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Der Winter zog vorüber. Da packte Martha eines Abends Karl Maria am Arm und flüsterte ihm zu: »Morgen gibt's Sturm – um deinetwillen! Gib nur ja nicht nach, hörst du?«

»Wenn Mutter aber –«

»Es geht um dich, dummer Bub. Du sollst bei Ministers Geige spielen. Ich habe eine Einladung für uns beide.«

Damit rauschte sie davon.

Karl Maria aber blieb in einer verzweifelten Freude zurück. Es war so schrecklich, daß sein erstes großes Glück für die Mutter ein Herzeleid sein sollte. Mußte er nicht freiwillig darauf verzichten, wenn er wirklich ein gutes Kind war? Die ganze Nacht rang er mit seinem Ehrgeiz. Als er aber mit schweren Lidern erwachte, wußte er voll Angst, daß er seine Geige lieber als seine Mutter hatte. Mittags kam er absichtlich viel zu spät heim, in der kleinen Feigheit des verwöhnten Jungen, dem gute Hände bisher manchen Sturm ferngehalten. Im stillen hoffte er, das schlimme Gewitter werde schon vorübergegangen sein. Als er aber im Vorzimmer stand und laute, scheltende Stimmen zu ihm herausklangen, biß er plötzlich entschlossen die Lippen aufeinander und griff nach der Türklinke. Dann zögerte er wieder, weil ihm das grausame Wort des Impresarios S. Lewis einfiel: »Schlagt alles tot, wenn ihr berühmt werden wollt.« Wie ein Verworfener kam er sich vor. Sein ganzer Körper war in Schweiß, als er endlich einzutreten wagte.

Martha hatte die Arme gekreuzt und blickte trotzig drein.

Zornig sagte gerade die Mutter: »Das darf niemals sein. Er wird nur eitel und schlecht.«

Und verächtlich warf sie ein schmales, goldgerändeltes Kärtchen in den Suppenteller. Karl Maria drückte sich in eine Ecke und tat, als ginge ihn die ganze Sache überhaupt nichts an.

Martha strich ihr Kleid glatt und murmelte boshaft: »Darf er nicht zu Ministers, soll Vater wissen, daß er Geige spielt.«

Die Angst machte Frau Lisbeth arm und klein vor ihrer Tochter. Sie zeigte ihre Armut in der hilflosen Gebärde, mit der sie die Hände ineinander rang: »Sag' ihm nichts, Martha!«

Stolz warf da Martha den Kopf auf, daß ihre jungen Brüste sich unter der weißen Seide spannten: » Du tust ja nichts für uns. So müssen wir selber sorgen.«

Ein hilfesuchender Blick der Mutter ging zu Karl Maria, aber der wandte feige die Augen ab.

Martha hielt ihren Vorteil fest: »Du bist entsetzlich altmodisch. Der Bub kann sein Glück bei Ministers machen. Die beste Gesellschaft verkehrt da. Dankbar solltet ihr mir sein, daß ich ihn dort einführe.«

Da nahm Karl Maria seinen Mut zusammen, lief auf die Mutter zu, hängte sich an ihren Hals und bettelte: »Laß mich doch, Mutter! Wozu hab' ich denn geigen gelernt?«

Da sah Frau Lisbeth ihr Spiel verloren und ihre Macht über das Kind dazu. Das machte sie wieder hart, daß sie den Jungen abschüttelte und bitter fragte: »Bist wohl gar mit ihr im Bunde?«

Martha lächelte spöttisch und zog ihn mit gut gespielter Zärtlichkeit an sich, Karl Maria aber ward dunkelrot vor Scham und schlüpfte schnell aus ihrem Arm.

Zu allem Unglück polterte jetzt der Vater herein, überschaute rasch die Szene und tat sehr freundlich und harmlos: »Ja, was ist denn da los? Hat das Muttersöhnchen gar etwas angestellt?«

Schmunzelnd sah er von einem zum andern, in dem behaglichen Gefühl seiner Wichtigkeit als Familienoberhaupt. Er liebte es, seine Opfer ein wenig zappeln zu lassen, ehe er mit einem seiner großen Donnerwetter losbrüllte.

Martha gab sich einen Ruck: »Karl Maria lernt heimlich bei Joseph Italiener Geige. Schon seit vier Jahren.«

»O du,« stammelte Frau Lisbeth und haßte ihre Tochter.

»Lügenpack, Heimtücker, verdammte! Das höre ich erst heute?« schrie Franz Tredenius und schleuderte die Serviette fort, die er schon um den dicken roten Hals gebunden hatte.

»Er hat so sehr gebeten, Franz –«

Sie legte ihm die Hand auf den Arm und sah ganz trostlos drein. Daß sie gelogen hatte, raubte ihr alle Sicherheit.

»Schöne Erziehung, das muß ich sagen. Bub,« drohte er und reckte sich hoch auf, »das geht dir an den Kragen! Was hast du bei den verdammten Juden zu suchen, he?«

»Die haben mich lieb,« trotzte Karl Maria.

Franz Tredenius schlug ihm die Faust ins Gesicht, doch der kleine Kerl verbiß den Schmerz und zuckte mit keinem Muskel. Auch er hatte die Fäuste geballt, sein Atem ging keuchend in namenloser Angst. Er suchte den Blick der Mutter, aber der flog verächtlich über ihn hinweg. Da knickte er zusammen.

Franz Tredenius schüttelte den Kopf in edlem Vaterzorn: »Mir, mir tut das mein eigenes Kind an! Weißt du, was du bist, Karl Maria, mein schöner Bub? Ein Duckmäuser, ein gottserbärmlicher Lügner. Und deine Mutter hilft dir noch dabei.«

Aber auf einmal hatte er ein gieriges Lächeln um den breiten Mund.

»Nun, wir wollen sehen, ob man dir verzeihen kann. Kannst du schon tüchtig Geige spielen?«

»Ja,« hauchte Karl Maria.

»Nein, er ist noch ein dummer Bub. Nur zum Zeitvertreib hab' ich's ihm erlaubt,« schrie die Mutter, die ein Gespenst näherkommen sah.

»Aber Mama, freust du dich denn nicht, wenn unser Kind ein tüchtiger Künstler wird?« fragte Franz Tredenius sanft und vorwurfsvoll. »Also, Karl Maria, ich will annehmen, daß diese heimliche Geigerei eine Überraschung für deinen guten Papa sein sollte, nicht wahr?«

Dann wandte er sich an Martha: »Wenn ich recht hörte, soll er in einem vornehmen Hause spielen?«

»Bei Minister Kirchweger in einer großen Soiree.«

»Das wäre allerdings ein unverhofftes Glück«, sagte mit den Lippen schmatzend der Postoffizial.

Noch einmal wagte Lisbeth den Kampf: »Du wirst den Jungen ruinieren, Franz.«

»Aber Mutter,« eiferte er und kniff die roten Augenlider drohend zusammen.

Karl Maria stand jetzt in der Mitte des Zimmers: »Bitte, erlaube mir's doch, Mutter!«

»Du darfst geigen, mein Junge,« entschied der Vater und fuhr liebkosend über Karl Marias Haar.

Selbstgefällig fragte er dann: »Bin ich nicht ein guter Vater, daß ich diesen Duckmäuser so schön durchrutschen lasse? Seht ihr alle endlich einmal, was ihr an mir habt?«

Es blieb ganz still.

Frau Lisbeth saß alt und verfallen da, die Hände im Schoß gefaltet; Tränen liefen ihr über die Wangen.

»Bring' jetzt die Suppe, Martha,« schmunzelte Franz Tredenius und griff wieder nach der Serviette.

»Hm, heut' hat die Mutter besser gekocht als sonst. Ja, also, du gehst doch mit ihm, Martha, was?« fragte er wohlwollend und langte nach der Weinflasche auf dem Büfett.

»Natürlich. Der junge Kirchweger hat sehr darum gebeten. Weißt du, der Blonde aus dem Rechnungsdepartement.«

»Hat's auch nicht weit gebracht,« tadelte der pflichttreue Beamte, »woher kennst du ihn denn?«

»Ach, bloß vom Eislaufen.«

»Famos. Ich sag's ja immer, du bringst es mal zu etwas. Mach' dich nur fein. Und hübsch reichlich dekolletiert, Martha, das bitt' ich mir aus. Ministers sollen sehen, was für schöne Kinder so ein armer Postoffizial hat.«

Und er löffelte seine Suppe weiter, schmatzend und vergnügt, in selbstzufriedener Gier.

 


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