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Schimele Feiglsohn und der dressierte Karpfen

Das arme Tier befand sich jedenfalls in einem höchst unbehaglichen Zustande, denn es zappelte aus Leibeskräften. Sein Eigentümer, ein polnischer Jude, hatte es zwischen Brust und linken Arm eingezwängt und humpelte damit die Treppe nächst der Fischerkapelle aufwärts. Wir übertreiben nicht, wenn wir mitteilen, daß Schimele Feiglsohn eine Viertelstunde vorher nahe daran gewesen war, von den Händlern am Fischmarkte in die Donau geworfen zu werden, und daß ihm in dieser Hinsicht bereits bindende Versprechungen geleistet worden waren. Schimele Feiglsohn hat nämlich so seine eigene Art, Fische zu kaufen. Er liebt es, mit den gefangenen Wasserbewohnern kleine Unterhaltungen anzuknüpfen. Sein Zeigefinger bewegt sich zum Beispiel über einem Wasserbehälter, worin sich Hechte befinden, vorsichtig hin und her und dabei giebt Schimele Feiglsohn unausgesetzt jene Töne von sich, mit welchen man Hunde zu reizen pflegt: »Huß–x–x! Huß–x–x!« bis endlich ein übelgelaunter Hecht nach dem Finger schnappt. Diesen geschätzten Körperteil weiß Herr Feiglsohn jedoch immer rechtzeitig in Sicherheit zu bringen und, sehr vergnügt über die Gewandtheit, welche er dem Hechte gegenüber an den Tag gelegt, klopft Schimele den Fischer auf die Schulter, weist auf den Behälter und meint in wohlwollender Weise: »Ka Hund, das Fischel da drinn'«, worauf er, verfolgt von dem Fluche des Fischers, einen der nächsten Stände in Augenschein nimmt.

Hier taucht Schimele kühn mit der ganzen Hand unter das Wasser und klopft die Karpfen besänftigend auf den Rücken, als ob sie ungeberdige Pferde wären.

– »Gott, was für a schenes, fleischenes Getier!« sagt Schimele, dem Fischer zublinzelnd, »ka Tröppele Wasser bleibt steh'n auf ihnen.«

– »Wann's die Pratz'n net glei aussathuan, so gschiecht a Unglück«, schreit ihm der erboste Händler zu.

– »Nu«, erwidert Schimele Feiglsohn, »worum so gach? Ä Karpf' beißt doch nix.«

Dann geht er weiter, bleibt sinnend vor einem Netze stehen und fährt mit allen zehn Fingern durch die Maschen desselben, prüft den Gemütszustand eines auf dem Trockenen liegenden Fisches, indem er denselben an den weitgeöffneten Kiemen kitzelt, und bildet schließlich den Mittelpunkt eines schrecklichen Auftrittes, welcher dadurch entstanden ist, daß Schimele Feiglsohn in aller Unschuld die Ansicht ausgesprochen hat, der von ihm erstandene Karpfen habe nicht das richtige Gewicht. Nur mit bedeutender Lebensgefahr gelingt es dem schalkhaften Schimele, seinen Bedrängern begreiflich zu machen, daß er bloß sagen wollte, es wäre ihm lieber, wenn der Karpfen bei gleichem Preise um zwei Pfund schwerer wäre; und so macht er sich endlich, nachdem er den um sich schlagenden Karpfen überwältigt und in ein blaues Sacktuch eingebunden hat, etwas zerzaust auf den Heimweg.

Wir hoffen auf keinen Widerspruch zu stoßen, wenn wir die Vermutung aussprechen, daß der Donaukarpfen sich in Schimele Feiglsohns blauem Sacktuch vielleicht nicht so ganz in seinem Elemente fühlen mochte. Thatsache ist auch, daß damals, als Schimele Feiglsohn seinen Karpfen über die Brücke trug, dieses edle Tier verzweifelte Anstrengungen machte, um sich unter Schimele's Arm hervorzuarbeiten, worauf es sich, wenn der Versuch gelungen wäre, höchst wahrscheinlicherweise aus Lebensüberdruß in die Donau gestürzt hätte. Allein Schimele Feiglsohn pflegt – es gehört dies zu den trefflichen Eigenschaften, welche diesen Mann auszeichnen – nichts mehr auszulassen, was er einmal in Händen hat, und so hatte der Karpfen von seinem Gezappel nichts, als daß ihn sein Herr noch fester an sich drückte und ihm ab und zu einen kräftigen Schlag auf den Kopf gab mit den Worten: »Bischte ruhig Kelef Hund., bischte ruhig, ich werd' dich dressieren!«

Dies vernahm ein vorübergehender Arbeiter, und da Schimele Feiglsohn gerade wieder zuschlug und der Karpfen im Sacktuche die tollsten Sprünge machte, so sagte der mitleidige Arbeiter: »Sö Viechmarterer, wie wär's denn Ihna, wenn m'r Ihna so a paar auf'n Plutzer gebet? Segn's denn net, daß das arme Viecherl net bleib'n will, weil's es z'stark drucken; warum nehmen's es denn net an die Leine?«

Schimele Feiglsohn schüttelte sich vor Lachen. »He, he, he, an die Leine söll ech ihm nehmen? ä güter Spaß, lieber Herr, ech schwör Ihnen, ä güter Spaß (der Karpfen zappelt wieder) ... Bischte ruhig, Kelef, bischte ruhig!« ... Schimele machte sich in der angedeuteten Weise wieder an die Dressur des Karpfens, wurde aber diesmal darin durch einen Faustschlag des Arbeiters unterbrochen. Bevor Schimele sich wieder gefaßt hatte, lag das Taschentuch mit seinem Inhalte auf dem Boden der Brücke und der Tierfreund knüpfte es auf mit den Worten: »So, arm's Hunderl, jetzt kannst äußerl geh'n.« Das etwas seltsam aussehende Hunderl ließ sich das nicht zweimal sagen. Vergebens tappte die ungeschickte Hand des verblüfften Befreiers nach dem Fische – derselbe schnellte sich über den niedrigen Balken und verschwand in den Wellen der Donau.

Wir unterlassen es, Schimele Feiglsohns Jammer zu schildern, weil dieses gemütvolle Leser zu sehr ergreifen würde; aber es ist notwendig zu erwähnen, daß Schimele sich wie ein Löwe auf den Arbeiter stürzte und, vor ihm angelangt, die Umstehenden anflehte, denselben zu lynchen. Beide wurden arretiert und es entwickelte sich aus dem Vorfalle die Ehrenbeleidigungsklage Schimele Feiglsohn contra Vincenz Gärber.

Der Arbeiter verantwortete sich vor dem Richter dahin, daß er sich von Mitleid für einen vermeintlich mißhandelten Hund habe zu dem Faustschlage hinreißen lassen, allein der Herr Gegner hätte auch den Karpfen besser behandeln sollen; er sei übrigens bereit, den Wert desselben zu ersetzen und sein Bedauern über das Geschehene auszusprechen.

Schimele Feiglsohn dachte über diesen Ausgleichsantrag eine Weile nach; dann erklärte er sich mit demselben einverstanden und begründete dies in folgender hochherzigen Art: »Mei Tochter hat m'r vorgelesen a Stück, wo aner von unsere Leut in Venedig einem Goj gerad a so is über gewest wie heunte ich. Hätt' er sich ausgeglichen der Scheylock, er kenn' heunte noch ohne Machloike (Zwist) leben!«

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