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Der Zweikampf im Wasser

Ein Aquarell.

Eine Kaltwasserheilanstalt bietet demjenigen, der sie zum erstenmale betritt, in der Regel einen höchst unheimlichen Anblick dar. In dem feuchten halbdunklen Raum sieht man hier und dort geisterhafte Gestalten in Leinlaken, als ob sie eben der Gespensterscene aus dem »Müller und sein Kind« entlaufen wären. Sie stehen regungslos vor einem Gegenstande, der sich in der unsicheren Beleuchtung ausnimmt wie ein Sarg, aus dessen Tiefe sie auferstanden. Diesen Schemen wird eine kalte Abreibung zu teil, nach deren Beendigung sie in den Sarg, der eine Badewanne ist, zurückgeworfen und geraume Zeit von kräftigen Händen mit Wasser begossen werden, wobei sie jene charakteristischen Laute von sich geben, die unzertrennlich sind von dem Gefühle, kaltes Wasser auf den erhitzten Leib zu kriegen und die, soweit sie sich in der Schrift wiedergeben lassen, ungefähr folgendermaßen lauten: Aaaaaaah ... aaah ... aah ... prrlwr ... phhh ... hauh ... bruuuh u. s. w. – höchst merkwürdige Töne, wie sie nur ein Empfindungsmosaik von Wut über den gefühllosen Badewaschel, Beängstigung über die Atemnot, und Befriedigung über die hoffentlich heilsame Wirkung des Halbbades erzeugen kann. Dann sieht man in kleinen Zellen auf niedrigen Ruhebetten Mumien liegen, deren Wiederbelebung anzuwohnen ein höchst lehrreiches Schauspiel ist. Ein Badediener tritt ein, stellt die Mumie zunächst auf die Füße und gängelt sie hierauf hinaus an eine freie Stelle. Hier wird ihr die Umhüllung rasch vom Körper gerissen, und es kommt meistens ein von Fettleibigkeit sehr geplagter Mitmensch zum Vorschein, der plötzlich wie toll im Gemache herumzutanzen beginnt. Diese erfreuliche Rührigkeit dankt er einem Schlauche, aus dem ihn der Badediener, taub gegen alle Vorstellungen und Bitten, wie: Nicht gleich so stark ... Halten's doch a bissel aus ... Werden's sehen, ich fall' um ... Sie, wenn S' mich noch einmal auf die Nas'n spritzen! – mit unerschütterlichem Gleichmut kurmäßig bedient.

Unberührt von diesen und anderen hydropathischen Cirkusscenen sitzen mehrere Gestalten da, eingehüllt in lange weiße Gewänder, das Haupt bedeckt mit einer weißen Zipfelmütze. In ihrer erhabenen Ruhe erinnern sie an die römischen Senatoren beim Eindringen der Horden des Brennus oder an indische Fakire oder an die würdigsten Olympier. Diese verehrungswürdigen Herren befinden sich in Sitzbädern. Wer diese herrliche Art des partiellen Badens niemals versucht hat, weiß nicht, wie sänftigend sie auf den Organismus wirkt, wie die aufgeregtesten Temperamente dadurch milden Regungen zugänglich gemacht werden. Natürlich, man sitzt ja kühl bis ans Herz hinan. Wir hätten wahrhaftig eher alles andere erwartet, als daß diese Regel eine Ausnahme erleiden sollte; und doch kann es nicht mehr länger verschwiegen werden – es haben sich neulich zwei Sitzbadgäste in äußerst kurwidrigerweise geprügelt. Diese unerhörte Ausschreitung wurde durch den spitzbübischen Zufall vorbereitet, daß Herr Engelbert Mohr neben Herrn Sigmund Hauer zu sitzen kam, der vor einiger Zeit falliert und seinen Gläubigern, darunter Herrn Mohr, eine äußerst geringe Ausgleichsquote geboten hatte.

Anfänglich thaten die beiden, als hätten sie einander im Leben nie gesehen, zogen die Laken fester an sich, schwippten etwas Wasser aus der Wanne, und während Herr Mohr nun seine Füße einer wohlgefälligen Betrachtung unterzog, begann Herr Hauer ein Lied zu summen. Trotzdem dies nur eine musikalische Ausflucht, ein Verlegenheitssummen war, das einen oft anwandelt, wenn man nicht weiß, was sonst zu thun angezeigt wäre, ärgerte es Herrn Mohr doch über die Maßen.

– »Sie haben's notwendig zu singen«, sagte er endlich herausfordernd zu seinem Nachbar, »und ein Sitzbad zu nehmen. Für wen wollen Sie denn eigentlich Ihren werten Unterkörper erhalten? für Ihre Gläubiger gewiß nicht.«

Herr Hauer wurde purpurrot im Gesichte über diese Bemerkung, und die Gereiztheit seines Angreifers überbietend, erwiderte er: »Das ist doch unerlaubt, hier von solchen Sachen anzufangen. Warum ich meinen werten Unterkörper erhalten will, wollen Sie wissen? Weil ich stolz auf ihn bin, verstehen Sie mich, sehr stolz, Gott sei Dank! Und singen thu' ich, weil ich Ursache dazu hab'; bin ich doch kein Gläubiger von mir.«

Herr Mohr fand diese Antwort sehr frivol und machte eine entsprechende Gegenbemerkung, worauf ihn sein Gegner einen alten Schöpsen nannte und zugleich dem Wunsche Ausdruck gab, es möchte doch der Kopf desselben in der Sitzwanne sich befinden, was eine herrliche Ertränkung abgeben würde. Außer sich vor Wut sprang nun Herr Mohr auf, warf die Laken von sich und fiel über seinen frechen Schuldner her. Die erste Folge des nun entbrennenden Zweikampfes äußerte sich in dem Umstürzen der Wanne, in welcher Herr Hauer seinen werten Unterleib untergebracht hatte, und die ihren Inhalt mit lobenswerter Unparteilichkeit auf beide Kämpfer ausgoß. Dann wälzten sich diese eine Weile herum und fielen endlich in das kaum einen Schritt entfernte, mit eiskaltem Wasser gefüllte Bassin, aus dem sie von mehreren Badegästen und den Dienern herausgefischt werden mußten.

Wieder auf dem festen Lande, behauptete Herr Mohr unter fürchterlichen Eidschwüren, daß ihm sein Gegner unter dem Wasser eine gewaltige Ohrfeige versetzt habe, wofür er ihm büßen solle. In der That fand der stattgehabte Kampf ein Nachspiel vor dem Bezirksgerichte, wo indes die Sache nicht so heiß zu Ende geführt wurde, als sie angefangen hatte, denn als Herr Hauer vernahm, daß über eine Gegenklage des Herrn Mohr auch ihm wegen des Ausdruckes »alter Schöps« eine Verurteilung gewiß sei, fand er es geraten, einen Ausgleich einzugehen. Es hatten sich im Gerichtszimmer viele Anhänger der Kaltwasserkur eingefunden, um der Verhandlung über diesen unerhörten Fall beizuwohnen. Unter denselben herrschte nur eine Stimme über die Verwerflichkeit des Geschehenen, und sie bedauerten allgemein, daß durch den geschilderten Vorgang die Gemüter der Sitzbadgäste vermutlich in eine schädliche Aufregung versetzt worden seien. Allein dem war nicht so; wie nämlich der als Zeuge anwesende Ober-Badwaschel konstatierte, waren damals die anderen Sitzbadgäste trotz dem zu ihren Füßen tobenden Kampfe mit bewundernswerter Ruhe in ihren Wannen hocken geblieben. Durch das musterhafte, klassische Verhalten dieser ausgezeichneten Männer wurden die Tradition, die Ehre und der Ruf des Sitzbades gerettet.

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