedeutenden Mannes, dessen Pforte er zu hüten hat, zu verstehen oder gar mitzuempfinden. Wird laut gesprochen von den Versammelten, so wehrt er mittels einer hoheitsvollen Bewegung der schwarzen Handschuhe ab, und rasselt ein Wagen vorüber, so schüttelt er den Kopf zum Zeichen der Mißbilligung solcher Rücksichtslosigkeit. Endlich findet er unter den Umstehenden einen, dessen gutmütiges Gesicht ihn aufmuntert, sein Herz auszuschütten.

– »Sehr traurig«, sagt der Portier und nickt mehrmals schmerzlich mit dem Kopfe. »Sehr traurig.«

»Freilich«, erwidert der Gutmütige, »so was is immer traurig.«

– »Immer, Sie hab'n recht, das is der einzige Trost.«

– »Sie müssen doch schon mehr d'ran gewöhnt sein, als unsereiner.«

– »Glaub'ns das nicht, ich bin halt so ein ang'rührter Mensch.«

– »Schau'n aber so g'sund aus.«

– »Das is nur auswendig; 's greift mi jedesmal an; i passet mehr zu einer heitern Beschäftigung.«

– »Ja, Billeteur im Orpheum is freili lustiger, aber es muß halt a Pompfuneberer geb'n.«

»Das is' eben, und das is mein einziger Trost. Sehr traurig!«

Der Portier versinkt wieder in ein düsteres, Betrachtungen über das ungewisse Jenseits gewidmetes Brüten. Dann fährt der Wagen an mit dem wie in Tinte getauchten Kutscher, welcher die lange Peitsche feierlich emporhält und nie lächeln darf. Es ist eine Strafe darauf gesetzt, wie für andere Kutscher auf das Schnellfahren. Die beiden nicken sich trübselig zu. Dann kommen zwei schwarze Linien vom Ende der Gasse näher und näher. Das sind die Träger und Fackelträger, alle mit der leidenden Miene, welche ihnen allgemach zur Gewohnheit geworden ist und die sie auch zeigen, wenn sie nach gethaner Arbeit auf den Außenplätzen eines Omnibus heimfahren und dadurch die Bewohner der ganzen Straße mit Todesgedanken erfüllen. Sie haben es nicht so gut wie das Militär, welches unmittelbar nach dem alle Schrecken des Todes entfesselnden Trauermarsch kehrt macht und mit einem lustigen Marsch wieder heimzieht, was sich stets so anhört, wie: »Was geht das uns an, das geht uns gar nix an!« Der wahrhafte »Pompfuneberer« kommt aus der Trübsal gar nicht heraus. Den ganzen Tag hat er mit dem Tode selbst zu thun, des Nachts mit dem Bruder desselben. Welche Erlösung hätte da ein Haupttreffer gebracht!

Man darf überzeugt sein, daß der Trauerportier mit der dunkelgefärbten Nase – sie war offenbar ursprünglich zu hell für seine Beschäftigung – den Glücks- oder vielmehr Unglücksfall seines Kollegen von der Fackelträgerschaft zum Gegenstande immerwährender tiefsinniger Betrachtungen machen wird, welche alle auf den verzweifelten Schluß hinauslaufen: »A Pompfuneberer soll halt ka' Freud' haben auf dera Welt. Sehr traurig! ...

* * *


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