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Ohne Rhythmus.

An Nixe Turri.

Mondscheinsonate von Beethoven.


Es zieht durch den geschloss'nen kleinen Saal
des Schattens düst'rer Schauer;
die Tasten schluchzen wie belebt,
o Nixe, unter deinen weißen Fingern;
und weiß bist du gekleidet,
wie eine Lichterscheinung. – Spiele. –

* * *

O Blasse, Blasse, ich weiß, daß du bald sterben wirst;
daß, wenn der Husten dich quält,
du von der Lippe nimmst das roth gefärbte Tuch.
Du redest nicht zu mir, du spielst;
ich seh dein Antlitz nicht, ich sehe
die träumerischen Augen nicht, in denen ein Sehnen nach Zärtlichkeiten schmachtet,
drin eine Thräne zu erzittern scheint
immer;
ich sehe das weiße Kleid,
ich sehe die langen seidigen Haare,
und ich fühle die Seele, die Seele,
Deine Seele, o Nixe, erbeben in den Tönen! …

* * *

Es ist Beethoven. – Als er erschuf
die feierliche Harmonie,
da lebtest du nicht, Nixe, ich auch lebte nicht;
doch was der Künstler schafft,
trinkt dann die ganze Welt,
macht es zu ihrem Fleisch und Blut;
und mehr als jedes Wort
sagt diese Musik nun,
was du empfindest, was ich empfinde. – Spiele.

* * *

Es sagen die ernsten Akkorde
von der verborgenen Zerstörung deines schönen Körpers,
den das Leiden untergräbt;
sie sagen von deiner Jugend, die nicht sterben will,
sie sagen, daß du Gattin bist,
sie sagen, daß du Mutter bist,
daß dein Kindchen die ersten, reizenden Worte stammelt,
und daß du seinetwegen, seinetwegen
dich an das Leben klammerst! …

* * *

Es sagen die ernsten Akkorde,
daß während du dahingehst und die Liebe in der Welt zurück lässest,
ich ungeliebt leben werde.
O Nixe, noch zwanzig Jahre, noch dreißig Jahre
werde ich mich durch die Welt schleppen müssen,
allein! …
Da dich die Liebe ruft,
lebe, und laß mich unbeweint sterben! …

* * *

Du wendest nicht das Haupt;
ich sehe dein Antlitz nicht, ich sehe
die träumerischen Augen nicht, in denen schmachtet
ein Sehnen nach Zärtlichkeiten,
drin eine Thräne zu erzittern scheint
immer. –
Ich werfe mich zu Boden und küsse das weiße Kleid,
ich, die menschliche, dir, der göttlichen,
dir, die morgen sterben wird.
Und es sagen die ernsten Akkorde:
Du, die in der Welt bleibt und um Liebe fleht,
verliere nicht die Zeit, verliere nicht die Zeit, liebe;
liebe, die da leiden und nicht hoffen:
du Schwache und Einsame
werde stark und mächtig für die Schwachen und Einsamen;
mach', daß der eisige Tod
deinem Körper das Grab öffne,
wenn die Seele
in bebende Stückchen zertheilt,
aufgelöst in Millionen leuchtender Atome
schon geküßt hat
die sanften, einsamen Seelen, welche auf Erden weinen;
liebe, die Liebe ist unendlich,
da auch der Schmerz unendlich ist.


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