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»Auch du wirst es erleben.«


Du sprachst zu mir: Geliebtes, bleiches Kind,
      Wenn du mich schweigend hältst umschlossen,
Sag, warum Seufzer stets die Küsse sind,
      Die deinem glüh'nden Mund entsprossen?

Ach, deine Blicke, dunkel wie die Nacht,
      Sie starren in die leeren Räume,
Flücht'gen Gestalten nach, die nur erwacht
      Im unbekannten Reich der Träume.

Selbst unsre Liebe, dir uns treu beglückt,
      Läßt dich nur aufschrei'n, niemals singen,
Dein Herz hat eine Thräne unterdrückt,
      Gesprung'ne Saiten drin erklingen.

Warum glüht denn, liegst du an meiner Brust,
      In deinem Auge solches Bangen? …
Welch Schreckgespenst von Unglück und Verlust
      Hält dir die Seele stets gefangen? … –

Zur Antwort gab ich dir: Wenn ich erblaßt,
      Beseligt weil' in deiner Nähe
Und ich die mädchenhaften Glieder fast
      Vergeh'n in deinen Armen sehe.

Ein Schwarm von düstern Frauenschatten geht
      Vorbei an mir im Dämmerlichte:
Gespenster junger Mädchen, in Gebet
      Versenkt, mit weinendem Gesichte.

Sie waren schön, und wie der Sonne Blick
      Erglänzten ihre gold'nen Haare
Und sanken dennoch ohne Liebesglück
      Und ohne Kuß hinab zur Bahre.

Auch Frauen sind's, die an der Lagerstatt
      Des Gatten oder Sohnes standen,
Zuschauend, wir den Theuren still und matt
      Die letzten Lebenskräfte schwanden.

Und vor dem Geiste, den es aufwärts treibt
      Mit majestät'schem Flügelschwingen,
Sieht man das Herz, das einsam übrig bleibt,
      In bittern Todesqualen ringen.

Ein Ausdruck liegt in ihren Blicken jetzt,
      Darin nichts mehr von ird'schen Trieben,
Und schweigend sie vergiftet und verletzt
      Das Heimweh nach den todten Lieben.

Von ungestillter Sehnsucht heiß erfaßt,
      Zerstört durch inneres Erkranken,
So schluchzen sie am Sarg, darin verblaßt
      Die Wonne ihrer Herzgedanken.

Gebeugt und schwankend sie vorübergeh'n,
      Mit müdem Ausdruck in den Zügen.
Um's weiße Antlitz schwarze Schleier weh'n,
      Am Busen Todtenköpfe liegen.

Sie schau'n mich an. – Siehst du, das warme Blut
      Erstarrt zu Eis mir dann vor Jammer,
Und in der Brust, daß es fast weh mir thut,
      Schlägt mir das Herz gleich einem Hammer.

Dann scheint dir's, wenn dich fest mein Arm umschlingt,
      Als flögen krampfhaft mir die Glieder,
Aus unsern Küssen seltsam angstvoll klingt,
      Ein schluchzendes Erzittern wider …

Mit scheelem Blick, mir folgend ohne Ruh,
      Durch Dornen und Gestrüpp sie schweben
Und rufen mir prophetisch grausig zu:
      »Auch du, auch du wirst es erleben«.


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