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Seit diesem Morgen wich Karl Maria trotzig allem bescheidenen Werben der Kundry aus. Was brauchte ihn das dumme Ding zu bevormunden? Alle ihre kleinen Aufmerksamkeiten beachtete er nicht mehr, er hatte plötzlich keine Zeit, ihr bei den Schularbeiten zu helfen, saß dafür aber als spöttischer Zuhörer in ihrer Gesangsstunde und konnte sehr unangenehm lächeln, wenn ihr etwas übel geriet.

Darob kam großer Kummer über die dumme Gundl, die ihre treue Liebessorge so jämmerlich gelohnt sah. Und das alles nur, weil sie Karl Maria nicht krank und elend werden lassen wollte und deshalb sein heimliches Nachttreiben an Giacomo verraten hatte. »Das ängstliche Haushuhn« nannte er sie nun zum Dank und war ihr böse.

Die blonde Kundry hatte freilich keine Feuerseele, die in Himmel und Hölle gleich gut zu Hause war, sondern nur einen herzensguten Sinn, der unermüdlich helfen und das Rechte schaffen wollte.

So biß sie tapfer allen verliebten Groll hinunter und brachte dem undankbaren Karl Maria ein neues Opfer. Was ihrer treuen Liebe mißglückt war, mußte einer anderen, Glänzenderen gelingen. Die Backfischeifersucht auf diese andere mußte da einfach schweigen, unter bedrückten Stoßseufzern tauchte Gundl, nach ein paar zornigen Faustschlägen auf den Tisch, entschlossen die Feder ein und begann an die Miriam Italiener zu schreiben:

»Geschätztes Fräulein!
Ich habe zwar nicht die Ehre, Sie näher zu kennen, was ich sehr bedauere, da ich Sie für eine sehr vernünftige Dame halte. Aber Not kennt kein Gebot.«

Hier mußte Gundl nachsehen, ob Not und Gebot mit oder ohne ›h‹ zu schreiben seien. Als sie darüber Klarheit hatte, fuhr sie fort:

»Herr Karl Maria Tredenius lebt, wie Sie wissen, bei uns im ›Blauen Herrgott‹. Wir Williguth sind jedoch nur einfache Menschen, die von den Gebräuchen der großen Welt nichts verstehen. Vater würde es auch gar nicht erlauben. Sie jedoch, mein Fräulein, gehören ja bereits der Bühne an und wissen natürlich besser Bescheid. Mein Vetter«,

hier tropften einige Liebeszähren,

»hat in der letzten Zeit einige Konzerte besucht und spielt nun die Nächte durch heimlich auf Vaters Geige, was sehr unrecht ist, weil er wieder mit aller Macht ein großer Geiger werden will, was er ja bekanntlich auch früher tat.«

Etwas zweifelnd las Kundry diesen letzten Satz ein paarmal durch, runzelte die Brauen und nickte schließlich befriedigt.

»Nun kann weder ich noch mein Bruder Giacomo, die mit seiner Seele vertraut sind,– – –«

Ein schöner Stolz machte diesen Ausspruch schier feierlich und kräftig, daß die Buchstaben wie Grenadiere einherschritten.

»irgend etwas für ihn tun. Sie aber können alles, sagt er oft. Also, bitte, tun Sie das jetzt. Es ist höchste Zeit, daß er berühmt wird. Herr Tredenius ist sehr nervös und ganz blaß. Handeln Sie nach Ihrem Gutdünken. Wenn ich Ihnen dabei helfen kann, geschieht es von Herzen gern. Aber es muß alles ganz zufällig aussehen, weil Herr Tredenius jetzt sehr mißtrauisch ist.«

Als sie so weit war, ging ihr doch der Mädchenstolz durch, daß sie schrieb:

»Sie müssen aber nicht glauben, daß er bei uns unzufrieden ist, der ›Blaue Herrgott‹ ist nämlich sehr schön. Er bekommt das Beste zu essen, und wir haben ihn alle lieb, doch ist sein Schicksal offenbar ein anderes. Wir sind eben nur bescheidene Menschen, trotzdem mein Vater, Johann Sebastian Williguth, doch Regens chori ist und, wie Sie wissen werden, schon wiederholt beim Rheinischen Musikfest und in Leipzig und anderswo mit großem Beifall die Orgel gespielt hat. Ich bitte, diese Mitteilung nicht als Hochmut zu betrachten.«

Mit einem tiefen Seufzer setzte sie den Schlußpunkt und unterschrieb sehr würdig:

»Ihre ergebene Kunigunde Williguth.«

Diesen langen, inhaltschweren Brief schob Gundl heimlich in den blauen Briefkasten und wartete geduldig, was nun geschehen würde. In diesen Tagen war ihr bescheidenes Stimmlein gar hell und freudig, daß Johann Sebastian mehr denn je in hoffärtigen Träumen schwelgte.

 


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