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Ein Wort an den Minister

Aus den Geheimnissen der Bettelpresse.

In dem Redaktionsbureau der »Österreichisch-ungarischen Vereinszeitung« herrschte eine gewisse angenehme Aufregung. Es war nach mehrwöchentlicher Pause eine Nummer erschienen, über deren Inhalt es nur eine Stimme der Anerkennung gab, und das war die des Herausgebers Herrn Albert Zangel, eines Magdeburgers, der den bedeutenden Aufwand von 150 Gulden nicht gescheut hatte, um in das Eigentum eines Organes zu treten, das mit einer Schonungslosigkeit ohnegleichen die Bilder hervorragender Zeitgenossen veröffentlichte.

– »Herr Kohn«, sagte der Herausgeber zu einem zwerghaft kleinen Männchen in abgerissener Kleidung, das vor dem Bruchstücke eines Spiegels eben damit beschäftigt war, sich selber die Haare zu schneiden. »Herr Kohn, das Bild des neuen Ministers des Auswärtigen ist brillant ausgefallen. Ich denke, das wird uns aufhelfen. Wir schwimmen seit einiger Zeit, wie sie wissen.«

Der Angeredete, Chefredakteur und Hauptmitarbeiter der »Vereinszeitung«, welcher es an anderen Mitarbeitern gänzlich fehlte, warf einen hoffnungsvollen Blick hinunter auf die in Rede stehende Nummer, welche er sich in Ermanglung eines Frisiermantels entfaltet um die Schultern geschlungen und ihr durch Anbringung von Armlöchern eine zweckentsprechende Form gegeben hatte.

– »Wenn Leander hätt' so aushalt'n können beim Schwimmen wie wir, wär' er nicht ersoffen«, sagte Herr Kohn. »Es wär' aber höchste Zeit, daß es einmal ein Ende nähm'. Philosophisch gesprochen – ist das eine Existenz für mich bei Ihnen, wo Sie mich doch als einen Mann von Namen engagiert haben, der schon in seiner frühesten Jugend das Hofburggespenst erfunden hat?«

– »Gut, gut«, versetzte der Herausgeber, »das Schwimmen wird ja jetzt ein Ende haben. Sie gehen mit dem Bilde hinauf zu dem Minister, stellen sich ihm vor, sprechen von den ungewöhnlichen Kosten der Zeichnung und legen Sr. Excellenz nahe ...«

– »Philosophisch gesprochen – ich soll schnorren geh'n«, unterbrach Herr Kohn seinen Chef. »Nu 's geniert mich nicht; Sie seh'n doch, ich schneid' mir schon die Haar'. Aber, Herr Zangel, ich sag' Ihnen, wenn Sie mich, Gott behüte, so hinaufgehen lassen, wie ich da sitz', so werd jemand vom Ministerium des Auswärtigen nix kennen lernen als das Auswärtige, und der Jemand, den man hinauswerft, werd' ich sein, und die Schand' fällt auf das Blatt ...«

Es pochte, während Herr Kohn solchermaßen sich in schlimmen Vermutungen erging, heftig an der Thüre. Eine vierschrötige Gestalt trat ein, ohne Gruß, mit drohenden Blicken. Ein Fußtritt derselben warf die Thüre wieder ins Schloß, worauf sich der Vierschrötige auf einen Stuhl niederließ und, den schreckensbleichen Herausgeber wild fixierend, die Worte ausstieß: »Reiben's mein Guld'n ummer!« Geben Sie meinen Gulden her!

Wir halten uns für verpflichtet, diesen einfachen kräftigen Mann unsern Lesern als den verantwortlichen Redakteur der »Vereinszeitung« vorzustellen, welcher, in seiner Eigenschaft als Hausknecht an schwere Arbeiten gewöhnt, auch die schwere Verantwortung für die Artikel dieses Blattes übernommen und dafür per Nummer einen Gulden zu beziehen hatte. Auf Grund mehrerer Präcedenzfälle von unüberwindlicher Abneigung des Herausgebers, diesen Gulden zu bezahlen, hatte sich der verantwortliche Redakteur vorgenommen, gelegentlich des Inkassos immer namenlose Furcht und panischen Schrecken um seine Persönlichkeit zu verbreiten.

– »Reiben's den Gulden ummer!« brüllte er noch einmal, als der Herausgeber in sprachloser Bestürzung verharrte, worin der Verantwortliche ein höchst bedenkliches Symptom erblickte. In der That wurde ihm unter vielen ängstlichen Windungen und begütigenden Redensarten die Auskunft zu teil, daß seinem Wunsche im Augenblicke nicht entsprochen werden könne. Und als der Verantwortliche darauf nicht sogleich, wie der Chef des Unternehmens befürchtet hatte, in Tobsucht verfiel, erlaubte sich Herr Zangel sogar, ihm sanfte Vorwürfe über die kühne Mutmaßung zu machen, daß die Redaktion der »Vereinszeitung« über einen so bedeutenden Betrag gebieten könne. Auch legte er dem Wüterich nahe, auf Raten einzugehen, was dieser aber unter fürchterlichen Flüchen ablehnte und bloß eine Frist von vierundzwanzig Stunden bewilligte, nach deren Ablauf der Gulden da sein müsse, wenn nicht ein beispielloses Unglück geschehen solle.

Nachdem sich der gefürchtete Verantwortliche entfernt hatte, nahmen die beiden Herren das Gespräch wieder auf und der Chefredakteur Kohn erklärte nochmals auf das feierlichste, daß er nur in anständiger Kleidung bei dem Minister des Auswärtigen vorsprechen werde. Der Herausgeber ermangelte nicht, darauf zu erwidern, daß auch seine Garderobe so unbescheidenen Anforderungen, wie sie wahrscheinlich der Portier am Ballplatze stellen werde, nicht genügen dürfte, und so wurde endlich beschlossen, daß der Herausgeber vermöge seiner höheren Vertrauenswürdigkeit irgendwo die nöthige Toilette entlehnen solle. Dies geschah; leider aber war der Eigentümer des schwarzen Anzuges fast doppelt so groß als der winzige Kohn, und es mußte somit noch ein Paar Röhrenstiefel beschafft werden, um die übermäßig langen Beinkleider darin unterzubringen. Überdies gestattete der Herausgeber, daß Kohn dessen Winterrock benutze, um die Röhrenstiefel zu verdecken. Das Blatt und eine ebenfalls ausgeliehene große lederne Brieftasche bei sich tragend, welch' letztere Kohn zur würdigen Versorgung des Geldes benutzen sollte, machte sich Herr Kohn auf den Weg.

Es kurz zu sagen – er kam nicht mehr zurück. Er vertrank den weitläufigen schwarzen Anzug, vertrank die Röhrenstiefel und die große Brieftasche und den Winterrock, ohne den verabredeten Besuch bei Sr. Excellenz gemacht zu haben. Erst vor Gericht sahen sich er und der Herausgeber der »Vereinszeitung« wieder. Man erkannte ihn hier als den schon einmal wegen Schwindels verurteilten »Gespenster-Kohn«, so genannt wegen der ihm zugeschriebenen Urheberschaft des vor Jahren aufgetretenen Gerüchtes vom Hofburg-Gespenste. Befragt, warum er nicht mehr zurückgekommen, sagte er, es sei so unangenehm, in Wien keine Wohnung zu haben und man werde so leicht auf der Straße arretiert, daß er es vorgezogen habe, sich so wenig als möglich auf der Straße und destomehr in Wirtshäusern aufzuhalten. Dem Anwurfe der Veruntreuung setzte er folgende Bemerkung entgegen: »Philosophisch gesprochen – es handelt sich hier nicht, ob ich mir Geld machte oder nicht; ich habe Gegenforderungen an Gage. Diese Herausgeber nämlich – dabei deutete er geringschätzig auf seinen ehemaligen Chef – haben keine Fähigkeiten, und der ihnen schreibt, den zahlen sie nicht.« Eine zweimonatliche Kerkerstrafe war die Folge des nicht gesprochenen Wortes an den Minister.

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