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Für dich, Mutter.


Stark bin ich, das ist wahr. – Auf stein'gen Wegen
Ward Glaube mir und Seele arg verletzt;
      Doch stolz steig' ich noch jetzt
Empor, dem lichten Morgenroth entgegen.

Die Brust hab' ich den Wunden preisgegeben,
Herausgefordert unversöhnten Haß;
      Beim Schmerzensübermaß
Bäumt' ich mich auf mit Kraft von hundert Leben.

Nie klagt' ich, wenn auch Leid mich hart erschüttert,
Nichts beugt die Stirn mir, den Gedanken klar.
      Stark bin ich, das ist wahr,
Ich bin die Eiche, dir im Wind nicht zittert.

Und neuer Liebe Machtgebot, zur Wonne
Von Mensch und Dingen, bebt durch meinen Reim,
      Urewig wie der Keim
Des Saatkorns, wie der Kuß der Lebensspend'rin Sonne.

… O Mutter seg'ne mich. – Um deinetwillen
Nur kämpfe, hoffe, harr' ich aus voll Muth.
      Wenn stürmisch wallt mein Blut
Und ich die Thränen kaum vermag zu stillen,

Wenn düstere Begierde in mir waltet,
Mein Geist sich zur Empörung wild entfacht
      Und meiner Tugend Macht,
Die in den Adern glüht, mir fast erkaltet,

Betracht' ich dich, o Mutter. – Es umschweben
Dir Einsamen, Stolz und Erhabenheit
      Die Stirne hoch und breit,
Die von ehrwürd'gem weißen Haar umgeben.

So rein erscheinst du mir im stillen Frieden,
Den dir das hohe Alter freundlich bot,
      Nachdem dir größte Noth
Und bitt're Seelenkämpfe einst beschieden;

So würdevoll ist Miene und Geberde,
So klar und hell erstrahlt dein Augenlicht,
      So mild dein Angesicht,
Daß ich durch dich ein neues Wesen werde.

Und Fleisch von deinem Fleische werd' ich wieder,
Du Heil'ge, Wahre, deine Kraft verleiht
      Mir Kraft, die neu mich weiht
Zur stolzen Eiche, die kein Wind beugt nieder.


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