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Im »Blauen Herrgott« liefen mancherlei Reden über das Schicksal der Miriam.

Johann Sebastian verschwor seine Seligkeit, daß die Stimme seiner Kundry weit mehr tauge als alle Rouladen der kleinen Italiener. Arglistig nach Art widerstrebender Väter wollte er die Meinung des Joseph wissen. Ein Blick der wohlwollenden Frau Apollonia warnte den Unvorsichtigen, daß er nur die Achsel zuckte und schwieg.

Gundl wurde rot: »Mein Gott, laßt doch mein armes Stimmlein in Frieden!«

Jetzt mischte sich Frau Lisbeth ein: »Die hat einfach Glück gehabt.«

Karl Maria schüttelte den Kopf: »Nein, Mutter, das sagst du nur so.«

»Du verteidigst sie noch? Die ist dir weit voraus.«

»Ich hole sie ein, Mutter.«

Die Leute vom »Blauen Herrgott« schauten einander verwundert an.

»Demut vor allem, mein Sohn!« predigte Meister Williguth.

Gundl aber freute sich wie eine Mutter, der ein Kind gar wohl gerät.

Eine sichere Gleichmäßigkeit kam über den Geigerjungen. Jede Arbeit tat er willig und ohne den Flackersinn von früher, der bald dies, bald jenes angegriffen und nichts zu Ende geführt hatte. Seine unruhige Jugend war Karl Maria jetzt ein frohes Geschenk und nicht mehr eine beschwerliche Last. Die Brillen des Coppelius, durch die man alles rosenrot oder schwarz schaute, hatte er abgelegt und eine richtige Lebensbrille vor die Augen gesetzt. Mit beharrlichem Willen ging er in seine Pflicht. Hans Geßner hatte sein Vergnügen an diesem Reifen und Besserwerden. In dem alten Geiger selbst erwachte eine neue Jugendfrische, als er so den in einem arbeitreichen Leben erworbenen Schatz mit vollen Händen austeilen konnte. Sein Spiel, das nur dem Werke diente und oft schon eckig und scharf wirkte, jegliche sinnliche Schönheit mißtrauisch vermied, wurde wieder freier und heller an der schnellen Beweglichkeit des Jungen.

Es war kein leichtes Ding für Karl Maria. Er lernte an sich selbst die Geigertragik kennen, da diesem Instrument doch nur wenige Stücke gegeben sind, wenn es sich nicht mit der feineren und stilleren Art der Kammermusik begnügen will. Pedantisch und strenge galt es, die Technik nicht rosten zu lassen, stundenlang dieselben Passagen zu üben, bis der Ekel kam. Karl Maria litt schwer unter diesem neuen Zwang. Aber er sah bei dem Meister dieselbe Plage. Und der hatte graue Haare und war weltberühmt. Die Miriam hatte mit ihrer Stimme ja auch kein bequemeres Spiel. Das wußte er von Weimar her.

Aber trotzdem gab es Tage, da er unwillig die Geige weglegte. Alle Schwingungen der Leidenschaft, Freude und Schwermut, alles war in einförmiges Grau verwischt. Farblos und dumpf schienen die hellsten Schönheiten, wenn die Technik immer wieder ihren Mechanismus daran schulte. Die Seele blieb meilenweit von den unablässigen Übungen der Finger.

Hans Geßner lächelte dann: »Ja, wir Geiger sind arme Teufel.«

Dann rasteten sie tagelang, übersättigt und gleichgültig, übten das Vergessen und die köstliche Faulheit, die doch nur ein Warten auf fruchtbare Stunden war.

Da brachte Karl Maria seine Violinsonate zum Vorschein und wartete auf Lob. Hans Geßner nickte: »Ja, recht schön. Aber später, viel später.«

Und er zeigte ihm Stöße von eigenen Kompositionen, die nie das Tageslicht erblickt hatten, weil sie ihm nicht genügten.

So packte Karl Maria seinen Schatz ein und flickte lieber an den Lücken seiner Bildung. Stein trug er auf Stein und gewann ein tieferes und reineres Weltbild.

So ging ein Jahr ins Land.

Miriam Italiener eilte von Sieg zu Sieg. Sie trieb ihr Schiffchen zwischen Klippen und Wirbel glücklich durch, über ihr Alter klug und reif. In Paris sang sie und in London, nichts mißlang, was sie begann. Ihre kleinen Hände warfen das Geld nach allen Seiten. Die dicke Johanna hielt reiche Ernte und die stets bekümmerten verheirateten Schwestern desgleichen. Frau Charlotte Italiener ging nach Marienbad und schmückte sich wie ein Pfau.

Vater Gideon aber blieb in seinem Trödelladen und haßte dieses Geld, das seine Tochter ihm aufdrängen wollte. Blöde stand er in den prunkvollen Zimmern der Miriam, wo Junker Dionys ihm gönnerhaft die Hand drückte. Gideon übersah diese Grafenhand und hatte unzufriedene Augen. Er fand sich nicht in diese Welt.

Ganz im Gegenteil schwamm sein Sohn Jacques in guten Geschäften. Jedes halbe Jahr richtete er die Villa nach dem neuesten Stil ein und trieb sein Pferd nach dem Hafersack.

Joseph erschien nur selten und dann mit verkniffenem Gesicht, als hätte er Essig getrunken. Denn noch immer lächelte Gundl und schob seine Wünsche weg, wenn er sich ein bescheidenes Erinnern erlaubte. Der ehrliche Rotkopf grollte Karl Maria, weil dieser gar so lange zögerte, ans Ziel zu kommen.

Um diese Zeit lief auch Hans Geßners Rastzeit ab. Er spürte wieder das Brennen im Blut. In England wartete man auf das Quartett, das seinen Namen trug. In der Adlerburg hob nun emsige Arbeit an.

Und Karl Maria hatte alle Hände voll zu tun.

Sie übten an Beethovens letzten Quartetten.

Karl Maria Tredenius war reif für das letzte Gericht, wie der alte Katzenkopf Beethoven nannte. Das ist es: Beethovens Ringen mit der Gottheit.

Die irdischen Grenzen werden gesprengt, in die Unendlichkeit dringt die Frage: Was kommt nachher? Banges Flüstern haucht in die Luft. Der Einsame auf dieser Gotteswelt hält dunkelschwere Zwiesprache mit denen, die den Tod und alles, was dahinter liegt, schon kennen.

Alle hellen Farben sind ausgelöscht, nur die feinsten Schwingungen der Seele sind hörbar.

Da steht das eine, der winzig kleine und vergängliche Mensch, und dort das andere, die unbegreifliche Ewigkeit.

Und das Nichts ist doch ein Teil vom All.

Aber Rätsel bleibt Rätsel.

Das ist der letzte Beethoven, in dessen traurig-schönen Garten Hans Geßner seinen Schüler geleitete. Ja und Nein wurden eins. Schatten und Licht verloren ihre Unterschiede. Ein Gewebe feinster und innerlichster Stimmung spannen diese Geigen, weltenfern von aller Fingerfertigkeit.

Priester vor Gott schienen die vier Geiger, von denen Karl Maria jetzt oft die Oberstimme hielt, als wollte der Meister ihn seine Kraft prüfen und Selbstvertrauen gewinnen lassen.

Graf Achaz Rothenwolff saß mäuschenstill dabei, wie ein Werkmeister, der einen Kirchenbau wachsen sieht.

 


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