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Der erste Quartettabend rückte heran. Unruhig und lauernd lief Karl Maria durchs Haus. Der Meister rüstete sich zum Kampfe.

Neidisch blickte ihm der Junge nach. Aber er blieb trotzig und stumm, mochte es auch brausen und stürmen wie tausendfacher Frühling.

Hans Geßner aber wartete auf den Schrei: »Laß mich spielen!«

Graf Achaz mischte sich ein: »Jetzt muß er ins Feuer.«

Hans Geßner zweifelte: »Ist's nicht zu früh?«

»Unsinn! Wer meinen Katzenjammer fortgeigt, kann auch Beethoven meistern.«

Herr Achaz liebte es ja, dem alten Herrgott ins Handwerk zu pfuschen und wollte nichts weiter sein als ein Handlanger der himmlischen Schönheit auf Erden.

Aber Hans Geßner zögerte und belauerte Karl Maria, der noch immer alle Ungeduld tapfer verbarg.

Im Januar gab das Quartett eine Soiree beim Grafen Rothenwolff. Maestro Rossi spielte noch eine Stunde vorher Corelli, um die gekränkten Hausgeister zu besänftigen, ehe die deutsche Musik anrückte. Sie begannen mit dem A-Moll-Quartett aus der letzten Zeit Beethovens.

Knapp vor dem dritten Satze gab Hans Geßner plötzlich die Geige an Karl Maria: »Ich bin müde. Spiele du weiter!«

Einen Augenblick schwankte Karl Maria, dann griff er zu. Er sah die vielen gaffenden Menschlein gar nicht. Gerade so, als spielte er ganz allein in einer Kirche.

Das wundervolle Adagio war es, der seraphische Dankgesang für die Genesung. Auch Karl Maria genas zum Guten. Aus tiefster Seele floß dieser jubelnde Dank. Wie in einem alten Kirchenchoral liefen die Geigen als fromme Wallfahrer zum Thron der Gottheit.

Endlich lobte Graf Achaz: »Wie ein altes Kirchenlied.«

Liebevoll strichen seine Finger über ein reichgesticktes Meßgewand, das einen Renaissancestuhl deckte.

Hans Geßner nahm schweigend die Geige wieder an sich.

Karl Maria trat zurück, wie einer, der nur einen Blick ins Heiligtum tun durfte und jetzt den Vorhang wieder zusammenrauschen sieht. An diesem Abend zerriß er seine Violinsonate, die ihm einst so heiß und froh zugelodert war, und die ihm jetzt elendes Stümperwerk schien. Auch davon machte er sich frei, tat es auch bitter weh wie damals, als er seine Kindergeige zerbrach. Während so Karl Maria seine Sehnsucht ängstlich verbarg, kämpfte Geßner keinen kleineren Kampf.

Alt und Jung rang widereinander. Über den Meister kam das Alter.

Ecken und Schärfen waren in Hans Geßners Spiel, wie von einer fingersteifen Verdrossenheit, Spuren von Müdigkeit ritzten sich in die einst so klare Schönheit der Tongebung. Nicht umsonst gab er sich den letzten Beethovenquartetten hin, bohrte sich in ihre vielverschlungenen Variationen und mühte sich mit ihren eigenwilligen Härten.

Grämlich erkannte er das erste Versagen.

Und seine Geige riet: »Krone ab!«

Ein anderer wartete schon auf das Erbe.

Aber schwer und wider Menschenart war das Scheiden. Und noch viel bitterer und schwerer, einen anderen zum Thron zu führen. Alle Eitelkeit war dagegen und der Stolz auf den hart erworbenen Besitz. Trat man ab, führte kein Weg zurück. Und die Menschen vergaßen so schnell. Wenn einer dann wiederkam, traf er fremde Blicke. Nur stets lodernde Feuer leuchten in die Augen der Welt. Nein und immer wieder nein.

Er hörte die Jugend an verschlossene Türen pochen und ein Kichern, wie leisen Spott.

Der alternde Mann fröstelte.

Winter war drinnen und draußen.

Da rang sich Hans Geßner ins Reine.

Im Walde war's. Eiszapfen klirrten in der frostigen Luft. In weißem Panzer stand das Tannenvolk. Blaue Schatten fielen über die Welt. Darüber spannte sich der Himmel in kaltem Grün.

Und da fand Hans Geßner endlich den Willen zur Güte. Karl Maria Tredenius sollte das Erbe erhalten.

Tausend Wunderkinder verdarben, gingen zugrunde in kleinen Orchestern und auf Vagabundenfahrten. Allenthalben gab es gierige Hände, die das Schöne zerpflückten. Dieser eine aber sollte ans Licht. Einmal schon hatte Hans Geßner bei Karl Maria den getreuen Eckart gespielt. Umsonst. Das Kind war in die Irre gegangen, weil gedankenlose Menschen Weihrauch vor seiner Eitelkeit dampfen ließen.

Mit einem Ruck tat der alte Geiger alle Bedenken von sich, wie der Sturm Schneelast von den Bäumen wirft, wenn es lenzen will.

Er streckte die Hände, als legte er die Herrschaft nieder. Ein Lächeln ging um seinen Mund, das Lächeln der Alten, wenn sie zum erstenmal in die warme Ofenecke gucken.

Abends saß er bei Franziska Ermattinger, die auch schon den Spätherbst im Blut spürte.

Wie in schmunzelndem Erkennen sprach er da: »Sie glauben gar nicht, wie alt und müde ich oft bin. Manchmal ist es mir, als könnte ich die Geige gar nimmer halten.«

»Pfui Teufel!« tadelte die starke Frau, die mit Bauernkraft dem Leben noch abzwang, was sie von ihm wollte.

Aber er bohrte sich hartnäckig in seinen Vorsatz: »Diese dummen Quartettabende machen mich ganz unglücklich. Es ist nicht mehr so wie früher. Nun kommt die Zeit für andere.«

In den blauen Augen war ein listiger Glanz.

Da begriff die kluge Franziska, daß Hans Geßner gehen wollte, damit ein anderer kam.

Schweigend schritt er zum Ofen und wärmte die froststarren Hände. Und plötzlich stöhnte er: »Aus!«

Franziska aber grübelte: »Ich könnte das nicht.«

 


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