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Wie einst wanderte Gundl mit Karl Maria durch die Gassen. Besorgt fragte sie: »Du bist so blaß. Fehlt dir etwas?«

»Ach nein.«

Trotzig warf er die Lippen auf. Heute ging es wider alle Welt.

Als er Gundl auf ihren Platz geführt hatte, verlor sich Karl Maria. Vergeblich suchte sie nach ihm und saß dann ganz allein unter den vielen Menschen.

Plötzlich trat ein würdevoller Herr mit weißem Bart auf das Podium und begann zu sprechen.

Gundl riß Mund und Augen auf. Ihr Kopf wirbelte. Ein Flüstern lief durch den Saal. Das Mädel aus dem »Blauen Herrgott« faltete ängstlich die Hände. Jetzt geschah das Wunder, das sie Jahr und Tag erhofft hatte.

Karl Maria Tredenius führte das Geßner-Quartett. Dort saß er, bleich und geduckt, die Fäuste auf die Knie gestemmt, und Gundl Williguth konnte ihm jetzt nicht helfen.

Langsam hob er den Bogen und ließ ihn wieder sinken.

Gundl betete: »Lieber Herrgott, laß ihn nicht zugrunde gehen, wie damals!«

Und jetzt sah er sie. Ein Lächeln glitt um seinen Mund, ein glückliches Lächeln.

Dann riß er den ersten Ton von der Geige.

Es wurde ein Sieg.

Nur Gundl Williguth vergaß das Klatschen. Sie lachte bloß, lachte immerzu. Und lustige Tränen liefen ihr über die Wangen.

»Mein untreuer, lieber Bub!«

Und da sah sie den dicken Impresario Lewis aufspringen und ins Künstlerzimmer stürzen, als müßte er allen anderen zuvorkommen.

»Ja, jetzt holst du ihn, dummer Mensch. Jahraus, jahrein habe ich allein an ihn geglaubt.«

So gingen die Gedanken von Gundl Williguth.

Graf Achaz Rothenwolff hatte rote Backen und teilte nach allen Seiten Händedrücke aus, als wäre dies alles sein Verdienst. Seine musikfrohe Seele hatte Sonntag.

Jacopo Rossi, der an solchen Abenden stets den Kammerdiener aus- und den Kapellmeister anzog, beugte sich zu ihm. »Paganini«, sagte er und zeigte seine gelben Zähne.

Achaz schüttelte dem Schildknappen krampfhaft die Hand: »Und keiner weiß, daß er alles deinem Witz verdankt.«

Rossi grinste bescheiden: »Und dem Grafen Dionys.«

Gundl Williguth stürzte aus dem Konzert, ohne auf Karl Maria zu warten. So hastete sie in den »Blauen Herrgott«, wo noch ein herzhaftes Schmausen herging. Sie riß die Tür auf und schrie: »Karl Maria ist berühmt!«

Frau Apollonia blieb der Bissen im Munde stecken, und sie grollte: »Laß einen doch erst ordentlich schlucken!«

Johann Sebastian aber fragte gemessen: »Was ist geschehen?«

Wie ein Bote, der endlich Gutes bringt, stand Gundl vor den schmausenden Williguth.

Frau Lisbeth kam auf sie zu.

»Er hat's erreicht,« flüsterte das Mädchen. Dann sagte sie alles, so schnell, daß Wort über Wort purzelte.

Aber Karl Marias Mutter konnte an das Glück nicht glauben. Alles schien ihr zu plötzlich, so außer aller Ordnung. Eng und dunkel war ihr Herz, daß die Freude nicht gleich hineinschlüpfen konnte.

Johann Sebastian hob das fast kahle Haupt, von dem die wenigen grauen Locken wie Freudefähnchen wehten: »Lasset uns dem Herrn lobsingen!«

Mit einem Griff packte er den medizinischen Philipp Emanuel beim Genick: »Du sollst mir Bälge treten.«

Die Orgel brauste, als Karl Maria in den »Blauen Herrgott« kam. Auf dem schmalen Chor in der ehemaligen Klosterkapelle standen die Williguth Kopf an Kopf, wie pausbäckige Engel. Ganz vorn im Kerzenlicht die Gundl. Sie nickte Karl Maria entgegen. Ihre Arbeit war getan. Aber als ihr plötzlich Joseph Italiener in den Sinn kam, dachte sie betrübt und beglückt: »Ich kann doch nicht. Was soll sein, wenn Karl Maria müde heimkommt?«

Meister Johann Sebastian stürmte in allen Registern. Ein Klingen zog durch das alte Haus wie damals, als Karl Maria zum erstenmal zu diesen guten Menschen fand.

Ein Präludium von Bach begrüßte den Geiger Tredenius, der aus allem Wirrsal endlich ans gute Ende gekommen war, zu sich selbst.

Plötzlich rannte er davon. Wie einer, der sich einer unterlassenen Pflicht erinnert. Hinter ihm verhallten die Rufe der Williguth.

Er eilte durch das Birkenwäldchen, dessen kahle Äste der Nachtwind zerzauste. Und doch saßen schon allenthalben Knospen, und durch die Luft ging ein warmer Hauch.

Von der Adlerburg glänzte ein gelbes Licht. Karl Maria blieb stehen und grüßte hinüber. In ihm war eine große Dankbarkeit gegen alle Welt.

Wie einer, der endlich heimfindet, nickte er dem Lichte zu, das aus dem Zimmer Hans Geßners kam.

Dann lief er wieder mit dem Südwind um die Wette. Ringsum war das erste Ahnen der ewigen Auferstehung, ein Wille zur Tat.

Das gelbe Licht leuchtete in die Nacht.

Karl Maria Tredenius sah ein Ziel und ging darauf los, es zu erobern. Und er lachte in seiner Einsamkeit.


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