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Frauen aus dem Volke

(Wiener Kleinleben.)

Die beiden angeklagten Frauen gaben ihre Wohnung an: Vorort Ottakring, Gärtnergasse; ihre Beschäftigung: Handarbeiterinnen; Ursache ihres Erscheinens vor Gericht: ein im Hause entstandener Zwist. Das gab schon ein Bild von dem Schauplatz und von der Sache. Man kann schwören darauf, daß dieses kriegerische Haus in Ottakring an der Hofseite Gänge mit Eisengittern hat, an welchen Windeln, blaue Unterhosen und getupfte Sacktücher zum Trocknen aufgehängt sind. Mit Sicherheit läßt sich ferner annehmen, daß dort kleine Kinder herumlaufen wie die Kaninchen, während die Mütter beim Brunnen unten, am Waschtrog, oder beim Hausthor, oder auf dem Gange stehen, oder in etwas nachlässigem Anzuge zeitweilig an den Fenstern erscheinen, um durch einen schrillen Ruf ihre im Hofe tobenden Sprößlinge von ernsteren Ausschreitungen zurückzuhalten. Wo so viele Weiber mit einander stetig in Berührung kommen, geht es naturgemäß nicht ohne Zank und Hader ab. Dazu bedarf es keiner eigentlichen Gründe und wir glauben auch, daß nichts Frl. Marie Stephanek in größere Verlegenheit setzen könnte, als die Frage, warum sie Frl. Marie Gröbinger eines Tages bei der Begegnung im Stiegenhause einen »Schlampen« gescholten hatte. Marie Gröbinger erinnerte sich, dieses Wort schon öfter aus dem Munde der Marie Stephanek vernommen zu haben, und um diese zwischen Beiden obschwebende Angelegenheit mit einem Schlage zu ordnen, versetzte sie ihrer Gegnerin eine eindringliche Maulschelle. Da der letzteren überdies ein Hagel von Rippenstößen und Scheltworten nachprasselte, so ergriff Marie Stephanek die Flucht in die Wohnung der Bindersgattin Anna Urban.

– »Hab'n Sie net g'rad eine Watschen kriegt?« rief dieselbe der Eintretenden entgegen.

– »Ja,« antwortete diese betroffen, »aber woher wissen Sie das?«

– »Na, weil's auf derer Seit'n so roth und ang'schwoll'n sein ... Meine Liebe, weg'n so einer Mordwatschen muß m'r klag'n, versteh'ns, so a Thern (Ohrfeige) steckt ma net ein, wie a Vierkreuzerstückl; aber ein Zeug'n müss'ns hab'n.«

– »Woher soll i denn ein Zeug'n nehmen?« seufzte die Andere.

– »Na, wann Ihna niemand an Zeugen abgeb'n will, so nehmen's halt Ihner Bettmadel dazua,« rieth die Bindersfrau.

In der That erschien Marie Stephanek einige Wochen später vor dem Bezirksgerichte als Klägerin wider Marie Gröbinger mit ihrem Bettmädchen Leopoldine Ruff als Zeugin. Die Geklagte setzte der Ohrfeige nicht die mindeste Einwendung entgegen, bestritt aber die Stöße und Schimpfworte. Der Richter rief nun das Bettmädchen zur Zeugenaussage auf. Als sich Leopoldine Ruff erhob, erhielt sie von ihrer Bettfrau zur Erinnerung an die getroffene Verabredung einen gewaltigen Fußtritt, unter dessen Einwirkung Poldi Ruff aussagte, was die Klägerin wollte, insbesondere aber, daß sie mit eigenen Ohren die Schimpfworte gehört habe.

– »Das ist eine falsche Zeugin!« kreischte die Geklagte auf und gerieth in einen Zustand von solcher Wildheit, daß sie der Richter vom Flecke weg für zwölf Stunden nach dem Arreste bringen ließ und sie außerdem zu 48 Stunden Arrest wegen Ehrenbeleidigung verurtheilte.

Diese Scene erweckte in dem Bettmädchen Gewissensbisse; es weigerte sich trotz aller Drohungen der Bettfrau, vor dem Appellsenate zu erscheinen und ging schließlich selbst zu Gericht, um zu bekennen, daß es eine falsche Aussage gemacht habe.

Marie Gröbinger erschöpfte sich nun in Selbstbeglückwünschungen, daß sie die Strafe noch nicht angetreten habe. Sie unterrichtete den Gerichtshof ausführlich über die vorgekommenen Schimpfworte, als deren kraftvollstes sie den sonderbaren Ausdruck »z'sammg'standene Brut« anführte.

– »Schon gut, diese höhere Conversation geht uns nichts an,« sagte der Vorsitzende.

– »Ja, aber i hab' dessentwegen zwölf Stunden sitzen müssen,« eiferte die Zeugin; »glei hab' i g'sagt, die Ruff is eine falsche Zeugin, und weil i das g'sagt hab', bin i auf zwölf Stund' nunterg'schickt worden.«

– »Mit Fug und Recht,« bemerkte der Vorsitzende.

– »Eigentlich hatte sie Recht,« meinte ein Votant.

– »Auch sie hatte Recht,« bestätigte der Vorsitzende, »aber der Richter konnte nicht dulden, daß eine Zeugin in öffentlicher Verhandlung auf diese Weise angegriffen werde.«

Als Zeugin erschien die Wäscheputzerin Emilie Roggenhofer. Dieselbe wußte auszusagen, daß sie von der Angeklagten Stephanek aufgefordert worden sei, die Angeklagte Ruff zu überreden, daß dieselbe auch vor dem Appellsenate genau so deponiren möge, wie vor dem Bezirksgerichte, sonst werde sie in das Gefängnis wandern.

– »Und was antwortete Ihnen die Ruff?« fragte der Vorsitzende.

Die Zeugin wendete verschämt das Gesicht ab. »Gnaden Herr Präsident, das kann ich nicht da sag'n, das schickt sich nicht.«

– »Sagen Sie's nur.«

Die Zeugin besann sich auf eine Umschreibung und fand endlich glücklich folgende: »Gnaden Herr Präsident, es war, wie m'r unter uns sag'n, a g'schaffte Arbeit, die man aber auch steh'n lassen kann.«

Nach der Verkündigung des Urtheiles, welches gegen Leopoldine Ruff auf eine Woche und gegen Marie Stephanek auf sechs Wochen Kerkers lautete, bat erstere um das Wort.

– »I thät schön bitten, i hab' a Kind an der Brust.«

– »Wie alt ist es?«

– »Vor fünf Monat is' auf d' Welt kommen.«

– »Dann dürfen Sie es noch mit in das Gefängnis bringen; man wird es Ihnen Beiden hier an nichts fehlen lassen.«

Die Angeklagte hatte noch etwas auf dem Herzen. –

»Euer Gnaden, i thät aber auch recht sehr bitten ...

Der Vorsitzende unterbrach sie mit heiterem Aerger: ... »Sie thäten bitten, daß Sie auch den Liebhaber mit hereinnehmen dürften? Nein, meine Liebe, das geht nicht.«

Der Vorsitzende schien das Richtige getroffen zu haben; denn das leidlich hübsche Mädchen senkte traurig den Kopf und hatte keine Bitte mehr.

* * *


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