Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von Haus zu Haus

Ein Balkon.

Ein Regenschirm.

Ein Sommer.

Eine lange Nase.

Was läßt sich aus diesem Material machen? Nichts; man mag nachdenken, wie man will. Die Preisaufgabe, zu diesen unzusammenhängenden Dingen eine Geschichte zu erdichten, bliebe ungelöst, oder ihre Lösung sähe sich sehr gezwungen an und wäre langweilig. Des Zufalls Laune aber läßt zwischen dem Balkone und dem Regenschirm, dem Sommer und der langen Nase in grüner Ueppigkeit seine Schlinggewächse sprießen; das rankt sich zusammen, stellt die Verbindung her, und schließlich entsteht vermöge seines heiteren Waltens aus den erwähnten absonderlichen Requisiten ein Genrebild, wie es nur je die absichtslose Wirklichkeit geschaffen. Daß dies in Form einer Gerichtsverhandlung geschieht, thut der Sache keinen Eintrag. Der Leser wird aus der nachstehend abgedruckten Ehrenbeleidigungsklage bereits erkennen, wie sich Balkon und Regenschirm, der Sommer und die lange Nase zusammenreimen. Diese Klage lautet:

»Löbliches Bezirksgericht! Ich habe für gewöhnlich den ganzen Sommer hindurch die Nachmittags- und die Abendstunden entweder allein oder in Gesellschaft meiner Familie auf dem Balkon meines Hauses zugebracht, um frische Luft zu schöpfen. Bei dieser Gelegenheit bemerkte ich den ganzen Sommer hindurch, daß ein ganz anständiger, eleganter, in Jahren vorgerückter Mann, ohne daß mir sein Name und Charakter bekannt war, bei meinem Garten, welcher anstoßend an meinem Hause gelegen ist, oder aber sehr häufig auch vor meinem Hause stehen blieb, auf das von mir gegenüberliegende Haus sah und mit einem Sonnen- oder Regenschirm eine drehende Bewegung machte. So oft dies geschah, waren in dem von mir bezeichneten Hause im ersten Stock bei einem Fenster zwei Damen und die Bewegung mit dem Schirm hat auf mich den Eindruck einer Begrüßung gemacht. So ging die Sache den ganzen Sommer hindurch, als vor circa sechs Wochen, unbekümmert um diesen vor dem Balkon stehenden Mann, meine Tochter etwas erzählte, worüber wir lachten, und es schien uns, als habe derselbe das Lachen auf sich bezogen, weil er mich scharf fixirte. Er entfernte sich damals, ohne ein Wort zu sprechen, aber von diesem Zeitpunkte an blieb er fast täglich vor meinem Hause stehen, nahm seine Drehung mit dem Schirme vor und fixirte mich und meine Familie in herausfordernder Weise. Ja häufig zeigte er mit dem Finger auf den Balkon und winkte seinen ihm nahestehenden Damen zu.

Samstag Nachmittags 4 Uhr saß ich mit meiner Frau auf dem Balkon, als dieser Herr, ohne daß ich ihn früher gesehen, vor meinem Hause stand und mir auf eine ausfallend freche Weise eine Nase drehte und mit der anderen Hand seinen Damen, welche beim Fenster waren, zuwinkte, gleichsam, als wollte er sie fragen, ob sie dies sehen. Es kam dies so plötzlich, und ohne jede Veranlassung, daß ich ihn vom Balkon aus fragte, ob dies mich angehe, denn ich hielt dies für unmöglich. In Folge dieser Frage trat er sehr heftig auf, nannte mich drei bis viermal einen gemeinen Kerl, worauf ich ihm erwiderte, daß ich ihm schon einen gemeinen Kerl geben werde und ihn deshalb gerichtlich belangen wolle. Weiters habe ich kein Wort gesprochen, er aber ging unter fortgesetztem Schreien weiter, und beim Thore meines Nachbars blieb er stehen und schrie auf den Balkon herauf zu mir: »Sie alter Schöps, Sie alter Esel«. Diese Ausdrücke hat er mehrmals gebraucht und mir lange Nasen gedreht. Es ist nicht möglich, daß ich als Mann von Stellung mir so etwas gefallen lassen kann und ich stelle deshalb die Bitte, das löbliche Bezirksgericht wolle Herrn Baptist Frank, Privatier aus Galizien, zur Verantwortung ziehen.

Johann Straubinger,
Bürger und Hausbesitzer in Wien.«

In Folge dieser Klage trafen sich die beiden Männer, welche einen ganzen Sommer hindurch »unbekannter Weise« einen so finstern Haß gegen einander genährt hatten, vor dem Einzelrichter. Herr Frank, der Angeklagte, war mit dem verhängnisvollen Schirm erschienen, stellte denselben aber, um nicht etwa eine Wiederholung der strafbaren Handlung im Gerichtshause zu begehen vorsichtig bei Seite, worauf er seine Rechtfertigung begann. Nach seiner Darstellung wäre es bereits der zweite Sommer gewesen, an dem er sich wegen einer gewissen drehenden Bewegung des Schirmes dem kränkendsten Spotte von Seite des Herrn Straubinger ausgesetzt gesehen. Herr Frank erklärt, daß es ihm stets nur darum zu thun gewesen, dem Gruße, welchen er seinen Damen hinaufsandte, durch die Bewegung des Schirmes mehr Nachdruck zu verleihen. Und stets habe sich Herr Straubinger auf dem Balkone erfrecht, diese salutirende Bewegung des Schirmes durch eine Geberde mit der Hand nachzuahmen. Zwei Sommer hindurch habe er, Herr Frank, die Höllenqual, sich solchermaßen vor Damen verspottet zu sehen, ertragen, allein eines Tages, als Herr Straubinger bereits mit der Hand zu drehen anfing, bevor noch er selbst, Herr Frank, den Schirm gedreht hatte, sei ihm die Geduld gerissen. »Oder wollen Sie es läugnen, daß Sie gedreht haben?« wendete sich Herr Frank an seinen Gegner. Der Richter ersuchte ihn jedoch, das Wort nicht an den Kläger direct zu richten, sondern in der Verantwortung fortzufahren.

– »Er kann es auch nicht läugnen, daß er gedreht hat,« wiederholte Herr Frank mit einer Miene solcher Befriedigung, als ob er seinem Gegner dadurch eine der schimpflichsten Handlungen nachgewiesen hätte. »Er dreht also mit der Hand. Wie ich das sehe, drehe ich auch mit der Hand – übermannt vom Zorn – und zwar drehe ich ihm eine lange Nase. Er stürzt vor und fragt wüthend: Gilt das mir? Ja, sage ich, die Hand immer noch an der Nase, ja, das gilt Ihnen, Sie alter Schöps! Mehr habe ich nicht gesagt.«

– »Herr Richter, er hat mich nicht allein einen »alten Schöpsen«, sondern auch einen »alten Esel« genannt,« bemerkte der Kläger mit einer Strenge, als hätte sich Herr Frank durch die Verschweigung des letzteren Ausdrucks einer argen Veruntreuung schuldig gemacht. »Ich habe auch nicht gedreht mit der Hand, wohl aber hat er, als er mir die Nase drehte, seinen Damen drüben triumphirend zugerufen: Secht's es?«

Herr Frank zeigte sich durchaus nicht geneigt, den unterschlagenen »alten Esel« herauszugeben, sondern blieb verstockt bei seiner ersten Behauptung, daß er nur »alter Schöps« gerufen habe, wonach das Beweisverfahren so weit gediehen war, daß nur mehr Frau Aida Mühlfeld, eine der Damen, welchen die Grüße und das Schirmdrehen Herrn Franks gegolten, als Zeugin vernommen zu werden brauchte. Diese Dame erklärte Herrn Frank als den in Folge fortgesetzter Verspottung seitens der Damen auf dem Straubinger'schen Balkone provozirten Theil und sie machte auch kein Hehl daraus, daß sie durch ihren sanften Einfluß auf Herrn Frank die Katastrophe herbeigeführt habe. Nachdem noch der Vertheidiger des Geklagten, seiner besten Ueberzeugung dahin Ausdruck gegeben, daß die Bezeichnungen »alter Schöps« und »alter Esel« keineswegs als Beleidigungen der Ehre, sondern höchstens als Beleidigungen des Verstandes aufzufassen seien und sein Client somit freizusprechen wäre, erkannte der Richter auf eine Geldstrafe von fünfzehn Gulden, da es schließlich ganz egal sei, ob man den Vorwurf, ein bejahrter Schöps zu sein, als Beleidigung des Verstandes oder der Ehre auffassen wolle. Noch nie sei jemand aus überquellender Zärtlichkeit Schöps oder Esel genannt worden.

* * *


 << zurück weiter >>