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Der Neujahrs-Harpagon

Zur Trinkgelder-Frage.

Fast will die vor Mördern nicht erzitternde Feder sich sträuben, den Umriß eines Mannes zu entwerfen, dessen entartetes Wesen sich sträubt gegen liebevolle Aufmerksamkeit; der jeden ehrerbietigen Gruß verachtet und die schon auf den Lippen schwebenden Glückwünsche aus dem Grunde seiner schwarzen Seele haßt; der – o Entrüstung leih' uns das rechte Wort! – der ein Neujahrs–Harpagon ist. Da springen sie um ihn herum die lieben unschuldigen Geschöpfe: Zahlkellner, Marqueur und Hausmeister, schauen ihn mit hellen freundlichen Augen an und schmeicheln ihm mit jener rührenden Treuherzigkeit, welche jedem gemütvollen Menschen die letzten Tage des alten Jahres so angenehm macht. Nur der Neujahrs-Harpagon bleibt ungerührt, ja er setzt den zahlreichen Beweisen von Anhänglichkeit schroffe Abweisung entgegen. Seine niedrige Sinnesart verleitet ihn gewöhnlich, schon Ende November aus dem Kaffeehause, welches er bis dahin besucht hat, auszubleiben. Er hat das ganze Jahr sorgfältig beobachtet, auf welche Art der Kaffeesieder am leichtesten wild zu machen ist, packt jetzt den ahnungslosen Mann bei dieser schwachen Seite, der Unglückliche geht in die Falle und unser Harpagon zieht nach einem fürchterlichen Streit äußerst vergnügt ab. Er besucht von da an regelmäßig ein anderes Kaffeehaus und ruft dadurch in den Bediensteten desselben gleichfalls trügerische Hoffnungen wach, denn am Neujahrstage erscheint er auch in diesem Kaffeehause nicht mehr, sondern in einem dritten, möglichst entlegenen.

Wohl wissend, daß vermöge eines geheimen Bundes der Marqueure derlei ausgebliebene Gäste sofort bekannt und unerträglich schlecht behandelt werden, giebt sich der Neujahrs-Harpagon in den kritischen Tagen nach Neujahr als Reisender. Er besucht das Kaffeehaus nur in einer Pelzmütze und mit einer kleinen Reisetasche, als ob er sich bloß vorübergehend in Wien aufhielte. Auf diese Art macht er auch die Vorsicht mancher Marqueure, selbst neuen Gästen für alle Fälle den Kalender auf das Kaffeebrett zu legen, zu Schanden. In demselben Reisekostüm macht er seine Gänge ins Speisehaus, zum Friseur, kurz überall hin, wo er in diesen Tagen als Einheimischer beträchtlicher Gefahr preisgegeben wäre, immer natürlich den Stadtteil vermeidend, den er kurz vor Neujahr unter dem Fluche seines Hausmeisters verlassen.

Ein solcher Neujahrs-Harpagon wurde, eben als er die einleitenden Schritte zum Ausbleiben aus dem Café »Pelikan« unternahm, schmählich entlarvt. Es war der Privatier Herr Andreas Knotzer. Schon seit längerer Zeit glaubten die Marqueure an seinem Benehmen die Symptome eines krankhaften Abscheues vor jeder Anspielung auf den unvermeidlichen Eintritt eines neuen Jahres wahrzunehmen und man setzte ihn deshalb auf die Liste der zweifelhaften Gäste, ohne indes ihm selbst gegenüber diesen kränkenden Verdacht irgendwie merken zu lassen. In der That trat ein Ereignis ein, welches den Beweis lieferte, welch' feine Menschenkenner sich oft hinter einem schwarzen Fracke und einer weißen Serviette verbergen. Es heulte nämlich ein Hund – der so klein war, daß dessen Besitzer die Polizeivorschrift, keinen Hund in ein Kaffeehaus mitzunehmen, fast gar nicht übertrat – infolge eines Trittes laut auf und diese Gelegenheit wollte der Neujahrs-Harpagon benutzen, um einen Streit herbeizuführen, bei welchem das Recht auf seiner Seite und sein Ausbleiben somit gerechtfertigt wäre. Er zog zunächst über die Niederträchtigkeit der Hundecharaktere im allgemeinen los, schimpfte dann besonders auf den kleinen Hund, gegen welchen er vorbrachte, daß derselbe bei der im Lokale herrschenden Hitze leicht wütend werden könne, und brachte dem Cafétier schließlich das polizeiliche Verbot in Erinnerung. Darauf entgegnete dieser höchst aufgebracht, daß Herr Knotzer demselben Hunde noch vor einem Monate ein Stück Zucker gegeben und ihn liebkost habe, und daß man das unwürdige Manöver durchschaue; Herr Knotzer möge nur ausbleiben, an einem solchen ... Gaste läge nichts. Das durch die Punkte angedeutete Eigenschaftswort ging denn doch über die Berechnungen des Neujahrs-Harpagons und er brachte gegen den Cafétier die Ehrenbeleidigungsklage ein. Er erschien jedoch nicht zur Verhandlung und der Geklagte wurde somit freigesprochen.

Wie hätte auch der Neujahrs-Harpagon den als Zeugen gegenwärtigen Marqueuren, welche er durch listige Handlungen in ihrem Rechte auf ein Neujahrsgeld absichtlich beschädigt hatte, in die leidenden Gesichter sehen können?

Genius des neuen Jahres, verhülle ob der geschilderten bedenklichen Erscheinung dein mildes Haupt und lächle erst wieder durch deine Thränen, wenn das fröhliche Klingen der Neujahrsgelder von allen Seiten zu dir empordringt! Aber auch unser, die wir bloß geben zu Neujahr und nichts kriegen, gedenke ein wenig, und daß uns noch ein paar Kreuzer im Sacke bleiben – des walte du, erleuchteter Geist! ...

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