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Vor Weihnachten kam ein seltsames Geschenk in den »Blauen Herrgott«. Gundl fiel es zuerst in die Hände. Voll Neugierde riß sie die Verpackung ab, da lag ein goldbrauner Geigenkasten vor ihr. Einen Augenblick zögerte sie, dann klappte sie den Deckel auf und fand ein graues Billett, an Karl Maria gerichtet. In schneller Scham warf Gundl den Kasten wieder zu. Zuerst lief ihr Mädelherz im Dreivierteltakt, weil dem lieben Jungen solche Freude geschah. Hinterher aber machte sich die Eifersucht auf die Beine, weil das graue Brieflein eine Frauenschrift trug. Klopften da etwa unsichtbare Hände an das Tor des »Blauen Herrgott« und lockten Karl Maria in bedenkliche Fernen? Mit gefalteten Händen und nachdenklich hochgezogenen Brauen saß Gundl vor diesem Geschenk, das ihr voll Süßigkeit und Weh zugleich schien, wie ein Ruf aus der schlimmen Welt da draußen. In ihrer bekümmerten Versunkenheit bemerkte sie gar nicht, daß Karl Maria schon eine ganze Weile hinter ihr stand.

»Was ist das?« fragte er hastig und ergriff das Blättchen, das der armen Gundl wie Feuer in der Hand brannte. Beinahe zornig öffnete sie jetzt den Deckel. Da glänzte eine goldbraune Geige, schlank und schön, von alter, kostbarer Arbeit, wie das Instrument, das Karl Maria im Museum so oft bewundert hatte. Er hob andächtig die Geige heraus und strich den Bogen darüber. Voll und stark schwang der Ton.

Jetzt riß er das Brieflein auf und las.

Gundl senkte den Kopf und legte die Faust vors Ohr.

Nur wenige Worte hatte die Trix in steilen und eckigen Buchstaben hingemalt, so widerspruchvoll und unfertig wie die Frau, die sie schrieb.

»Sie heißt ›Königsgeige‹.«

Laut und lustig sprach er das Sätzlein vor sich hin.

Und da wußte er auf einmal: In den Saiten dieser alten Geige schliefen die Stimmen der wilden Gänse, die mit den Wolken um die Wette flogen, in unbekannte Weiten.

Und er schwang die Geige durch die Luft, wie ein Schwert, das alte Bande zerhauen sollte, und jubelte: »Ach, Kundry, jetzt ist das Glück da.«

Da antwortete die arme Gundl: »Immer bist du nur glücklich, wenn ein anderer dir etwas gibt. Sind wir wirklich so arm?«

Karl Maria hielt seine Geige und lächelte nur.

Und Kunigunde Williguth faßte ihr Weh mit beiden Händen, daß es ihr nicht über die Lippen kam, und flüsterte: »Laufe doch fort, Karl Maria!«

Er blickte sie an: »Ja, das sollte ich wohl.«

Da trabte sie wieder mutig in ihr Opfertum hinein: »Ich will gar nicht wissen, von wem die Geige kommt.«

Und er war großmütig und zerstreut genug, darüber zu schweigen. In der heiligen Dummheit seiner Selbstsucht sagte er nur schmunzelnd: »Bei deiner Hochzeit will ich auf dieser Geige spielen. Was soll es denn sein?«

Und flugs hob er den Bogen, als stände die Gundl schon unter Kranz und Schleier.

»Ach, das hat Zeit,« war die verzweifelte Antwort.

Und auf einmal war Karl Maria mit seiner Geige allein. Da packte er alles zusammen und lief mit dem Geigenkasten aus dem »Blauen Herrgott«.

Gundl schaute ihm heimlich nach und lächelte bekümmert, als wollte sie sagen, da rennt einer seinem Glück davon.

Karl Maria aber wanderte zur Trix, ohne zu wissen, ob er das liebe Geschenk zurückgeben oder herzlich dafür danken sollte. Als er so dahinschritt in dem windigen Dezembertag, der bald in wolkenlosem Blau schimmerte, bald wieder in grauen Wolken alles Licht verlor, grübelte er über den Riß, der durch sein Wesen ging.

Warum suchte er immer noch, von Mensch zu Mensch, von Tag zu Tag? Und er fühlte in unwilliger Erkenntnis, daß er in allem Reichtum und in aller Wunderwelt doch eigentlich recht arm und klein geblieben war.

Vielleicht wußte die Trix dawider ein Mittel. Sie gehörte ja auch in sein Schicksal.

Am Wasserturm vorbei ging's in ein altes Gartenviertel und dann durch eine laublose Kastanienallee zu dem weißen Haus mit den grünen Fensterläden, wo die Trix jetzt wohnte. Ein frecher, feister Diener, ganz anders als der gelbe dürre Kerl vom Wasserturm, eine dicke Zigarre mit roter Bauchbinde im Munde, führte Karl Maria in ein Zimmer, das nach Zigaretten und scharfem Parfüm roch, und ließ ihn dort warten. Überall hingen Rennbilder, schlanke Pferde, auf denen Jockeys in bunten Jacken wie bekümmerte Affen hockten.

Verdrossen blickte sich Karl Maria um. Es schien Graf Nisis Bude zu sein, in die er da geraten war. Langsam holte er die Geige heraus und legte sie justament auf den Schreibtisch, neben einen abgegriffenen Roman von Paul de Kock. Dann setzte er sich in den tiefen, aus Hirschgeweihen verfertigten Jagdstuhl.

So wartete er zwischen Trotz und Zähneklappern.

Dann kam die Trix und lächelte in alter Vertraulichkeit.

Karl Maria aber grübelte: »Jetzt spielt sie wieder mit dir« und sagte schroff: »Nimm deine Geige zurück!«

Noch immer lächelte Frau Beatrice: »Es ist eine alte, berühmte Guarneri.«

»Trix!«

Er legte allen Kummer und alle Enttäuschung in dieses kurze Wort. Und seine Augen bettelten, daß sie ihm helfen sollte in seiner Not.

Sie strich eine Strähne ihres dunklen Haares aus der Schläfe und sagte leise: »Sei doch endlich ein Mann, Karl Maria!«

Aber er war nur ein unerlöster Bub und ein Sklave von alten Geigen. Zeit und Stunde standen still.

Beatrice streckte die Hand aus und nickte ihm zu.

Karl Maria aber haßte diese Güte und haßte sich selbst, daß er hierher gekommen war. Da hatte er der Trix von einst ein Kämmerlein gebaut und es eigenwillig ausgeschmückt und in einsamen Stunden darin Trost und Heiterkeit gefunden. Und jetzt war alles ganz anders, Bild rückte wider Bild. Diese sichere junge Frau war gar nicht mehr die Trix, die im hellen Sonnenschein jenes Septembernachmittags Märlein erzählte und voll Kinderkeckheit Fliegen in den Wein der alten Musikanten warf.

Karl Maria trug die gelbe Schleife, die Trix ihm damals heimlich in die Tasche gesteckt, bei sich, aber er zog sie nicht hervor. Er kroch in sein Schneckenhaus und blieb trotzig und stumm. Er brauchte kein Almosen.

Plötzlich aber riß er sie an sich und wollte sie küssen.

Sie rang sich los, noch war das Lächeln um ihren jetzt blassen Mund, und hob die Hand. So hielt sie ihren Ehering Karl Maria entgegen.

Er stand wie ein armer Sünder.

Und dann brach er los: »Warum hast du mir mein Konzert verdorben?«

Sie schwieg, als begreife sie nicht, wie sie auf einmal in Karl Marias Schicksal verwickelt wurde.

»Und warum hast du mir nie geschrieben?«

»Das ist so lange her.« Und jetzt ein wenig spöttisch: »O, Karl Maria, du bist doch nicht etwa verliebt in mich?«

Kühl und klug, wie man einen Buben meistert.

Ihm zerbrach ein Spielzeug, und die bunten Stücke fielen um ihn her.

Da reichte sie ihm die geschenkte Guarneri: »Die Geige hat dir doch nichts Böses getan?«

Bedächtig strich er über den schlanken Geigenhals, nickte steif und ging.

Im Dunkel der Allee machte Karl Maria halt und blickte zurück. Rotes Licht kam aus dem weißen Hause, der Wind jagte welke Blätter über die Treppe.

Zwei Krähen flatterten schwerfällig auf. Er schaute ihnen nach und nickte: »Ich fliege bald mit euch.«

So hastete er die Allee hinab zu Andreas Katzenkopf. Der Wind brummte ihm nach, wie ein alter Mann, der sich über die dumme Jugend ärgert, über die draußen und über die drinnen.

Unsichtbare Finger drehten da flugs ein haarfeines Fädchen, fest wie ein Sprenkel, darin sie den Geiger Karl Maria Tredenius zu fangen gedachten.

Doch er merkte es nicht.

 


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