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Nicht lange danach fand er eines Abends die Miriam nicht allein. Bei ihr saß ein stutzerhafter blonder Herr, dessen Name Karl Maria alles Blut zum Herzen trieb. Es war der ewig vergnügte Graf Dionys Rothenwolff, der Mann der Trix.

Karl Maria stand steif und stumm.

Miriam aber lächelte und zog ihn ins Licht. »Das ist der Geiger Karl Maria Tredenius, der mit mir das Konzert gab. Erinnern Sie sich noch, Herr Graf?«

Dionys nickte gnädig. »Ich glaube, ja.«

Daraus schimmerte ein Körnchen Bosheit, daß Karl Maria trotzig die Lippen aufwarf.

Dionys lächelte freundlich und bot ihm die Hand.

Gar zierlich lief nun das Frage- und Antwortspiel hin und her, wie Bälle im Spiel ab- und zustiegen.

»Sind Sie bei der Großherzoglichen Kapelle, Herr Tredenius?«

»Nein, bloß Primgeiger bei der Damenkapelle in Werthers Garten.«

»Das wird Papa interessieren. Der alte Herr hält riesig viel von Ihnen. Na ja, der Musikgraf.«

Glatt und höflich sagte er das, beinahe durchleuchtet von wirklicher Wärme.

Karl Maria aber zweifelte: War das Spott oder Ernst? Er wußte ja nicht, daß Dionys Rothenwolff von dem Physikus Coppelius rosenrote Leichtsinnsbrillen erhandelt hatte, stets auf der Sonnenseite aller Dinge wandelte und auch allen anderen Gutes gönnte, wenn er selbst vorerst nur große und kleine Wünsche erfüllt bekam. Der viele Sonnenschein, in dem er sein Wesen trieb, hatte auch sein Haar schon stark gelichtet. Dabei war er ein feiner Menschenkenner, der das Bubenleid mühelos und beinahe ein wenig mitleidig durchschaute. Drum ließ er auch mit Absicht gar nicht merken, daß seine Frau den jungen Geiger sehr wohl kannte. Er gefiel sich in einem Lauern, das nicht viel mehr als ein übermütiges Spiel war. Zudem war es ihm peinlich, seine Frau vor dem Theatermädel überhaupt ins Gespräch zu bringen. Der dumme Karl Maria aber deutete es anders. Er nahm dieses Schweigen des sonst so Redseligen als heimliche Eifersucht.

Und so saß er voll neuer Wonne mitten in seinem Kummer. Wenigstens war er nicht allein eifersüchtig an diesem Abend, da die Miriam ihn ganz vergaß und nur geschäftig um den Sohn des Generalintendanten wirbelte.

Graf Dionys genoß das schlimme Spiel und warf geschickt seine Karten aus.

»Ja, Fräulein Italiener, ich bin sozusagen in offizieller Mission in Weimar. Papa will Sie wieder haben.«

Die Miriam lachte über das ganze Gesicht: »Gott sei Dank!«

Rasch streckte sie ihm die Hand hin: »Hier bin ich wie im Kerker. Lasse ich mal die Stimme los, hat mich gleich einer am Kragen und murrt.«

Nachdenklich zwirbelte Herr Dionys den blonden Schnurrbart, zögerte etwas, wie in lässiger Gnade: »Ich will sehen, was sich tun läßt.«

Auf diese Weise zeigte er lockend an, daß alles Glück der Miriam nur von dem Behagen seiner blauen, etwas kühlen Augen abhinge.

Dazwischen ging ein fragender Blick zu Karl Maria, doch dieser schwieg hartnäckig, als kümmerte ihn dies alles gar nichts, und rückte bloß schwerfällig die Arme, wie ein Mensch, dem ein alter vertrauter Rock plötzlich zu enge wird, und der doch nicht den Mut hat, kurzerhand die prallen Nähte zu sprengen.

Dabei führte er ein jammervolles Selbstgespräch: »Du bist ein großer Narr. Die Miriam läuft dir wieder einmal davon, und du sperrst das Maul auf und guckst ihr traurig nach. Wie lange willst du noch auf dich selbst warten?«

Aber das waren nur trotzige Gedanken. Der alte Rock saß noch zu fest. So sah Karl Maria mit heißen Augen, wie Graf Nisi verliebte Blicke über die Miriam hinwandern ließ, und wie diese sich entgegenkommend hin und her bog und ihre schönen weißen Arme vor dem blonden Schnurrbart auf und ab bewegte. Einen Augenblick überlegte Karl Maria, ob er nicht dem vornehmen Herrchen die Nägel ins Fleisch drücken und ihm ins Gesicht schreien sollte: »Zuerst die Trix und jetzt die Miriam.«

Aber sein Groll zerbrach vor dem sicheren Glück der Miriam, die mit rosenroten Wangen den Grafen umschmeichelte und ihre Stimme bewundern ließ, derweil jener doch nur ihr junges Körperlein einhandeln wollte.

Mit einem Male lächelte Karl Maria. Er sann sich zurück in die Geschichte des alten Andreas, die der Wandervogel ihm zu Nutz und Frommen hinterlassen hatte: »Kein Frauenzimmer soll dir ins Leben pfuschen.« Daher holte er wohl das plötzliche Lachen. Auch schien es seinem Kummer ein bescheidenes Gefühl der Befriedigung, daß in gleicher Stunde die Trix und er selbst verraten wurden, als hätte das Schicksal noch gar wunderliche Dinge mit ihnen beiden vor. Doch das dauerte nicht lange. Noch kämpfte dieser neue Trotz mit der alten Leidenschaft, weil Karl Maria dieses junge Geschöpf mit dem goldenen Haar viele Nächte im Arm gehalten und seinen Durst an ihren Küssen satt getrunken hatte. Und da starb das heimliche Lachen.

Das Rätsel von Tiefurt war gelöst. Hoch reckte er sich in seiner gekränkten Männlichkeit und nahm einen überaus förmlichen Abschied. Um seinen Mund zuckte es, ohne daß er wußte, war es Schmerz oder Zorn.

Miriam begleitete ihn hinaus und flüsterte vorwurfsvoll: »Warum küssest du mich nicht?«

Er blickte sie nur an, nickte kurz und ging. Dann aber rannte er in den Park, bis zum Borkenhäuschen. Seine Finger krümmten sich, als formten sie eine Schere, etwas zu zerschneiden, was ihm bisher teuer gewesen. Wenn jetzt Andreas Katzenkopf ihn gelockt hätte, wäre er mit ihm durch Dick und Dünn gelaufen. Aber nur kurze Zeit, dann hatte er sich wieder, schaute aus erstaunten Augen in den nachtstillen Park und merkte, daß er keine Tränen hatte.

Wie ein Wunder schien ihm das.

 


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