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Nach Neujahr kam Karl Maria Tredenius ins Opernorchester, fand sich da bald zurecht und tat ernste Arbeit, die ihn froh und sicher machte, weil er jetzt Herr über alle unnützen Träume war. Auch im »Blauen Herrgott« half er dem Onkel und fühlte sich gar nicht klein und gering, wenn er kindisches Volk in die Musik einführte, sondern gewann daraus nur neue Kraft. Und sah er in aufgesperrte Himmelsguckeraugen, war er noch einmal so liebevoll und rührte nur behutsam an solch ein Kinderherz. Johann Sebastian erstaunte schier über diese Wandlung in seinem Neffen, nur hatte er stille Zweifel, ob dies alles von Dauer sein werde. Gundl Williguth freute sich über die Tüchtigkeit Karl Marias und war ihm eine treue Schwester, wie stets, nur daß sie alle geheime Hoffnung zu unterst in ihre Truhe gelegt hatte und den Deckel fest geschlossen hielt. Dem Joseph Italiener aber schenkte sie endlich wieder freundliche Blicke, daß auch er alle Kümmernis verlor und von neuem Segel vor den Wind setzte.

Alles schien so stark und wohl gefügt und gesichert vor jedem Sturm. Bei einer Orchesterprobe streifte einmal die Miriam, die sich jetzt stolz Lippa Lippi nannte, an Karl Maria vorüber. Sein Herz klopfte, und er duckte den Kopf tief auf das Notenpult. Miriam nickte kurz und ging schnell weiter, und gleich darauf flog ihre Stimme über das Orchester hin. So taten beide ihre Pflicht und gaben ihre alte Liebe für tot und begraben. Manchmal stolzierte auch Graf Dionys bei den Proben umher und trieb überhaupt ein lautes und selbstgefälliges Wesen. Karl Maria aber hielt seine Geige und schloß die Augen, wenn erloschene Farben wieder hell werden wollten. Tag für Tag kam die Miriam vor seinen Blick, und er brauchte alle Kraft, fest in den Schuhen zu bleiben und Balken um Balken zwischen sich und sie zu legen.

Zum Glück ließ ihm seine Arbeit keine Zeit zu unnützem Grübeln. Von allen Seiten wuchs sie ihm jetzt zu, in der Oper, im »Blauen Herrgott« und beim Grafen Achaz, wo Karl Maria in der Hausmusik saß. Aber nun schluckte er doppelte und dreifache Portionen und merkte es gar nicht. Und er glaubte fest, daß diese Beharrlichkeit ihm vom alten Goethe in Weimar geschenkt war.

Um diese Zeit zog Giacomo wieder in die Welt hinaus, diesmal sogar, um in Australien seine Muskeln zu produzieren. Die zwei jungen Leute nahmen mit Kuß und Handschlag voneinander Abschied, und Giacomo sagte voll Zuversicht: »Mir ist nicht bange um dich. Du bist ein Mann geworden, Karl Maria.«

Fröhlich entgegnete der Geiger: »Das hast du mich gelehrt, als du den Türken zu Boden warfest.«

Stolz lächelte der junge Riese und schlug Karl Maria derb auf die Schulter: »Vielleicht wären dir gar goldene Flügel gewachsen, wenn ich dem Kara Mustapha alle Knochen gebrochen hätte.«

Mit diesem Kraftwort schied er aus dem »Blauen Herrgott«.

Einen Tag später versammelte Graf Achaz Rothenwolff sein Quartett, um seine musikhungrige Seele, die vom Aktenstaub schon ganz grau geworden, zu tränken und zu speisen mit himmlischen Herrlichkeiten, die der dicke Schubert in seinem D-moll-Quartett aufgespeichert hat. Frau Beatrice saß bescheiden im Hintergrund, als dürfte sie das ernste Tun der Männer nur mit einem milden Lächeln schmücken.

Dann schwirrten die Geigen im Wechselspiel zwischen Tod und Leben. Als sie nun den Hauptgedanken: »Mitten wir im Leben sind, von dem Tod umfangen« mit allerlei köstlichem und künstlichem Beiwerk umrankten, verdunkelte sich der Blick der sonst nicht allzuschnell gefühlsbereiten Trix, bis ein richtiges kleines Herzweh zustande kam.
Und war doch nichts weiter.
Ein Mensch wuchs zu sich selbst.
Weg von der Welt.
Weg von Beatrice Rothenwolff.

Starre Kirchenlieder wechselten mit leichten Ryhthmen unbekümmerter Lebensfreude, bis endlich aus dem Cello in der Hand des alten Jacopo Rossi ein helles Klingen frei wurde und Tod und Leben auf wunderbare Art versöhnte.

So verklang das Spiel der vier Geigen, und Beatrice saß mit eingekniffenen Augen und halb geöffnetem Munde, die Hände im Schoß verschlungen. Ihr hellviolettes Kleid floß um den schlanken Leib, im dunklen Haar funkelte ein Krönlein aus Brillanten. Stark und innig sang Karl Marias Geige, daß ein ungläubiges Wundern Beatrice überkam. Hoffmann und die Romantik der Wanderjahre hatten Karl Marias Hände gelenkt, daß er das seine Gespinst Meister Schuberts in Demut nachschuf und alle Kostbarkeiten ausfeilte wie ein richtiger Silberschmied. So kam Freude in das Herz der jungen Frau und zugleich ein ungewisses Gefühl von Sorge.

Graf Achaz strich den Schnauzbart, eine komische Falte lief ihm von der Nase zum Mundwinkel, wie ein Märchenmuskel. Die grauen Augen funkelten in behaglichem Genuß.

»Tod und Teufel, das war ein gutes Stück.«

Joseph Italiener trat zu Karl Maria und drückte ihm schweigend die Hand, wie einer, der sich vor dem Größeren beugt. Sie blickten einander an, ruhig und freundlich, weil Gundl Williguth jetzt nimmer zwischen ihnen stand.

Den ganzen Abend war Beatrice in sonderbarer Bewegung, bald kalt, bald heiß, eine kluge Frau und ein unruhiges Mädel. Das Kerzenlicht, bei Graf Achaz' Hausmusik stets strenges Gebot, wehte nicht ruheloser auf und nieder.

Abseits trank Joseph Italiener kühlen alten Wein und spann dazu vergnügliche Träume, in denen die blonde Kunigunde Williguth Heimatrecht hatte. Und sein in Liebessachen nun geschickter Sinn machte sich mancherlei mit der Gräfin Rothenwolff zu schaffen, voll Neugier nach der Frau des lustigen Dionys, der jetzt als verliebter Herold vor der Miriam einherlief.

Als Joseph mit Karl Maria heimwandelte, sauste der Wagen der Gräfin vorüber. Die gelben Lichter tauchten in den Frostnebel. Da fragte der Rotkopf: »Sage mal, was ist mit der?«

»Die hat ein goldenes Lachen. Daran wird sie immer wieder frei.«

In Karl Maria Tredenius war eine große Dankbarkeit gegen alle Welt, und er dachte nicht weiter, als der Tag es verlangte.

 


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