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Frau Charlotte im Gelbseidenen rauschte würdig durch die Parkettreihen, von dem eleganten Jacques geleitet. Die Miriam war keck und ganz allein durch das Bühnentürchen in die schmale Straße gerannt, die zum Glück führte. Die Mutter seufzte gewaltig, daß die schönen Spitzen auf dem umfangreichen Busen zitterten und Jacques verzweifelt sich abwandte und eine Logenschönheit durch sein Glas fixierte. Mutter hatte gar keine Weltgewandtheit. Er bangte, daß sie mit den Sitznachbarn sofort ein Gespräch beginnen könnte.

Zum Glück setzte das Orchester ein. Frau Charlotte aber kränkte es, daß ihr Joseph da draußen in der Vorstadt spielte. Ihre Lippen bewegten sich leise, sie bat in hebräischer Sprache ihren Gott um Erbarmen mit dem Kinde, das heute vor diesen vielen reichen Menschen tanzen sollte.

Das alte Ballett »Blaubart« von Vestris war neu einstudiert und prunkvoll ausgestattet, weil ein Prinz seine Herzallerliebste gern tanzen sah. Sie gab die Hauptrolle, in der einst Fanny Elßler Berlin entzückt hatte. Das indische Milieu bot reiche Gelegenheit zu Pracht und Glanz. Alles leuchtete und flirrte, daß es der guten Frau Charlotte aus der Judengasse fast sündhaft schien.

Schon in der dritten Szene sprang Miriam lustig in der Volksmasse mit, die dem Einzug des Blaubart zusah. Der zweite Akt spielte im Palaste des Rajah Abomelick.

Das Kind Beda aber gab die Miriam Italiener.

Frau Charlotte kam von dem Theaterzettel nicht los, der diese Kunde enthielt, obschon es ganz dunkel war und sie gar nichts lesen konnte.

Jacques stieß sie leise an: »Da ist die Miriam.«

»Mein goldenes Herzblatt,« seufzte Frau Charlotte und begann zu weinen, daß ihre Tränen wie ein Büchlein durch die schwarze Stille liefen.

Miriam tanzte wie ein Kobold, die roten Schleier wehten um sie. Wie ein Bote Gottes, dachte die Mutter.

Voll Neugierde näherte sich jetzt Miriam der geheimnisvollen Tür, die zu Blaubarts unterirdischer Kammer führte. Sie bog sich zurück und klopfte mit der Fußspitze dreimal an die hohe goldene Pforte.

»Der Balg ist kostbar,« sagte jemand neben Frau Charlotte.

»Danke,« stammelte ganz verwirrt die dicke Frau.

Als Abomelick auf dem Thron saß und die Huldigungen zu seiner Hochzeit entgegennahm, leuchteten wieder Miriams rote Schleier aus der Menge hervor.

Dann sank der Vorhang.

Und jede einzelne Hand klatschte für die Frau aus der Judengasse einzig und allein ihrer Miriam Beifall. Sie ärgerte sich nur, daß kein Tänzer nach dem Hausgesetz danken durfte. Es schien ihr eine persönliche Bosheit.

Der Herr, der vorher Miriam gelobt hatte, lächelte jetzt der erregten Frau zu. Da strömte ihr Herz über, und in ihrem schönsten Hochdeutsch gestand sie dem freundlichen Herrn, daß die Kleine ihre Tochter sei.

Voll Entsetzen ergriff Jacques die Flucht.

Der Herr aber plauderte sehr verbindlich mit Frau Charlotte. Es war ein großer schöner Mann mit hellen blauen Augen und einem angegrauten Schnurrbart. Mit feinem Lächeln hörte er, was Frau Charlotte überlaut erzählte.

Eine Gruppe bildete sich.

Da zog er die Brauen hoch: »Da will ich gleich mal der Kritik um den Bart gehen.«

Er nickte leicht und trat auf mehrere Herren zu, die ihn zuvorkommend begrüßten.

»Das muß ein Fürst sein,« grübelte Mutter Charlotte und sah wundervolle Zukunftsbilder.

Doch es war nur der Geiger Hans Geßner.

 

Mit heißen Wangen saß Miriam zwischen Mutter und Bruder und fuhr heim.

In ihren Ohren rauschte noch der Beifall, auf ihren Lippen brannten noch die Küsse, die Ballettmeister und Solotänzer dem kleinen Wunder gegeben. Wie ein Pfau dehnte und räkelte sie sich.

Plötzlich rief sie: »Ich will Blumen haben.«

Frau Charlotte murmelte eine schwache Einwendung, doch Jacques ließ den Wagen halten. Da lief Miriam in den Laden, Mutter und Bruder hinterher. Sie kaufte dunkelrote Rosen und trug sie stolz zurück. Nach einer kleinen Weile ließ sie wieder halten, und als jetzt Frau Charlotte ernstlich widersprach, schlug sie zornig gegen die Scheiben: »Ich will aber!«

Diesmal galt es einem Delikatessenladen. Doch sie wußte nichts zu wählen, als sie unter all den Leckerbissen stand. Hochrot und verlegen zupfte sie Jacques am Ärmel: »Suche du aus!«

Das tat er nun. Zuletzt deutete Miriam auf ein kaltes Huhn: »Für Großvater!«

Da küßte Charlotte das Kind und war sehr gerührt, unterließ es auch nicht, dem ganzen Personal die Geschichte des heutigen Abends zu erzählen.

 

Vater Gideon hatte den Abend mit dem alten Isaak im Laden verbracht, in einer schweren, dunklen Stimmung, deren er nicht Herr werden konnte. Es schien ihm, als entrisse ihm dieser Abend seine Miriam, deren kindische Freude an Flitter und Tand er nie recht leiden mochte. Er war ein beschaulicher Mensch, der gern den Dingen auf den Grund sah und nie an den endgiltigen Erfolg glaubte. Darum war ihm dieser auch stets aus dem Wege gegangen. Seine Gedanken liefen immer wieder zu seinem Joseph, der jetzt im Operettentheater die Geige strich. So hatte es mit Joseph auch begonnen. Gideon lächelte trübselig und machte sich auf den Weg, seinen Sohn abzuholen. Er war heute mit Joseph milde und vertraulich, wie schon lange nicht, scherzte und lachte, als stände Laubhütten vor der Tür. So suchte er Joseph irgendein Unrecht abzubitten, das der Junge in dem Erfolg der Miriam, den Vater Italiener trotz seines sonstigen Mißtrauens kurzerhand vorwegnahm, etwa finden konnte.

»Man muß es innen haben,« sagte er schließlich philosophisch. Aber es blieb ungewiß, was er damit meinte.

Als sie vor ihr Haus kamen, löste sich eine kleine Gestalt aus dem Torschatten, lief ihnen entgegen und schwang ein Fliederkränzlein. Es war Karl Maria.

»Für die Miriam,« flüsterte er und huschte heim.

Joseph nahm das Geschenk und zog den Mund in herbe Falten.

Dem Karl Maria Tredenius sollte erspart bleiben, was wie ein schwarzer Schatten über Joseph Italiener lag.

Da hörte er einen Wagen heranrollen.

Vater Gideon faßte nach seiner Hand: »Sei stark, Joseph!«

So empfingen sie die triumphierende Miriam.

 


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