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Ich sah dich im Traume.


Im Traume sah ich dich. – Der Himmelsstrich,
Wo ich dich traf, ich hatt ihn nie gesehen;
Blutrothe Wolken thürmten in den Höhen
Der stillen, unbewegten Lüfte sich.

Und Todesängste, Todesschmerzen auch,
Durch alle Himmelsräume wallen.
Ein Glöckchen hört von fern man widerhallen
Wie einer Geisterklage matten Hauch.

Du nahtest mir. – Entgegen wollt' auch ich
Dir kommen, doch es wollte mir nicht glücken,
Denn wie ein Alp, wie schwerer Lasten Drücken
Schien es am Boden festzuhalten mich.

Und sagen wollt' ich dir: Bist endlich du
Nun wieder heimgekehrt zu meinem Herzen,
Von einsam langer Pilgerfahrt voll Schmerzen? …
Doch schlossen fest sich meine Lippen zu.

Du warst mir fern und doch auch nahe mir
Zu gleicher Zeit. – Fast konnt' ich dich erfassen,
Doch schienst du mir zum Schatten zu erblassen,
Streckt' ich dir Arme sehnend aus nach dir.

Das göttlich süße Träumen, dem mein Herz
Sich diese vielen Jahre hingegeben,
Entschwand in unbestimmtem Schreckensbeben,
Entschwand in diesem grenzenlosen Schmerz;

Und dann versuchtest du zu küssen mich,
Doch über dem todbleichen Erdengrunde
Die Wolken, roth wie Lippen oder Wunden,
Verdüsterten zu Wetterwolken sich.

Es schien ein feierlicher Schicksalsschluß
Den unfruchtbaren Feldern zu entspringen,
Der Welten und der Himmel eis'gem Ringen …
Und ach! … Dein Kuß! … Er kam niemals, dein Kuß. –


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