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Die Helligkeit dieser Stunde blieb bei Karl Maria, als er am nächsten Abend seine Weiblein in den Kampf führte.

Alles war heute wie in weite Fernen gerückt, von Nebeln verhüllt.

Hell und licht brannte nur die Flamme in ihm selbst.

Wie um seinen Mut auf harte Probe zu stellen, blickte er in das Schwanken von Licht und Dunkel. Er wußte, daß die Trix mit ihrem Mann im Garten war, aber die vielen Köpfe schwammen ineinander, daß er nicht fand, was er suchte. Aber die Freude von gestern wärmte noch sein Blut, und er wußte, daß er nicht ganz allein war. Ein Lächeln glitt um seinen Mund, eigenwillig und stark, wie es die Williguth hatten.

Da sah er die Miriam, ganz vorn, im gleitenden Schimmer von blauen und roten Lämpchen. Seine Lippen wurden schmal, die Brauen schoben sich zusammen. Zornig packte er den Bogen, daß der geschmeidig und behende wurde, wie die Muskeln des Giacomo Williguth. Hatte er als kleiner Bub den Großvater Samuel in einen seligen Tod gegeigt, so wollte er es nun mal bei sich ganz anders versuchen: ins Leben hinein spielte er sich. Allen zum Trotz. Meister Schumann, der romantische Sonderling, half ihm redlich dabei. Und war doch nur ein Weiberkonzert in Werthers Garten in Weimar. Treu und demütig tat Karl Maria neue und bessere Wanderschaft in das Reich der Musik.

In den Jubel von Horn und Trompete klappern Gabel und Messer, in die leisen Frühlingsstimmen der Holzbläser zieht das Gurgeln und Schmatzen. In Fanfaren jubelt die Freude, daß die Welt wieder hell und grün wird.

Karl Maria sieht den roten Abendstreif, der erloschen war, als er seine erste Geige zerschlagen hatte.

Hochauf klingen die Posaunen, als feierten alle Williguth den neuen Lenz.

Der trotzige Blick der Miriam wird zag, sie krampft die Hände ineinander, als müsse sie etwas Fliehendes festhalten. Das ist nicht mehr der unklare Puls, den ihre Stimme einst überjubelt hatte. Das ist einer, der in der Stille gewachsen ist. Neid und Reue machen die Augen der Miriam flackernd und unsicher.

Wieder ruft die Posaune. Schatten fallen übers Land.

Die fetten Philister im Garten gähnen und schreien nach Bier. Karl Maria Tredenius lächelt. Den Mund hat er halb offen, die Augen in selige Fernen gerückt. So kommt das Glück zu ihm.

Die Flöte schluchzt.

Und milde wie ein Frühlingsabend erklingen die Hörner. Alles ist zarte Heiterkeit und Bereitschaft zur Feier der ewigen Auferstehung.

Endlich jubelt der Schluß.

Die vielen Menschen, die der warme Augustabend in den Garten gelockt hat, und deren Ohr sonst nur Militärmusik und Operettenmelodien schmaust, tun erstaunt und verärgert über das sündhaft Große, das sie heute durcheinandergeschüttelt hat. Das brauchen sie sich von dem Jungen mit den närrischen Augen gar nicht gefallen zu lassen. So lange haben sie jeden Witz und jedes Lachen unterdrücken müssen, daß jetzt die meisten gähnen, um ihr Maulwerk wieder ins Gelenk zu bringen. Nur die wenigen, die ein Restchen Sonne in sich bewahren, klatschen und haben frohe Augen, als ihnen endlich einer bestätigt, daß ihr heller Winkel auch sein Recht behalte. Die Wiener Mädchen sitzen heiß und rot und wiegen sich in dem sicheren Musiksinn ihrer Rasse, schier verwundert, daß ihre Hände, die sonst um kargen Lohn Spießbürger liebkosen, nun so rein und herrlich der Musik gedient haben.

Die Gewaltige aber, die ihr Mutterwerk jetzt hinter sich hat, ist in heftigem Zorn und faucht dem Geiger entgegen: »So ein Unsinn! Da kommt kein Mensch mehr zu uns. Musik ist fürs Gemüt.«

Und sie legt die Hand an den schwammigen Busen, der vier Kinder verschiedener Väter genährt hat. Ihr Wienertum stammt voll Eifersucht wider den kecken Buben, der ihr ins Handwerk pfuscht. Als er ihr gar plötzlich ins Gesicht lacht, wie einer, der im Dunkel endlich einen lichten Weg sieht, murrt sie sogleich: »Jetzt bin ich wieder da. Sie können überhaupt gehen. Das ist eine Wiener Kapelle.«

Daß der Bub in dieser Frühlingssymphonie sich selbst befreit und seine neue Freude aller Welt schenken will, bleibt ihr dunkel. Sie sucht einfach das gefährdete Geschäft zu retten, das verlangt, musikalische Gefühlsseligkeit fingerdick auszustreichen.

»Bitte sehr«, antwortet Karl Maria und gibt zum Abschied den Mädchen die Hand. Aber die blicken schnell von ihm weg, weil sie sich schon wieder unter der Fuchtel des alten Quälgeistes ducken.

Der Garten ist beinahe leer. In den Lämpchen zuckt nur mehr kümmerliches Licht.

So verliert Karl Maria allen Dank, aber er trägt ihn in sich und ist froh darüber.

Nur die Miriam sitzt allein, unter einem blauen und roten Lampion, das Licht und Schatten in raschem Wechsel über sie hingehen. Sie wartet auf ihn. Jetzt kommt das Schwerste. Aber auch damit will er fertig werden. So stark ist er heute.

Still saßen sie dann einander gegenüber im Rauschen der Bäume, im Flackern der Lichter, die nach und nach erloschen. Ihre Augen hielten sich fest, als wollten sie noch einmal eins zum andern zwingen. Ihre Worte aber fanden sich nicht mehr, weil ein Fremdes, das sie beide fürchteten, dahinter wartete.

Endlich sagte Miriam mit zorniger Stimme: »Warum haben diese Hunde nicht geklatscht?«

»Ach die.«

Gleichgültig hob er die Hand und ließ sie wieder sinken.

Leichtsinnig wollte sie alle Bitterkeit rasch abtun. Sie wies ins Dunkel, als wären dort alle lieben Erinnerungen aufgehäuft: »Soll das alles aus sein?«

Diese theatralische Gebärde verdroß ihn, weil sie aus ihrem Handwerk stammte. Trotzig setzte er sein Schweigen dagegen.

Miriam preßte die Lippen aufeinander, daß ihre Worte scharf und schneidend wurden: »Ich darf mein Glück nicht vor den Kopf stoßen.«

Noch einmal schlugen die Flammen über Karl Maria zusammen.

»Glaubst du, ich weiß nicht, was dieser Graf Dionys von dir will?«

»Er ist eifersüchtig,« frohlockte die Miriam und langte nach dem Faden, an dem sie den gekränkten Liebhaber wie einen zappelnden Fisch auf den Sand ziehen könnte.

»Dich habe ich lieb und keinen andern. Aber ans Ziel will ich kommen. Und muß ich dabei etwas verschenken, zählt es nicht.«

»Pfui Teufel!« grollte er in der unbewußten Auflehnung aller Leute vom »Blauen Herrgott« wider schnöde Habgier und krallte seine Finger in ihren Arm, daß sie leise aufschrie vor Schmerz und doch voll Freude, wie stark und hell ihr Bild noch in seinem Herzen war.

In dieser Überlegenheit vergaß sie sich ganz: »Du gräbst dein Pfund ein, ich aber will damit vor aller Welt wuchern.«

Schön und stark war ihr Stolz, daß Karl Maria einen Augenblick kleinlaut den Kopf hängen ließ.

Da erwachte ihr Spott, der ihm schon in der Kinderzeit das Wasser aus den Augen geholt hatte: »Du Dummerl, der Dionys soll für mich ja nur der Nußknacker sein, der mir die härtesten Nüsse aufknackt.«

»Was war dann ich?«

Sie schüttelte ungeduldig den Kopf.

Schwerfällig fragte er: »Und das hast du alles schon gewußt, als wir in Tiefurt waren?«

»Ich mag nicht lügen. Also: Ja.«

Jetzt fand er sein Lächeln wieder. Auf einmal war alles ruhig und voll friedlicher Kraft. Er gab ihren Arm frei. Auch blickte er gar nicht mehr zornig, eher traurig oder mitleidig, als wäre Miriams Schicksal von jetzt an das einer ganz Fremden. Steif reckte er sich auf, wie ein unreifer Bub, der nach Art der Erwachsenen tun will: »So ist es der letzte Abend.«

In sicherem Übermut lachte sie ihm ins Gesicht: »Du kommst ja nicht los von mir.«

Statt einer Antwort strich er langsam über die Stirn, als müßte er viele bunte Bilder mit einem Druck auslöschen. Um den Mund lag ein ungläubiges Lächeln.

Er beugte sich zu ihr, daß ihre Augen ineinander hingen. Da begab sich etwas Seltsames: Furcht packte die Miriam, daß er in seinem kindischen Trotz alle ihre Pläne zunichte machen und wie ein Bleigewicht ihr Licht und Luft nehmen könnte. Einen Augenblick wog ihr Ehrgeiz Karl Marias Liebe und die eigene Zukunft in schwankenden Fingern. Dann hatte sie entschieden. Karl Maria war ein schöner Junge, dazu ein Musikus, und seit heute abend wußte sie, daß er sogar Zähne besaß und zubeißen konnte, also dreifache Gefahr. Das Mädel aus der Judengasse hatte einen steinigen Weg vor sich. Darum warf ihre Ungeduld alles liebe Alte von sich, wie einen Pack, den der krummrückige Isaak von einer Wanderschaft mitbrachte und in Vater Gideons Laden schleuderte. Aber es war kein leichtes Werk, daß sie zaudernd schwieg. Dieser Junge war vielleicht besser und feiner als sie. Da gelobte sie sich voll Trotz, schlecht und herzlos zu werden, weil Güte und Feinheit keinen Marktwert in dieser Welt hatten.

»Graf Dionys hat mich vom Großherzog freibekommen.«

Aber es traf ihn nicht. Verwundert blickte er sie an, fast mit etwas Neid auf ihre Klugheit, die mit allen Hindernissen Fangball spielte, während er ungeschickt im Weltleben war und Feiertag nur in seiner Seele hatte. So saßen sie schweigsam und verdrossen, wie damals nach dem Konzert, als sie die Hände in plötzlicher Entfremdung auseinander getan nach einem kalten Adieu. Wie damals war es, nur noch schwerer und bitterer, weil sie jetzt wußten, welche Süßigkeit sie sich geben konnten, und keine Kinder mehr waren.

Miriam fühlte ein leises Weh. Man zwang sie zur Schlechtigkeit. Sie wußte, daß sie jetzt alt und häßlich aussah, in ihrem gekränkten Frauenstolz, der gerne selbst das letzte Wort hatte.

Karl Marias Blick ging über sie fort.

Da schwand ihr Haß. Schier demütig wartete sie. Sie wollte um einen Kuß bitten, um ein Geschenk, das sie immer an diesen Frühling und Sommer in Weimar erinnern sollte. Doch ihr Trotz war stärker. Stumm stand sie endlich auf. Er tat dasselbe. Stumm gingen sie durch die schlafende Stadt. Noch immer harrte Miriam auf ein gutes Wort und hatte Furcht davor. Aber alles blieb still, wie der Park, in dem ihre Liebe erwacht war, und in dem sie jetzt auch sterben mußte.

Karl Maria schaute verwirrt in sein eigenes Herz. Etwas lange und schwer Gefürchtetes lag auf einmal hinter ihm. Ihm war, als fielen Ketten ab. Leise schritt er weiter, wie in einen Nebel hinein.

Als sie beide zum erstenmal diesen Weg gingen, endete vielleicht der schönste Tag in Karl Marias Leben. Nun war es zu Ende.

Das Haus der Miriam lag da. Mit gesenktem Kopf schritt sie voran. Ihr Zögern war ein letztes Warten.

Er aber schlang die Hände ineinander, als hätte er Angst, sie freizubehalten.

Miriams Fuß knirschte über den Kies. Sie wandte den Blick nicht mehr. Nur ihr Haar glänzte aus dem Dunkel.

Karl Maria wußte, was er heute verlor. Eine Tür kreischte im Schloß. Sein überempfindliches Ohr hörte Miriams zögernde Schritte auf der Treppe.

Im Zimmer wurde es hell. Ihr dunkler Schatten glitt auf und ab.

Mit einem Zornruf warf sich Karl Maria in die Nacht.

Trotzig stellte er sich gleichsam neben die Grausamkeit des Lebens und maß sich daran. Dieser Trotz war sein Trost. Aber dann zog es ihn wieder wie mit Seilen nach rückwärts. Es lockte ihn, sich einen alten Weg zurückzutasten.

Und plötzlich wie ein Orgelton über allem Ja und Nein etwas Neues, als wäre diese Nacht aller Wunder voll. Karl Maria lauschte. Mit den Händen griff er in die Luft.

Da kam es. Takt um Takt. Eine richtige Melodie. Dann zerrissen die Glieder, und alles dämpfte sich ins Unhörbare. Leiser und leiser verklang es, mit einem Male aber gab es einen Ruck. Das Klingen blieb, wuchs und breitete sich aus. Die verlorenen Takte tauchten wieder auf, aber jetzt in zwei Reihen, wie Kriegsleute, die widereinander streiten.

In erschrockener Seligkeit horchte Karl Maria auf das, was da ganz von selbst in ihm laut wurde. Er packte zu und formte in erster Schöpferwonne die wirre Masse, halb unbewußt, wie in einem Zwang.

Beim Schein einer Laterne kritzelte er die Hahnentritte und Katzenköpfe auf die Manschetten. Wie ein Fremder beobachtete er sein eigenes Tun. Sein Schicksal tat wieder einmal Bocksprünge, aus dem Licht ins Dunkel und wieder zurück.

Meister Schumann hatte er zum Siege geführt und zum Lohn sein kärgliches Brot verloren, die Miriam war von ihm gegangen, und jetzt fand er diese Melodie, die zu einem Zweigesang zwischen Geige und Klavier sich sonderte. Karl Marias Wesen dehnte und weitete sich, und er sah tausend neue Möglichkeiten. Zwischen Himmel und Hölle ging es auf und nieder. Er fühlte, daß er reicher und zweckbewußter war, nicht mehr ein Spiel seiner Launen wie früher, als ginge es ihm wie den alten Geigen, die mit dem Alter immer besser werden. Wieder vertat er eine Nacht, über seinen neuen Schatz gebückt. Vielleicht war alles bisher nur ein Warten auf diesen Tag gewesen.

Erst der Morgen scheuchte ihn von den winzigen schwarzen Männchen, mit denen er Blatt auf Blatt bemalt hatte. Dazwischen lief das Klavier, und ein anmutiges Weltspiel mit musizierenden Katzen begann. So fand Karl Maria ein Steuer im Sturm.

 


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