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Der Hagestolz

Ländliche Idylle.

Es konnte nicht gut enden. Im ersten Stockwerke nebst Veranda einer Villa zu Preßbaum wohnte Baron Ernst von Viesmar, ein alter Junggeselle, welcher den Landaufenthalt zu wissenschaftlichen Arbeiten benützte. Im Erdgeschosse nebst Veranda wohnte Frau Rosa Jürgen, Mutter eines erschrecklich lebendigen Kindes, welches im Vereine mit den vier Sprößlingen eines ebendaselbst wohnhaften Herrn Breier einen betäubenden Lärm zu machen pflegte. Nichts natürlicher, als daß Mama Jürgen – nebenbei bemerkt, eine hübsche junge Frau – entzückt war von der Lebhaftigkeit des theuren Kindes, das doch seine strotzende Gesundheit austoben darf, denn wozu zöge man denn auf das Land, und wenn ein Kind nicht schreit und lärmt, so fehlt ihm gewiß was, und wenn's jemandem nicht recht ist, so soll er sich die Ohren mit Baumwolle verstopfen oder ausziehen u. s. w. Nichts natürlicher aber auch, als daß der alte Baron, welcher seit fünfzehn Jahren an einem Werke arbeitet und dasselbe bei Kindergeschrei gewiß nicht fertig bringt, sich die grimmige Frage vorlegt, wozu überhaupt Kinder in die Welt gesetzt würden, und wenn dies schon nicht zu ändern sei, warum gerade er, der sich Gott sei Dank sein Leben lang von solcher Unüberlegtheit freigehalten, unter der Leichtfertigkeit Anderer leiden solle, und ob nicht die Abschlachtung eines so unerbittlichen Schreihalses unter sothanen Umständen als ein Akt der Nothwehr auszufassen wäre u. s. w.

So wächst die Erbitterung von Tag zu Tag und führt endlich zu folgendem elementaren Ausbruch. Der kleine Jürgen schreit wieder einmal wie besessen irgendwo im Garten rückwärts. Seine Mama tritt aus der Veranda, der alte Baron ist mit einem Sprunge am Geländer der seinigen. Die Wuth verblendet ihn derart, daß er dreimal auf Frau Jürgen hinunterspuckt, wobei er allerdings nur einen Treffer zu verzeichnen hat. Außerdem wollen Zeugen – dergleichen Vorfälle finden erfahrungsgemäß nie vor leeren Häusern statt – mehrere knüppeldicke Schimpfwörter fallen gehört haben. Baron Viesmar erinnert sich dermalen an diese Aeußerungen nicht, wohl aber reißt er vor dem Gerichtshofe die schmerzende Wunde wieder auf, welche seinem Zartgefühl durch eine Geberde der Frau Jürgen damals geschlagen worden.

Bevor er hierüber seine Erklärungen abgab, hatte er den Kopf, wie erdrückt durch das Uebermaß von Schmach, das ihm angethan worden, einige Minuten an den Holzschranken hinter seinem Stuhle gelehnt. Als er dann sprach, gab es wohl einige Wehrwölfe unter den Zuschauern, welche das Herz hatten, zu lachen, aber es war in der That das Aergerlichste, was einem würdigen Manne in seinen alten Tagen geboten werden kann. Baron Viesmar ist nämlich nicht davon abzubringen, daß ihm Frau Jürgen bei jener Scene in unzweifelhaft herausfordernder Weise einen Körpertheil zur Ansicht geboten habe, welcher sich zur stummen Sprache der Beleidigung vorzüglich eignet. Wir müssen der Wahrheit gemäß constatiren, daß Frau Jürgen dies erröthend und entschieden in Abrede stellt, allein ihr Gegner beharrt auf seiner Ansicht mit dem Hintergedanken, daß dergleichen doch von der irdischen Gerechtigkeit mit den furchtbarsten Leibesstrafen bedroht sein müsse. Auch für eine wörtliche Beleidigung heischt er Genugthuung, denn er sei von Frau Jürgen ein Narr genannt worden.

– »Ein Mann der Wissenschaft darf nicht ein Narr gehießen werden,« knurrte der alte Baron vor dem Appellsenate. Warum der Mann der Wissenschaft consequent »gehießen« anstatt »geheißen« sagte, blieb unaufgeklärt. Er erzählte ferner, daß ein anderer Hausbewohner ganz laut die Anregung zu einer höchst lieblosen Handlung geben wollte, indem er rief: »Schmeißt's den alten Sterngucker herunter!« womit er in der unbeholfenen Weise der Mindergebildeten auf die wissenschaftlichen Arbeiten des Barons anspielte. Endlich kam noch zur Sprache, daß Herr Breier, der Vater jener vier Gespielen des Jürgenschen Kindes, gleichfalls Partei wider den Hagestolz genommen hatte, indem er denselben in einem Athem einen preußischen Spion und einen Hund nannte.

– »Für alles das erscheint Ihnen wohl eine Strafe von fünf Gulden in erster Instanz zu wenig?« fragte der Präsident den Baron.

– »Ei ja wohl ist das meine Meinung,« versicherte der Baron feierlich.

Der Gerichtshof fand sich auch wirklich veranlaßt, Breiers Strafe auf fünfzehn Gulden zu erhöhen; hingegen blieb es im Uebrigen bei dem Erkenntnisse des Bezirksgerichtes, durch welches Frau Jürgen freigesprochen, Baron Viesmar aber wegen Beschimpfung dieser Dame zu fünfzehn Gulden Geldstrafe verurtheilt worden war. Als die letztere ihm den Rücken wendete, um den Saal zu verlassen, überkam den alten Hagestolz abermals die Erinnerung an die Schmach, welche ihm damals angethan worden, und er schoß, so schnell es seine alten Beine erlaubten, von dannen.

* * *


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