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Die Variétéleute trieben es arg und lärmend, als ob sie eine grelle Nacht und einen bleischweren Tag zum Gleichgewicht brauchten. Auch der alte Andreas hatte Lumpenblut, trank gern ein Gläschen über den Durst und hielt dann zuchtlose Reden bis zum Morgengrauen. Kam dieser böse Geist über ihn, tat der Alte ein kluges Werk, ehe er sich dem Versucher überantwortete. Er sperrte Karl Maria einfach ein und ließ ihm nur verstaubte Noten und seine Geige zur Gesellschaft. Zuerst hämmerte der Bub zornig wider die Tür und maß die Entfernung zwischen Fenster und Erdboden. Schließlich holte er irgendeinen kleinen dummen Brief von der ungelenken Hand der Gundl hervor und steckte die Nase tief in diese Mädchengüte. So hielten die Briefe der Gundl seine Seele blank und rein, wie ihre fleißige Hand das Messingzeug im »Blauen Herrgott«.

Seltsam war, daß Miriam gar nichts von sich hören ließ. Die Kundry hatte nur mitgeteilt, daß Miriam an die Oper engagiert sei, vorher aber noch einige Zeit an einem kleineren Theater singen müsse. Und daß Joseph Italiener jetzt oft in den »Blauen Herrgott« fand, wußte Karl Maria ebenfalls. Ob er wohl der Kundry wegen kam?

So ward es Frühling, Sommer und wieder Herbst. Das Leben galoppierte dahin, und Karl Maria lief mit über Stock und Stein und merkte gar nicht, daß ein Jahr fast vorüber war, seitdem er sich aus der Heimat fortgestohlen hatte.

Um die Jahreswende traf ihn endlich der erste kurze Brief der Trix. Der aber war voll Zorn und Vorwurf.

»Wie ein dummer Junge bist du davongelaufen. Ich mag dich nimmer und war so froh, daß ich dich wieder hatte.«

Das geschah in Augsburg, als der Schnee dicht und weiß auf den Bürgersteigen lag und in schweren Wächten von den hohen Häusergiebeln herabdrohte. Die verblichenen alten Fresken hatten häßliche weiße Flecken, nur daß dieser Hermelin nicht um den Hals, sondern mitten im Gesicht saß. Ein halber Knabe sprang da durch den Schnee bis auf das Lechfeld hinaus und trug eine helle Freude mit sich. Sein Gedanke war: Die Trix denkt noch an mich.

Er langte in den Schnee, machte Ball auf Ball und schleuderte sie in vergnügter Rauflust gegen unsichtbare Feinde. Als er daheim war, holte er die Guarneri, spielte das alte Jahr zu Grabe und meldete dies in knabenhaftem Hochmut an Frau Beatrice.

Diesmal blieb er lange ohne Antwort, und das bunte Leben ließ ihm keine Zeit zur Grübelei, die seine alte Fäden hätte wieder anspinnen können. Er aß und trank, wuchs in die Höhe und auch etwas in die Breite und spielte eifrig auf seiner Geige. Andreas Katzenkopf klopfte ihm auf die Finger, wenn er allzu keck seinem Eigenwillen nachhing und halsbrecherische Kunststücke übte, die nicht ans Herz griffen. Da schoß dann Herr Andreas auf und nieder, daß sein fadenscheiniger Schwalbenschwanz wie ein Teufelsschwänzlein hin und her tanzte, hielt die Ohren zu und wimmerte: »Pfui Teufel, sollst in der Hölle braten. Kein Mensch will wissen, was der Tredenius aus Schumann machen kann, sondern nur, was der verrückte Robert da zusammenkomponiert hat. Mehr Demut, Bub!«

Aber die Jugend ist nicht gerne fromm vor fremder Heiligkeit, da in ihren Adern ein ganzer Weltenfrühling braust. Und so riß auch der Unband oft die schönsten Notengespinste auseinander und warf die Takte kreuz und quer. In Trotz und Übermut, als spielte er mit seiner Kraft. Bitter genug war es ohnehin, daß er Abend für Abend süße Walzer und französische Gassenhauer fideln mußte, was den Leuten Spaß und ihm Qual bereitete. Aber er hing mit Leib und Seele an diesem Zigeunerleben und hätte es nicht mehr hingegeben um alles Behagen des »Blauen Herrgott«.

Als einmal die Goldernte ganz besonders reichlich ausgefallen war, schickte Karl Maria davon an seine Schwester und schrieb ein artiges Brieflein dazu, da er ja von seinem Glück stets gern andern mitteilte, wie einst, als noch der Vater sein Impresario und Kassier gewesen war.

Und es kam eine Antwort. Viel Freude brachte sie nicht.

Martha dankte für die liebe Erinnerung, glitt aber sofort über ihr Tun und Treiben weg und stellte Spott wie einen Lampenschirm vor ihr Herz. Doch Karl Maria erriet alles, was seine Schwester ihm verbergen wollte. Schließlich mahnte sie ihn, heiter und keck durchs Leben zu gehen und ja keinen Blick hinter sich zu tun, sonst würde es schlimm.

In dem Umschlag lag auch noch ein geschlossener Brief. Der kam vom Vater. Lange drehte Karl Maria das weiße Ding in der Hand, nicht willig, in die Vergangenheit zurückzuschauen. Da sah er, daß Martha einige Worte mit Bleistift hingekritzelt hatte: »Tu' nicht, was er verlangt.«

Schnell las er, was sein Vater schrieb.

»Es freut mich, daß du frei und munter in der Welt herumziehst. Ich beneide dich darum. Und dabei könnte ich jetzt gut bei dir sein. Denn sie haben mich pensioniert. Ein Tredenius taugt nicht ins Joch. Du könntest jetzt schon leicht ganz allein Konzerte geben, zunächst in kleinen Städten; so eine Seiltänzergesellschaft scheint mir nicht das Richtige für dich. Freilich bist du dein eigener Herr. Aber wir verstanden uns einst doch ganz prächtig, als du bei den reichen Leuten geigtest und ich den hochnäsigen Herrschaften das Geld herausholte. Ein Wunderkind braucht einen Impresario. Die Welt ist schlimm, und du bist jung. Wenn du also Lust hast, laß mich kommen. Etwas kindliche Liebe wird ja noch in dir sein. Von deinem Gelde, das mir Martha gab, lasse ich mir einen neuen Anzug bauen. Meiner ist arg mitgenommen. Martha hat auch ein knappes Leben. Und ihr Mann, – ach Gott, Karl Maria, das ist ein böses Kapitel. So bin ich eben der geduldete alte Vater. Mein Haar ist auch bereits grau.«

So ging das noch eine Weile fort, und schließlich bot er sich nochmals als Impresario an.

In zorniger Scham ließ Karl Maria das Blatt sinken. Ekel faßte ihn, daß er mit geballter Faust die letzten Trümmer dieser Erinnerung zerschlug. An dem Abend rannte Karl Maria Hals über Kopf in die Weinkneipe, wo seine Genossen zechten und sangen. Die Glocken brummten die Mitternacht. Und die kleinen Alchimistenhäuser aus Kaiser Rudolfs wunderseliger Zeit lagen wie bucklige Zweige in bunten Gewändern im Mondlicht, das über Prag und die Moldau ausgegossen war.

So saß der schöne Bub, als er seine Heimat endgültig verloren hatte, unter dem fahrenden Volk, steckte den Kopf in die Weinkanne und vertrank seinen Ekel. Der alte Andreas erzählte lustige Schnurren und ahmte Tierstimmen nach. Das hübsche tolle Mädel, die Katinka Himmelmayr, schwang sich mit dem Neger im Tanz, und ihre Lippen waren rot und durstig.

Dann taumelten sie heim. Karl Maria hätte in dieser Nacht seine Seele verkauft, wenn in Prag der Teufel nicht gerade anderes zu tun gehabt hätte, als einen kleinen Geiger zu umgarnen. In dem Häuschen mit den altertümlichen Erkern gab es noch argen Skandal, als Andreas in höchster Wonne die winkelige Treppe justament hinankriechen wollte.

Später trat die Katinka noch einmal ins Zimmer, wo Katzenkopf seine Weltweisheit in die Nacht donnerte.

Als das leichtsinnige Mädel die gierigen Augen des Jungen auf sich gerichtet sah, schlug sie schnell den alten Frack des Andreas um ihre nackten Schultern und lächelte beinahe traurig, als hätte sie Angst vor einer großen Dummheit, die ihr in Herz und Sinn lag. Herr Andreas hielt mit den nackten Füßen die Guarneri seines Schülers und wimmerte, er sei der Rat Krespel und müsse in die Eingeweide der Geige blicken. Da nahm die Katinka dem Alten die Geige weg und sagte zornig: »Der Bub ist doch da.«

Mit einem Male faßte sie Karl Maria um den Hals und küßte ihn, daß sein Blut erschauerte. Dann aber ging sie rasch hinaus und schloß die Tür hinter sich, drehte auch von außen den Schlüssel um und zog ihn ab.

»Wer ist der Rat Krespel?« fragte Karl Maria, und Katzenkopf murmelte halb im Schlaf: »Ein Narr wie ich.«

Mißmutig trat der Junge ans Fenster und blickte in die Mondnacht hinaus, die in blauem Silber über Prag lag. Ganz leise schlich er zur Tür und rüttelte daran. Aber sie war verschlossen. Und draußen klang ein fernes Lachen. Voll Scham und Zorn zerriß Karl Maria seines Vaters Brief und lag wach bis zum Morgen. Ein neues Wunder war in seinem Blut.

Am Nachmittag brachte Katinka Himmelmayr einige Bücher, hielt sie Karl Maria mit zaghaftem Lächeln hin und sagte: »Komm abends nicht mehr zu uns!«

Als er etwas erwidern wollte, rief sie fast heftig: »Tu's nicht!« Und jetzt glich sie auf einmal der Kundry im »Blauen Herrgott«. So schien es wenigstens dem Karl Maria Tredenius.

Herr Andreas trat nun auch hervor und sprach etwas stockend: »In einer bösen Stunde hast du mich nach Rat Krespel gefragt. Nun haben wir lange in dieser Tschechenstadt nach dem guten deutschen Weintrinker Ernst Theodor Hossmann gesucht, der Mozart zuliebe sich noch den Namen Amadeus ans Schwänzlein hängte. Lies, mein Sohn, und lerne die Weisheit, daß auch Ernst Theodor Amadeus den Rausch heilig hielt.« Er schnappte nach Luft und fuhr fort: »Und schließlich steckt da drin so viel Musik, daß ein Mensch sein ganzes armes Leben damit reich machen kann. Jeder Musiker sollte den weinseligen Hoffmann als Gebetbuch bei sich tragen wider alle Anfechtungen des Teufels, denen gestern sogar Andreas Katzenkopf schmählich erlegen ist.«

Mit einem gütigen Lächeln, das aus der Kinderseele dieses Greises herauffand, legte er die verstaubten Bücher in Karl Marias Hand. Es schien dem Knaben aber, als sei Katinka die eigentliche Gebern. Da grub er die Zähne in die Oberlippe und sagte kargen Dank. So kam er voll Unwillen über eine irdische Enttäuschung in das Zauberreich Hoffmanns. Künstler und Narren liefen da durcheinander, vom Rat Krespel, der alle alten Geigen an sich reißt und in altes Holz zerwirft, zu den dämonischen Sängerinnen. Andreas Katzenkopf war ja selbst so eine Art Krespel, der sein Leid hinter läppischen Absonderlichkeiten verbarg. Da las man von Abenteuern, unwahrscheinlich, Irrlichtern gleich, doch alles aus einer treuen deutschen Sehnsucht aufbrennend. Ja, sogar Johann Sebastian Williguth und die Seinen entdeckte Karl Maria in den Blättern, die nun seine einsamen Nächte reich und schön machten. Da war ein alter, eigensinniger Organist, bei dem Hoffmann die ersten Gehversuche in der Musik tat, wie Karl Maria bei Onkel Williguth. Auch komische Käuze wie Tante Apollonia und der steife Mediziner im »Blauen Herrgott« hatten ihr Ebenbild in den wunderlichen Gestalten dieser Geschichten. So wanderte Karl Maria durch des Kapellmeisters Johann Kreisler Beichte wie durch sein eigenes Leben und fand Trost und Stärke darin.

Von Geigen war da viel die Rede, von wunderlichen Schicksalen wunderlicher Männer, die nur eines heilig hielten: die Musik. Im »Blauen Herrgott« war es ja ebenso, nur daß dort Bücher gar seltene Gäste waren. Und als die Geschichte von dem närrischen Schüler Tartinis daran kam, der alle Geiger als seine Lehrlinge bezeichnete und Geld gab, daß sie bei ihm Stunden nahmen, tauchte Joseph Italiener auf, der klugen Rat für andere wußte und doch selbst ein Stümper blieb. Von Mozart las er und prüfte auf der Geige nach, ob Hoffmann in allem recht hatte. Die wunderbare Andacht, die der alten Kirchenmusik gewidmet ist, lehrte ihn Achtung vor Meister Williguths Tun, daß er einen lieben Brief an den alten Onkel sandte und süßsauere Anerkennung dafür erntete.

In Leipzig geschah es, daß Karl Maria nach langer Zeit wieder ein Konzert hörte, da seine Abende doch jetzt den Walzern und Gassenhauern gehörten. Und er gedachte des Brahms-Trios in H-Dur, als er mit Gundl, ganz zusammengeduckt, vor der Gewalt dieser Musik gesessen hatte. Der Name Hans Geßner trat vor ihn, wie ein roter Zeiger, der in seine eigene Zukunft wies.

Als Katzenkopf vernahm, welches Konzert Karl Maria besuchen wollte, grinste er vergnügt: »Warte, mein Junge, da nimm vorher ein Pulver ein!«

Und er suchte lange in den Hoffmannbänden, dann schlug er eine Stelle auf und sprach bedeutungsvoll: »Beethoven ist das letzte Gericht. Sei stark, Karl Maria!«

Da las der Junge, was Hoffmann über Beethoven und insonderlich über seine C-Moll-Symphonie sagt, las, bis sein Herz brannte und seine Hände zitterten, und saß wieder mal eine ganze Nacht vor Klavier und Geige, wie vordem im Musiksaal der Williguth. »Herrgott, bin ich klein,« murmelte er, wie einer, dem auf einmal zuviel Reichtum zufällt. So rang er wieder mit Beethoven. Aber seine Seele war noch ein armes, schüchternes Ding und konnte nichts anfangen mit diesen riesenhaften Schatten. Das Konzert selbst war ein Sturm, der Halbwelkes und Altgewordenes abriß und wegblies. Mit hellen Augen trat Karl Maria hinaus. In seinem Herzen war das Läuten der Kirchenglocken, die ihre Freude hinausschwingen, wenn Ostern über die Welt kommt.

 


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