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Brief.


Ein weißer Brief mit düster schwarzem Siegel
      Kommt aus der Ferne her,
Durchstreift die Städte und das weite Meer
Und hat, wie die Gedanken, leichte Flügel.

Des Meeres Wogen fragen flüsternd leise:
      »Mag todter Liebe Pein
Dein Trauersiegel Grab und Bahrtuch sein?« –
… Er schweigt, und weiter geht die stumme Reise.

Der Winde laute Stimmen zu ihm sagen:
      »Bringst Glück du oder Leid?
Des Lebens Kuß, des Todes Bitterkeit? …« –
Er hat kein Lächeln, er hat keine Klagen.

Und weiter muß durch Berg und Flur er schweben,
      Stets weiter Tag und Nacht.
Gefeiter Vogel, dem nie Rückkehr lacht,
Ein Seelengruß, dem Zufall preisgegeben.

Sein tief Geheimniß wird kein Mensch ersinnen,
      Wer weiß? … Ist's bittrer Schmerz
Des Abschieds wohl, schreit in ihm auf ein Herz,
Liegt eine blasse blonde Locke drinnen?

Ist drin ein Tropfen Jugendbluts, des heißen,
      Aus off'ner Wund' zu seh'n?
Verstörter Seele schluchzend heißes Fleh'n,
Die ohne Sünde Reu' und Gram zerreißen?

… Und weiter, weiter geht's. – Als kalt und trübe
      Der Abend bricht herein,
Trifft schweigend er im düstern Zimmer ein
Bei einer Frau, die ganz verzehrt von Liebe.

Ihr Auge glänzt, aufglüht die Stirn, die blasse,
      Zum Springen klopft ihr Herz,
Die bleiche Hand zuckt voller Liebesschmerz,
Doch zögernd, nach dem Brief, daß sie ihn fasse …

… Nein. – Bleiche kleine Hand voll Furcht und Zittern
      Es naht sich das Geschick.
Ein Augenblick, nur noch ein Augenblick,
Begier'ge kleine Hand, voll Furcht und Zittern …


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