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Die Neujahrsnacht eines Betrunkenen

Phantasie-Bild.

Es war eine ganz merkwürdige Stimmung, in welcher Herr Kilian Stippel in der bitterkalten Sylvesternacht eine Kneipe verließ, deren Eigentümer sich beeilte, die Läden hinter diesem Gaste zu schließen. Der vortreffliche Mann, der sich so plötzlich auf der Straße fand, erinnerte sich im ersten Augenblicke nur dunkel an die Ursachen des auffallenden Temperaturwechsels. Die nächste Vermuthung, die ihn beschlich: daß er nämlich auf ganz unbegreifliche Weise in das Kommunalbad gerathen sei, erwies sich als falsch, denn beim ersten Tempo überzeugte er sich von der festen Beschaffenheit seiner Unterlage so vollkommen, daß er mit voller Beruhigung das beabsichtigte Pudelschwimmen unterließ und dennoch bald in Sicherheit zu sein hoffte. Vorsichtig mit den Händen herumtastend, machte er die erfreuliche Entdeckung, daß so viel Land um ihn vorhanden sei, als er zum Aufstehen benöthige, und da irgend etwas in der Nähe war, das einen Stützpunkt abgab, so stand Herr Stippel bald auf den Beinen, wobei er allerdings die Empfindung hatte, als wären diese hoch in der Luft und stünde er eigentlich auf dem Kopfe.

Im Bemühen, seiner Umgebung das Gleichgewicht zu halten, packte er sich bei der Kravatte, deren Existenz sowie die kurz darauf erfolgte Entdeckung eines Oberrockes ihn immermehr in der Ueberzeugung bestärkten, daß er sich in einer ihm vorläufig nicht näher bekannten aber gewiß ungemein civilisirten Gegend befände. Allgemach entstand nun auch eine leise Erinnerung in seiner Seele, daß in der Nähe ein Wirthshaus stehen müsse, wo vor undenklich langer Zeit jemand ein Hund genannt worden; allein je länger er über diesen mythischen Vorfall nachgrübelte, desto unwahrscheinlicher wollte es ihm dünken, daß seine Person der Mittelpunkt desselben gewesen sei. Er entsann sich jetzt ganz genau, eine Anrede an die versammelte Gesellschaft gehalten zu haben, worüber diese in lärmende Begeisterung ausbrach. Man trug ihn auf den Händen, durchzog das Gemach im Triumphe mit ihm, und eben sollte der gefeierte Mann dem jubelnden Volke draußen gezeigt werden, als sich die Thüre öffnete und einen eiskalten Luftzug einließ, vor dem Alles die Flucht in ein wärmeres Klima ergriff. Bei dieser Gelegenheit mußte man seiner ganz vergessen haben. Inzwischen hatte sich die Erde fortbewegt von dieser Stelle, war weiß Gott schon wie weit, und er sollte nun warten, bis sie morgen wieder vorüber käme und ihn auflade? ...

»Schöne Freund'!« murmelte Herr Stippel und trat mit dem linken Fuße aus, um fortzugehen. Inmitten dieses Beginnens drängte sich ihm die unliebsame Beobachtung auf, daß ihn eine unsichtbare Macht fortgesetzt gegen einen Laternenpfahl werfe, ohne um Entschuldigung für diese Ungezogenheit zu bitten. Gerne hätte der sonst so tapfere und unternehmende Mann jetzt an die Polizei die Frage gerichtet, ob sie nicht die Verpflichtung fühle, gegen solche Uebergriffe einzuschreiten, doch mäßigte sich sein Grimm, als er bedachte, daß er wahrscheinlich blos einen betrunkenen Geist vor sich habe, der sich an der Laternenflamme wärmen möchte. Weil aber die Anwürfe gar nicht aufhören wollten, so setzte sich der gutmüthige Mann endlich nieder und freute sich über diesen Akt von Selbstbestimmung so herzlich, daß er aus vollem Halse lachte. Die Anstrengung des Lachens, sowie das Schauen in eine weite nebelhafte Ferne ermüdeten ihn, und er schloß die Augen, nachdem er noch zu jemandem, der ihn nicht weiter interessirte, von dem er aber glaubte, im Vorübereilen ein »Wünsch gute Nacht, Herr Stippel!« gehört zu haben, »Serwas« gesagt hatte.

Der einsame Schläfer hätte geschworen darauf, eben erst eingenickt zu haben, als ihn eine wahre Todesangst weckte. Herr des Himmels, wie kalt fühlte sich seine Stirne an, wie spiegelglatt waren seine Blutgefäße, auf denen viel tausend Ameisen in Schlittschuhen durcheinanderwirbelten; wie dehnte die gefrorne Fläche seines Gehirns sich aus und drohte ihm den Schädel zu zersprengen! Und wer beschreibt seinen Schrecken, als er mit unsäglicher Mühe die Stiefel auszieht und auch seine Füße sich anfühlen, wie die der steinernen Karyatiden auf dem Josephsplatze; als er schreien will und Sand in den Mund bekommt! Letzterer Umstand wäre an und für sich der unbedenklichste gewesen, denn bei nüchterner Erwägung hätte Herr Stippel gewiß nicht darauf vergessen, daß ihn blos der hartnäckige Widerstand des rechten Stiefels mit dem Gesichte auf einen Sandhaufen geworfen hatte. Für den Unglücklichen bestand aber nun kein weiterer Zweifel mehr: er war gestorben und die Leute drinnen hatten ihn nicht im Triumph herausgetragen, sondern weil sein trauriges Ende sie im Trinken genirte. Die Unmenschen! Nicht einmal seinen Hut hatten sie ihm zu solch' weiter Reise mitgegeben ... Ja freilich, ihm saß der Tod im Leibe ... Es war ihm schon einmal im Traum so schattenhaft, so kalt und schaurig gewesen wie heute und da hatte er ebenfalls geglaubt, das bedeute den Tod, während es nur eine Vorahnung von dem allerdings auch höchst betrübsamen Ereignis war, das sich einige Tage später einstellte, indem er nämlich gepfändet wurde.

Jetzt aber war es Ernst. Gar deutlich verspürte er seinen eigenen Leichengeruch und bemühte sich, da ohnehin keine Hilfe möglich, wenigstens ein anständiges, ernsthaftes Leichengesicht zu machen. Dann dachte er aber an seine Familie und mußte weinen. Um Alles in der Welt hätte er gern gewußt, wie viel Waisen er zurücklasse; es fiel ihm aber nicht ein, so inbrünstig sich auch alle seine Gedanken auf diesen Punkt konzentrirten. Darüber flossen seine Thränen noch reichlicher, denn er vermeinte, es werde in der Ewigkeit jedem Vater übel angeschrieben werden, nicht einmal zu wissen, wie viel Kinder er zu Waisen gemacht. Ebensowenig konnte er es zu einer einheitlichen Vorstellung in Betreff seiner armen Frau bringen. Er war dreimal verehelicht gewesen, doch wäre ihm in dem gegenwärtigen Augenblicke bei Todesstrafe (welch' sinnlose Drohung für ihn) nicht eingefallen, welche von den drei Liebesgöttinnen noch in jener Welt verweile, die er soeben verlassen. Es schnürte ihm das Herz zusammen, als er die Wahrscheinlichkeit erwog, demnächst mit den beiden verstorbenen Damen eine Bekanntschaft zu erneuern, die er auf Erden nicht ungern abgebrochen hatte. Auch hegte er die Befürchtung, daß, wenn die Friedfertigkeit der Bewohner des Jenseits von den betreffenden Fachgelehrten nur um ein Weniges übertrieben worden, besagte Damen keinen Anstand nehmen würden, ihm das Paradies so heiß als möglich zu machen. Angesichts solch' ungewissen Looses bemächtigte sich seiner eine unendliche Verstimmung. Während er weiters erwog, daß man ihn eigentlich trotz seiner Leblosigkeit keinen Hund zu nennen brauchte, und daß ein warmer Filzhut auch im Jenseits nicht schaden könnte, grub er mit erstarrten Händen sein Grab und legte seine Nase hinein. So lag er und wartete der übrigen Entwicklung seines Ablebens, bis ein himmlischer Strahl seine Augen blendete und eine Posaunenstimme, die ihm merkwürdig bekannt vorkam, die Auferstehungsworte sprach: »Saufaus, wenn ich dich nicht aufklaub' heut' Nacht, so bist erfror'n!«

*

Drei Wochen nach den geschilderten Vorgängen sollte sich Herr Stippel vor dem Bezirksgerichte wegen einer Ehrenbeleidigung verantworten. Anstatt seiner Person erschien jedoch nur ein Schreiben, worin er um Vertagung der Verhandlung ersuchte, weil ein »schwerer Kopf und Nervendruck« ihn am Ausgehen hinderten. Das ist gewiß eine lange »Reue des Magens« wie Börne den Katzenjammer nennt. Niemand, der je die Neujahrsnacht würdig gefeiert hat, wird ermangeln, dem Schicksal des so schwer heimgesuchten Zechers eine Thräne des Mitgefühls zu weihen.

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