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Unter Dienstbotmäßigkeit

Erinnerung an die Sommerfrische.

Zugleich mit den unförmlichen Möbelwagen, welche zur Herbsteszeit allerlei Hausrat aus den Sommerfrischen nach der Stadt zurückbringen, werden auch die verschiedenen Prozesse zurückgeschleppt, die sich die Parteien im Laufe des Sommers an den Hals gehängt haben. Die meisten derselben betreffen höchst empfindliche Ehrenkränkungen zwischen den ländlichen Hausbesitzern und den Mietparteien, wobei es sich gewöhnlich, wenn von Seite der letzteren geklagt wird, um den Ausdruck »Wiener Bagaschi«, »G'lumpert« oder »notiges G'sindel« handelt, während die Klagen der ersteren sich um den Vorwurf der Betrügerei, Rohheit und Schuftigkeit zu drehen pflegen. Klagen, deren Entstehung in die Zeit der Obstreife fällt, sind fast immer gegenseitige, indem die Eltern der liebenswürdigen, aber genäschigen Rangen von dem Gerichte eine womöglich lebenslängliche Kerkerhaft für den Garteneigentümer begehren, der die seine Obsternte gefährdende Jugend grausam durchgewalkt hat, wogegen der Beschuldigte keinen Anstand nimmt, zu erklären, daß der Obstdiebstahl in seinen Augen eines der schändlichsten Verbrechen sei, dessen Bestrafung er seinerseits von dem Gerichte begehren müsse. Dazu kommen noch die Klagen unverträglicher Sommerparteien gegen einander, und so bedarf es dann nur eines Besuches bei dem einen oder andern Bezirksgerichte vor der Linie, um die Überzeugung zu gewinnen, wie sauer sich die Leute den Aufenthalt in jener Halbnatur unmittelbar außerhalb des Weichbildes der Großstadt machen, wo mit wenigen Ausnahmen ohnehin nur die Schattenseiten des Landlebens anzutreffen sind.

Über all' den Klagen liegt, wie überhaupt über allem, womit der Mensch sich selbst zu quälen liebt, ein beträchtlicher Anstrich unfreiwilliger Komik. Mehr als die herkömmliche Heiterkeit entfesselte aber folgender aus der Sommerfrische eingewanderter Prozeß, der in eine ganze Familie die Kriegsfackel getragen hatte. Es erschienen in dem Amtszimmer des Richters mehrere junge und ältere Damen, begleitet von einem Herrn, in dessen behäbigem Gesichte immer ein wohlwollend-ironisches Lächeln aufzuckte, so oft er es nach der andern Ecke des Zimmers richtete, wo ein schmächtiger, junger Mann mit dünnem Flachshaar und weit geöffneten blauen Augen neben einem üppigen, nach Dienstbotenart gekleideten Mädchen Posto gefaßt hatte. Das letztere maß von Zeit zu Zeit die unter einander zischelnden Damen mit einem Blicke, in welchem sich ungemein viel Verachtung für Magerkeit und Alter ausdrückte. Als der Richter erschien, machte die Schöne einen Knix und stellte sich in ihrer ganzen Breite vor den schmächtigen Jüngling, als sei sie gesonnen, jeden Kampf aufzunehmen, falls der starke Arm der Gerechtigkeit ihr dieses zarte Wesen entreißen wollte. Der Richter brachte den Gegenstand der Klage zur Kenntnis der Anwesenden und ersuchte hierauf die Zeugen, sich vorläufig zu entfernen. Nur ungern zog das Dienstmädchen seine Fittiche von dem Jünglinge ab, und nicht ohne demselben vorher einige Worte der Ermutigung zugeraunt zu haben. Aus der Klage ging hervor, daß Herr Theodor Sittewald, dramatischer Eleve, nicht ohne lebhaftes Bedauern, aber gezwungen durch peinliche Verhältnisse, die Bestrafung seines Schwagers, des Privaten Anton Zierbel, wegen Ehrenbeleidigung verlange, weil ihn derselbe auf seinem Sommersitze zu Pötzleinsdorf in Gegenwart von Hausleuten und Familienangehörigen einen »Heiratsschwindler« genannt habe. Wieder durchlief das behagliche Antlitz des Geklagten jenes ironische Lächeln, und verschwand auch nicht, als er aufgefordert wurde, sich gegen die Anklage zu rechtfertigen.

– »Herr Richter«, sagte er, die rundliche Hand gegen den Kläger erhebend, »dieser junge Mann, mein Schwager, hat ganz richtig angegeben, daß ich ihn einen Heiratsschwindler genannt habe. Ob es so bös gemeint war, daß ich deshalb gestraft werden muß, ist eine andere Frage. Ich will nicht leugnen, daß ich mich in einer ärgerlichen Stimmung gegen ihn befand. Sie werden dieselbe vielleicht begreiflich finden, wenn ich Ihnen sage, daß die hübsche Person, welche Sie vorhin hinausgeschickt haben, das sechste Dienstmädchen ist, welches ich wegen meines Schwagers entlassen mußte. Wir haben seinem schwärmerischen Naturell viel verziehen und die Familie hat sich sogar darüber beruhigt, daß er zum Theater gehen will, obschon er – unter uns gesagt – einen lästigen Sprachfehler hat, da er das K und G nicht aussprechen kann ...«

– »Das tann sich deben«, fiel hier der Jüngling, blutrot vor Beschämung, ein, »und es hat sich schon sehr dedeben; ich trinte schon seit vier Monaten alle Tade ein Dlas Weinessid, um meine Zunde für diese schauderhaften Buchstaben abzuhärten.«

– »Lieber Herr Schwager«, antwortete der Geklagte mit gutmütigem Spott, »ich fürchte, du wirst nie ein guter »Tönid Lear« werden. Aber lassen wir das, in diese Schrulle haben wir uns ja hineingefunden. Du hast jedoch die weit verhängnisvollere Gewohnheit, dich mit jedem meiner Dienstmädchen nach den ersten vierzehn Tagen zu verloben und an sämtliche Mitglieder unserer Familie und an alle Bekannten Karten auszuschicken, in welchen du dieses vergnügliche Ereignis bekannt giebst. Ich kann Ihnen, Herr Richter, den Grad der Verlegenheit nicht schildern, in der meine Frau und ich uns befinden, wenn die Gratulationskarten einlaufen oder gar die Verwandtschaft ihre Glückwünsche persönlich überbringt und erfährt, daß die Braut meines Schwagers gerade in der Küche draußen mit dem Abwaschen des Geschirres beschäftigt ist. Fünfmal haben wir uns gerettet, indem wir die Braut aus dem Dienste entließen und meinem Schwager mit dem Entzuge der monatlichen Unterstützung drohten. Die sechste aber, die hat ihn mit Haut und Haar, die steift sich allen Ernstes auf die natürlich wieder stattgehabte Verlobung, und er will sie heiraten, ohne zu wissen, wovon er die Kosten ihres gemeinschaftlichen Unterhaltes bestreiten soll. Wenn das nicht eine Art Heiratsschwindel ist, so will ich Veit heißen – und das ist die ganze dumme Geschichte, Herr Richter.«

– »Und das Schladeisen, wo bleibt das?« sagte der Eleve vorwurfsvoll.

– »Welches Schlageisen?«

– »Nun, man hat mich doch einmal im Darten vor dem Küchenfenster mit einem Schladeisen defanden, wie ein wildes Tier.«

– »Du wirst doch nicht glauben, daß ich dir das Schlageisen gestellt habe, du Hans Narr. Es ist richtig, Herr Richter, daß er sich einmal bei einem Stelldichein vor dem Küchenfenster mit dem linken Fuße in einem Schlageisen gefangen hat. Das hat ihm aber offenbar jemand von den Hausleuten gestellt, zu deren Gespött er sich ja machte.«

Der Jüngling richtete sich jetzt in seiner ganzen aufgeschossenen, dürren Länge empor und gab folgendes pathetische Bekenntnis ab, welches allerdings durch den fatalen Mangel aller K und G viel von der beabsichtigten schönen Wirkung verlor: »Herr Richter, seit meiner frühesten Judend hatte ich demokratischen Neidunden dehuldidt. Warum sollte ich nicht eine Dienstmaddt zur Defährtin meines Lebens machen, wenn sie mir defiel. Ich tönnte Beispiele aus der Deschichte zitieren, wie die Ruth, die Phyllis, die Briseis und die Tetmessa. Was mischt sich mein Schwader in meine Andeledenheiten? Unter solchen Umständen tann der Name unseres beiderseitiden Verhältnisses nicht »Tontordia« sein – entschuldiden meine Aussprache, die meine Defühle nicht an Lebhaftidteit erreicht, ich muß jetzt anfanden, mehr Weinessid zur Abhärtund der Zunde zu trinten.

Der Richter beruhigte den wackeren Jüngling über den letzteren Punkt und sagte, er habe ihn wohl verstanden. Er vernahm hierauf die hübsche Tekmessa desselben, welche mit einem zärtlichen Blicke nach ihrem Bräutigam aussagte, sie liebe denselben unendlich, sei, wenn auch nur eine Dienstmagd, doch anständiger, als so manche noble Dame, hoffe, den geliebten Theater-Eleven dereinst in bescheidenem Haushalte glücklich zu machen und erwarte zuversichtlich, dieser werde dereinst das G und K vortrefflich aussprechen lernen, wonach es ihm gar nicht fehlen könne, ein bedeutender Künstler zu werden. Die übrigen Damen, Mutter, Schwestern und Tanten des Klägers, gaben hingegen in sehr gereiztem Tone ihre unabänderliche Entschließung dahin zu erkennen, daß sie einer so unvernünftigen und standeswidrigen Ehe nimmermehr ihre Zustimmung geben würden.

Der Richter legte nun den Parteien nahe, den bedauernswerten Familienzwist nicht bis zur Notwendigkeit der Fällung eines gerichtlichen Urteils auszudehnen. Möge die angestrebte Ehe Billigung verdienen oder nicht – worüber er sich jeder Meinungsäußerung enthalte – so wäre es doch wünschenswert, wenn der Geklagte den Ausdruck »Heiratsschwindler« bedauere und der Kläger sich damit zufrieden gäbe. Nach längerem Sträuben seitens des tiefgekränkten Eleven erfolgte denn auch der Ausgleich in dieser Weise.

– »Eines möchte ich dir aber doch noch zu bedenken geben«, sagte der wohlwollende Herr Zierbel mit einem drolligen Augenzwinkern zu seinem Schwager. »Der Geliebte der Magd Briseis hieß, wenn ich das Zeug noch recht im Kopfe habe, Achilles, und die Tekmessa hatte einen Ajax zum Verehrer. Du bist kein solcher Held, mein lieber Dori (Theodor).

– »Herr ... Schwader ...« stotterte Dori erzürnt, »schämen Sie sich Ihrer ... Bosheit, jetzt reden Sie, als ob ... als ob Sie Essid auf der Zunde hätten.

– »Bravo, Dori«, jubelte die Magd ihm zu, »gut hast ihn gedefftet Klein gemacht. dein Herrn Schwager. Kein Bissen red't er mehr.« Und damit zog Tekmessa ihren zukünftigen Eheherrn aus dem Bereiche seiner Verwandten.

* * *


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