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Ein Kind.

An Sofia Bist.


Unruhig, blaß und mager wuchs er auf
Als eines Schmieds und einer Web'rin Sohn;
Der düstre Schatten der Maschinen fiel
      Auf seine Kindheit schon;

Hemdlos, zerfetzt die Bluse, bloß der Hals,
Schön, mit den glüh'nden Augen ohne Ruh,
So lacht' er mit des Gassenbuben Pfiff
      Dem blanken Radwerk zu.

Ein Kindergeist, im Höllenraum verirrt,
Lief er durch Webgestühl und Sparren kühn,
Und jeder Riemen züngelnd, schlangengleich
      Ihn fest zu halten schien;

Das Fleisch ihm zu zerreißen, fetzenweis',
Ein jeder Schraubenzahn bereit sich fand,
Und jeder Haken drohte spitz und scharf
      Nach seiner zarten Hand.

Allein durch Düster, Drohung und Gefahr
Ging schön und wie ein Sieger er dahin,
Durch fluchende Gemeinheit, Schimpf und Schmach
      Ging er voll Unschuld hin.

Beim Sonnenuntergang, wenn stille Ruh
Den dunklen Raum der Spinnerei durchdrang
Und eine namenlose Müdigkeit
      Der Frauen Brust bezwang,

Die armen Weber, matt und totenbleich,
Ihr Werk vollenden ohne lautes Wort,
Dann trillerte durch den Maschinenlärm
      Noch eine Stimme fort:

Er sang! … Er hier allein im ernsten Raum,
Als wild beschwingter Kobold voller Lust
Die Spulen lenkend, auf der Lipp' ein Lied
      Und Schwindsucht in der Brust.

… Allmählich ward er schwach. – Verhängnißvoll
Ist Kindern diese Luft, knapp und verdickt,
Die ihnen in die trocknen Kehlen Staub
      Und schlechte Stoffe drückt.

… Allmählich ward er matt. – Verhängnißvoll
Ist Kindern Anstrengung: – als Bleigewicht
Sie auf den Körpern lastet, saugt ihr Blut,
      Kennt Ruh' und Mitleid nicht.

Bei der Maschine rasendem Gebrüll
Sank er ohnmächtig eines Tages um.
Es trugen ihn zwei starke Arme fort,
      So leblos, ach! so stumm! …

Und die Maschine fuhr im Dämmern fort
Mit stockendem, entsetzlichem Gedröhn. –
Als ob sie müde sei. – Durchs Lärmen dringt
      Ein Mutterangstgestöhn.

* * *

… Im Saal ganz unten steht ein weißes Bett,
Drauf sieht ein Antlitz, sanft und blaß, man ruh'n.
Der lust'ge Kobold ist's der Spinnerei,
      Er stirbt im Bettchen nun.

Er stirbt an Schwindsucht – es zerreißt die Brust
Der Husten ihm, gespenstisch sieht er aus;
Im Kerker einer Werkstatt wuchs er auf
      Und stirbt im Krankenhaus.

… Gebt Sonne mir, ein wenig Sonne nur
Für dieses Kind, das niemals sie erblickt,
Das nie des Lebens Freudenbecher trank,
      Von ihrem Strahl erquickt! …

Gebt Freiheit, die gesunde, heit're mir,
Die Freiheit aus den Wäldern, froh durchrannt,
Für dieses Kind, das lustig nie gespielt,
      Das nie ein Fest gekannt! …

Gebt Luft mir, Luft! … Sie thut so bitter Noth
Den Lungen hier, die matt und krank vergeh'n!
Wer hat ihm Licht und frisches Grün versagt,
      Die Träume, licht und schön,

Die Blumen, Vögel, Wettlauf in der Luft,
Das tolle Lachen gold'ner Kinderzeit?
Wer tödtete in diesem Kind den Mann,
      Der stolz zum Kampf bereit? …

… Still, still. – Wie Schatten es erschauernd zieht
Durchs Kreuzgewölbe. – Auf der Lagerstatt,
Der weißen, ruh'n die Glieder reglos nun,
      Still, still … er ist so matt! …

Er seufzt und springt empor. – Er denkt vielleicht
An der Maschine schauerlichen Schall,
Die Walzen, dir sich dreh'n, und an den Flug
      Der ries'gen Riemen all.

Die Glieder denken sterbend noch erschreckt
Der alten Arbeit, voller Noth und Graus.
Kind, fürchte nichts – du littest allzu schwer,
      Zu End' ist's nun. – Ruh aus. –


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