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Die Tochter der Luft.


Der Circus schweigt. – Kein Lächeln ist zu schauen
      Und jedes Antlitz weiß,
Der Athem stockt; in Angst und eis'gem Grauen
      Erstarrt der dichte Kreis.

Gleich weißer Wolke, wie ein Flügelwesen
      Naht Sie sich aus der Höh',
Und lacht und tanzt auf glänzenden Trapezen,
      Die zarte, luft'ge Fee.

In Schlangenlinien dreht sie leicht und lose
      Sich biegsam ohne Ruh;
Gewand und Locken weh'n, und eine Rose
      Wirft sie der Menge zu.

Scherz treibt sie mit des Abgrunds Schreck und Tücken,
      Ein wahrer Zauber liegt
In ihrer schwarzen Augen festen Blicken,
      Der Angst und Tod besiegt.

Wie Feuer scheint ihr Lockenhaar zu flammen,
      Als käm' der glüh'nde Prunk
Der Strahlen und der Blitze d'rin zusammen
      Der Tropendämmerung …

Aus kurzem, sternbesä'tem Röckchen lösen
      Beim Sprunge, kühn und weit,
Die schlanken Formen sich vom zarten Wesen,
      Das seit der Kinderzeit

Schon bei der Possenreißer Schrei'n und Springen,
      Bei Scherzen, wüst, verroht,
Und bei der Trunk'nen Sang und Becherklingen
      Den nackten Körper bot

Zu Spielen voll Gefahr in luft'gen Höhen.
      So schön, so kindlich auch
Erscheint sie, wenn wir sie entflattern sehen
      Als göttlich lichter Hauch! …

… O Kind, o altes Kind, dem schnöd' verwandelt
      Der Kindheit Süßigkeit;
O altes Kind, dem Publikum verhandelt,
      Das ja die Trunkenheit,

Dich mit dem Tode spielend seh'n zu können,
      Bezahlt, und das ein Recht
Auf dich besitzt und »Göttin« dich zu nennen
      Sich für sein Geld erfrecht;

O früh verdorb'nes Kind, fahr' fort zu schweben
      Im hohen Raum voll Pracht;
Den Geistern in der Luft vertrau' dein Leben,
      Kämpf' mit verborg'ner Macht;

Wirf Küsse, Blumen lächelnd zu der Menge,
      Die bebend starrt empor,
Und einer letzten Orgie Lustgepränge
      Schaff' dem Verehrerchor,

Und in der Höh' beim trunk'nen Wirbelspringen
      Wag' vor dich stolz und kühn,
Und stürz' als Opfer mit den weißen Schwingen
      Zerschmettert unten hin.


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