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Das schwache Bitterwasser

Naturalia non sunt turpia.

Es läutete gerade Mittag. Da keuchte ein kleiner dicker Mann aus einem Hause heraus und lief zu einem Greislerladen schräg gegenüber. Hier schwang er, glühend vor Zorn, eine halbgeleerte Bitterwasserflasche und schrie in den Laden hinein: »Sie Lump, glauben's, ich hab' meine Zeit g'stohl'n? Jetzt wart' ich seit sieben Uhr früh auf die Wirkung und sitz' herum wie ein ang'mal'ner Türk', ohne allen Erfolg. Ich werd' Ihnen helfen, abg'standenes Bachwasser als Bitterwasser verkaufen!« Herr Johann Nepomuk Böheim, der so schwer verdächtige Fragner, griff mit beiden Händen nach einem Bündel Peitschenstöcke, das nächst der Thüre stand, und wollte damit den kleinen dicken Herrn durchwalken. Allein dieser setzte alsogleich seine kurzen Beine in eine fabelhaft rasche Bewegung und rannte unter dem Jubel einiger an dem Vorfalle lebhaft interessirter Gassenjungen in sein Haus zurück. Herr Böheim stellte die Peitschenstöcke wieder an ihren Ort, trat in die Wohnstube neben dem Laden und kam bald darauf, mit dem Sonntagsrocke angethan, sowie mit einem unheilvoll düsteren Gesicht wieder zum Vorschein. Er warf einen schrecklichen Blick hinüber nach den Fenstern seines Beleidigers und ging die Straße hinab gegen die Stadt zu. »Er geht zu ein' Doctor,« sagte Frau Böheim zu mehreren Kunden; »so a kecker Mensch, wia der Ringler, muaß eing'sperrt werd'n.« In der That erhielt der Privatier Herr Ringler bald darauf die gerichtliche Vorladung als Beschuldigter nach §. 496. Von diesem Tage an nahm der Consum des Bitterwassers aus Böheims Fragnerei einen erfreulichen Aufschwung. Ganz fremde Personen, meist Dienstmänner, holten Tag für Tag mehrere Flaschen, so daß Herr Böheim den Augenblick segnete, an welchem er den glückbringenden Conflict mit dem dicken Herrn Ringler gehabt hatte.

Zum Verhandlungstermin erschienen beide Theile vor dem Richter. Der Geklagte, Herr Ringler, schwitzte ganz erbärmlich, trug aber im Uebrigen eine so siegesgewisse Miene zur Schau, als ob er sich im Besitze von Beweisstücken befände, die zur Vernichtung seines Gegners mehr als hinreichten.

– »Was haben Sie der Anklage entgegenzusetzen?« fragte ihn der Richter.

– »Großartige Sachen, Herr Richter,« entgegnete Herr Ringler im Schweiße seines Angesichtes. »Nicht etwa, daß Sie glauben, bei mir greift nichts an – ich bin eine schwache, sanfte Natur, die einem anständigen Bitterwasser nicht eine Viertelstund' widersteh'n kann. Aber was der Herr da um theures Geld verkauft, das is ja ein kraftloser Pantsch, der vom Bitterwasser nichts hat, als den G'schmack, bei dem Ein' kleinweis übel wird. Damit Sie nicht glauben, daß ich etwa eine Roßnatur hab', sondern daß auch andere Normalmenschen mit dem Böheim'schen Bitterwasser die gleiche traurige Erfahrung g'macht haben, leg' ich eine Reihe von glaubwürdigen Zeugnissen vor, so eine Art Expertise, die ich selber als accurater Mensch auf meine Kosten ang'stellt hab'.« – Das betreffende Schriftstück begann folgendermaßen:

» Expertise

über die Wirkung des bei Böheim gekauften Bitterwassers auf nachbenannte unbeanständete und von mir über ihre Wahrnehmungen in Handschlag genommene Herren:

Experte Franz Wiesinger, Hausmeister, vollständig gesund, erklärt: Ich trank über Aufforderung Herrn Ringlers am 8. Mai um 6 Uhr früh eine halbe Flasche Bitterwasser. Es war das erste Mal in meinem Leben und mir grauste. Seitdem sind vierzehn Tage vergangen und ich habe noch immer keine Wirkung verspürt – das heißt, keine, die ich unter Eid dem Bitterwasser zuschreiben dürfte.

Experte Johann Wögler, Dienstmann, ganz in der Ordnung, deponirt: Gegen die übliche Taxe trank ich um 7 Uhr früh am 19. Mai eine ganze Flasche Bitterwasser, da sich Herr Ringler bereit erklärte, mir alle Gänge zu bezahlen. Um 2 Uhr Nachmittags sah ich mich bereits überzeugt von der Fruchtlosigkeit längerer Erwartung und daher genöthigt, mit Herrn Ringler eine andere Taxe zu vereinbaren, und zwar nach der Stunde Wartezeit. Herr Ringler bezahlte mir schließlich 12 Stunden, ohne irgend eine Leistung von meiner Seite.

Experte Florian Kampf, Comfortablekutscher, erklärt wörtlich: »A halb's Flaschel Bitterwasser hab' i 'trunken, mir is d'rauf todtenübel word'n – sunst nix.«

Experte Wilhelm ...«

– »Das Alles scheint mir nicht zur Sache zu gehören,« unterbrach der Richter hier die Vorlesung des Experten-Berichtes, welche der Geklagte mit Triumph und Behagen fortsetzen wollte. »Welcher Art das Trinkwasser war, ist gleichgiltig, es handelt sich um die Beschimpfung, welche vorgefallen ist.«

– »Aber, ich bitte, das ist keine Kleinigkeit, wenn man so aufgeregt fünf Stunden herumgeht und ...

– »Sprechen wir nicht mehr davon. Wollen Sie dem Kläger Abbitte leisten?«

– »Oho,« fiel hier Herr Böheim, furchtbar ergrimmt ob der Expertise, ein: »i nimm ka Abbitt' net an. Er muaß g'straft werd'n.«

Und dabei blieb es. Herr Ringler bezahlte fünf Gulden Geldstrafe und ging im Hinblicke auf diese, sowie auf die Kosten der Expertise mit der Ueberzeugung aus dem Gerichtshause, daß das schwächste Bitterwasser allemal auch das theuerste sei.

* * *


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