Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Karl Maria breitete die Flügel und flog in das Kinderland seiner Träume. Fernes ward nah und Altes neu und winkte lächelnd, als wollte es ihn geheimnisvolle Wege führen. Und was seine Erinnerung durch Jahre gemieden hatte, wie ein allzubitteres Tränklein, gor in diesem heißen Sommer zu süßer Trunkenheit. Er lief die seltsamen Zickzackwege zurück, die sein Schicksal ihn geleitet hatte, und fand manch liebes Bild in verstaubtem Winkel. Manch alte Bitterkeit zerrann. Jetzt wurde ja alles gut.

»Ich will groß und reich werden, Gundl,« sagte er da und stampfte trotzig auf. Oft haßte er jetzt seine Träume und kam doch nicht los davon. Im »Blauen Herrgott« machte man ihm das Träumen sauer genug. Mit Keuchen und allerlei Flüchen tat Johann Sebastian seine Pflicht und nahm Karl Maria in harte Zucht. Endlich durfte er ja den ersten Künstler aus seinem stillen Hause in die Welt schicken. Er raffte zusammen, was er von der Geigenkunst aller Zeiten wußte, und stopfte es kunterbunt in das Gehirn seines Schülers. Das Programm kostete beiden viel Schweiß. Lewis hatte ein paar Vorschläge gemacht und besonders Schumanns Violinsonate in D-Moll gewünscht; doch der ehrsame Johann Sebastian auf seiner einsamen Insel hielt den großen Romantiker für einen verruchten Wirbelkopf und betete nur das Alte an. So galt alle Mühe den strengen alten Meistern. Ein kluger Gedanke wies ihm dabei den Weg: ein kaum sechzehnjähriger Junge mitten im Wirrsal seiner Entwicklung war nicht Herr und Meister über seelische Tiefen, derweil seine eigene Seele sprunghaft und schillernd war, wie ein Apriltag. Was aber die Hand lernen konnte, saß fest. So ließ Johann Sebastian wohlweislich Mozart und Beethoven beiseite und schlug dauernd Quartier bei den alten Italienern und Franzosen – und bei seinem Hausgott Bach, dessen Chaconne er sofort dem Konzert einfügte. Karl Maria wehrte sich kaum. Der Ehrgeiz, der jetzt in ihm wach wurde, machte ihn gleichgültig gegen das, was er spielen sollte. Daß er spielte, und wie, darauf kam es an. Stundenlang saß er bei Johann Sebastian und horchte auf dessen Lehren, in einer dunklen Unrast, die ihn von der Theorie immer wieder an die Geige peitschte, tausend neue Feinheiten zu suchen, die ihm vor einer Stunde noch vielleicht entgangen waren. Immer aufs neue schien das Üben von gestern unreifes Stümpern, jeder Tag forderte ein Mehr. Selbst den ehrlichen Johann Sebastian, der Demut und Andacht sonst über alles stellte, packte der Hochmutsteufel beim Schopf, daß er seinem Schüler allerlei Wunder an Technik beibrachte. Aus dem Musiksaal im »Blauen Herrgott« klang es jetzt glockenrein und verschnörkelt, als sänge drin eine wundervoll künstliche Spieluhr.

Karl Marias Schmerz aber war die Geige, auf der er übte und auch im Konzert spielen sollte. Insgeheim, um den guten Williguth nicht zu kränken, der ihm das Instrument verehrt halte, schalt er es einen heiseren Klapperkasten und schob ihm alle Schuld zu, wenn irgend etwas nicht gelingen wollte. Hans Geßners Amati sang ihm lockend im Ohr. Aber er wagte nicht, davon zu sprechen, denn er hatte seiner Mutter Scheu vor dem Eigenrecht von Menschen und Dingen. Und es war wirklich eine hübsche Alt-Wiener Geige, die der gute Johann Sebastian ihm geschenkt hatte, von der fleißigen und geschickten Hand des Daniel Achatius Stadlmann. Doch der glashelle Ton war ein wenig spröde und scharf, so daß Karl Maria oft voll Sehnsucht an den süßen Violaton seiner zerschmetterten italienischen Kindergeige dachte. Im »Blauen Herrgott« bewunderten sie die Stadlmann voll Ehrfurcht, und Karl Maria war viel zu stolz, von dem Impresario Lewis, der sich übrigens, wie er mit leisem Staunen merkte, viel mehr um die Muskeln des Giacomo und um die Stimme der Miriam als um Karl Marias Geigenspiel kümmerte, ein besseres Instrument zu erbitten.

Ganz heimlich, wie er einst zum Haus der Trix gelaufen war, schlich er jetzt in das Stadtmuseum, das eine berühmte Geige besaß. Ein großer Sohn der Stadt hatte das Wunderding einst im Triumphe durch die ganze Welt getragen und es dann nach seinem Tode hierher gestiftet.

Es war eine Stradivari, die da auf rotem Samtkissen in dem schmalen gläsernen Särglein schlief. Edel war der Schwung der Linien, in seinen Arabesken lief die Schönheit bis in die kleinste Einzelheit. Ebenmaß und köstliche Harmonie sprachen aus der Wölbung und Ausladung der Backen, der schlanke Hals endete in einer Schnecke, von freischwebenden Spiralen umflossen, deren Schwung allein schon ein Meisterwerk war. Mit heißen Augen stand Karl Maria stundenlang vor dieser stummen Geige. Er begehrte nach ihr, wie nach einer fernen, seltsamen Geliebten, deren Stimme kein Sterblicher hören durfte. Und herzlos verglich er seine wackere Stadlmann daheim mit einem braven, hausbackenen Mädel, das auf ein Haar der blonden Kundry glich. Seufzend schlich er wieder heim in den »Blauen Herrgott«, zur harten, unromantischen Pflicht.

 


 << zurück weiter >>