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Im nächtlichen Asyl.


Durch dichten Nebel und durch Dunkelheit
      Trägt sie beim rauhen Wind,
An kranker Brust, voll Todesbangigkeit,
      Ihr halb erstarrtes Kind.

Gehüllt in den verblichnen alten Shawl,
      Von Hunger bleich und matt,
Treibt ins Asyl sie heiße Sehnsuchtsqual
      Nach einer Lagerstatt.

Für die Barmherzigkeit der einen Nacht
      Beugt sie sich zitternd dort,
Steht wie am Pranger, nennt den Namen sacht
      Und ihren Heimathsort.

Was Schweres brachte die Vergangenheit,
      Krankheit und raschen Tod,
Gezwung'nen Auszugs grause Kläglichkeit,
      Die ganze bittre Noth;

Und erst, nachdem sie schamhaft bloßgestellt,
      Was quälend, nagend, wie
Krebsschaden ihr am Leibe frißt, erhält
      Ein Lager – endlich – sie. –

* * *

Der Schlummer des Vergessens sie befiel,
      Dicht bei ihr schläft das Kind,
Und Alle, die ins mitleid'ge Asyl
      Vom Sturm verschlagen sind,

Deckt keusch mit ihren weißen Flügeln nun
      Die kurze Friedenszeit;
Zerriss'ne Herzen, müde Glieder ruh'n,
      Es schweigt ein jedes Leid.

… Sie träumt. – Ausbreitet auf dem Kissen sich
      Das dunkle, wirre Haar,
Gleich einer düstern Decke, schauerlich
      Auf einer Todtenbahr'.

Sie denkt im Traum, daß jetzt und immerdar
      Dies warme Bett sie hat.
… O Ruh, o Wonne! … jetzt und immerdar
      Dies warme Bett sie hat! …

Und lächelnd hold ein Bild vor ihr erwacht
      Vom Stübchen, wo sie näht
Und dabei singt, indeß ihr Kindchen lacht,
      Von Wärm' und Licht umweht.

Die Scheiben licht vom letzten Strahle sind
      Des Tages, der versinkt,
Ins stille Heim ein kühler Abendwind
      Die Straßenstimmen bringt …

* * *

… Ein Klingeln schallt. Die Morgenröthe dringt
      Im düstern Schlafsaal ein.
Die Arme auf vom fremden Bette springt
      Beim matten Dämmerschein;

Mit Lumpen sie die Blöße wieder deckt
      Und kehrt mit ihrem Kind
Ins Elend, das mit altem Grau'n sie schreckt,
      Zurück, in Frost und Wind;

Zur Jagd nach Brot! … Begierig, lauernd sieht
      Sie auf die Stadt voll Rauch,
Die durch die keuchenden Fabriken Athem zieht
      Und pfeift im Morgenhauch.

In einen Lobgesang der Kraft und Müh'n
      Der laute Lärm ausbricht …
… Begierig lauernd sieht sie feindlich hin,
      Denn – Arbeit hat sie nicht.


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