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Der geschundene Raubritter
oder
Die Bierhypnose

Als der Richter den Angeklagten um dessen Namen befragte, fuhr der unglückselige Mensch zusammen und sah unschlüssig umher.

– »Nun, Ihren Namen werden Sie doch wissen,« fragte der Richter ärgerlich.

– »Das ist nicht so ausgemacht, Euer Eminenz,« stammelte der Angeklagte höchlich verwirrt. »Wenn Sie mich so scharf fragen, glaube ich sogar, daß Sie ihn von mir niemals erfahren werden; denn mein Gedächtnis ist seit neuester Zeit so schwach ... Haben Sie nur ein wenig Geduld, da hab' ich mir alles aufgeschrieben ... so ... ja, hier steht's.«

Er zog ein abgegriffenes und nach Bierhefe duftendes Notizbuch hervor und las daraus mit einer Miene, als stehe er vor einem der unerwartetsten Zufälle seines Lebens, den Namen: Ottokar Perl, Tonkünstler. »So heiße ich,« fügte er hinzu und schaute dabei den Richter ungemein zaghaft an, so daß es den Anschein gewann, als würde er bei der geringsten Einwendung desselben gegen die Richtigkeit dieses Namens alsbald von der Ueberzeugung, daß er so geheißen habe, ohne irgend welchen Groll abgehen, zumal wenn der Richter etwa geneigt wäre, dies als einen Akt besonderer Bußfertigkeit anzusehen.

Wir müssen darauf verzichten, den Fortgang der Verhandlung so zu schildern, wie er sich in schleppender Weise durch nahezu zwei Stunden vollzogen hat; doch wollen wir gewissenhaft zusammenfassen, was daraus über den eben so jammervollen als sonderbaren Zustand des Angeklagten zu erfahren war.

Herr Ottokar Perl, Tonkünstler, hat zeitlebens zu viel Bier getrunken – das war sein Unglück. Wie aus den Depositionen seiner Freunde hervorging, hatten dieselben vor längerer Zeit, um seine bedrängte materielle Lage zu verbessern, einen nicht unbeträchtlichen Preis für den Fall ausgesetzt, daß Einer käme, welcher es auf Eid und Gewissen nehmen würde, Ottokar Perl je nüchtern gesehen zu haben. Trotzdem dieser Preisausschreibung die möglichste Publicität gegeben worden war, hatte sich doch niemand gemeldet, und so verlor der bedauernswerthe Tonkünstler das schöne Stück Geld, wofür ihn die verstärkte Achtung seiner Tischgenossen in dem kleinen, rauchigen Bierhause unmöglich ganz entschädigen konnte.

Der Zustand, welcher ihn zuletzt in Verwicklungen mit dem Gerichte brachte, hatte folgendermaßen angefangen: Herr Ottokar Perl verfiel ohne besonderen Grund nach dem achten Krügel Bier in eine Art somnambules Schlafwachen. Er saß mit weit offenen, verglasten Augen da, vernahm nicht mehr, was um ihn vorging, trank und rauchte aber fort, ohne ein Wort zu sprechen, und mußte schließlich von gutmüthigen Zechbrüdern nach Hause geschleift werden. Zufällig machte eines Tages jemand die Beobachtung, daß der Tonkünstler während dieser Bierhypnose zu automatischen Bewegungen gereizt werden könne. Allmählich wurden alle Hansen'schen Kunststücke mit ihm durchprobirt und sie gelangen vortrefflich. Er verspeiste heißabgesottene oder rohe Kartoffeln, tanzte, ritt auf Sesseln und trank sogar ein kleines Glas voll sogenannten »Bierhansels« (Bierneige), ohne eine Miene zu verziehen, aus, so daß ein förmlicher Beweis dafür hergestellt war, daß nicht allein durch langweilige Musik, Uhrticken oder Glaskrystalle, sondern auch durch Biergläser die Hypnose hervorgerufen werden könne.

Leider blieb es nicht bei dieser an sich harmlosen Wirkung der Bierhypnose, sondern der Zustand Herrn Ottokar Perls verschlimmerte sich insoferne, als in ihm Wahnvorstellungen entstanden, welche stets mit dem Tischgespräche im Zusammenhänge waren. Bald hielt er sich für einen Boer, bald für einen Nihilisten, in welch' letzterer Eigenschaft er die Anwesenden dringend aufforderte, ihn sofort aufzuhängen, ja selbst die flüchtigsten Bemerkungen blieben nicht ohne Eindruck auf ihn.

Auf Grund eines Gespräches nun, das sich um das edle Volksstück »Der geschundene Raubritter« gedreht hatte, setzte sich in dem somnambulen Trinker eines Abends die Vorstellung fest, er selbst sei jener Raubritter, wolle es aber nicht auf das Schinden ankommen lassen, sondern sich lieber eigenhändig die Haut vom Leibe ziehen. Zu diesem Zwecke ließ er sich mitten auf der Straße nieder und indem er brüllte: »Jetzt fahr' ich aus der Haut!« begann er Stück für Stück seiner Kleidung von sich zu werfen, bis er halb nackt auf den Steinen saß. »Aha,« brummte er, die Kälte fühlend, »es ist doch frischer, wenn man keine Haut mehr am Leib' hat ... aber jetzt ist's schon alles eins, soll auch das letzte Stück herunter – – hätt' nicht gedacht, daß das so leicht geht ... so, jetzt soll einer von diesen Hundeknochen, den Knappen sagen, daß er mich geschunden hat ... ich bin ich ... brrrr ...«

Damit wollte er in der That sich des Restes seiner Gewandung entledigen, als eine starke Faust ihn beim Genick erwischte und zur Bedeckung zwang. Es war ein Wachmann, welcher dem tollen Beginnen des eingebildeten Raubritters Einhalt that und denselben arretirte, nachdem er ihn mit vieler Mühe dahin gebracht hatte, sich wieder anzukleiden. Herr Ottokar Perl betheuerte nämlich unaufhörlich, daß er von seiner Haut nichts mehr wissen wolle, man möge seinethalben Plaidriemen daraus schneiden. Die Folge der vermeintlichen Selbstschindung war eine Anklage wegen Verletzung der öffentlichen Sittlichkeit und gegen diese hätte sich Herr Ottokar Perl verantworten sollen. Allein er erinnerte sich dieser ganzen Geschichte noch weniger als seines Namens, und der Richter sah sich daher veranlaßt, die Untersuchung des Geisteszustandes des Angeklagten zu verfügen. Herr Ottokar Perl, der geschundene Raubritter von der traurigen Gestalt, hatte für diese Entschließung des Richters nichts als ein duseliges Lächeln.

* * *


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