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Spitzbübisch und fröhlich war die Miriam in dieser Zeit, da Karl Maria seine karge Barschaft aufzehrte und kleine Liebesgeschenke in das Haus an der Belvedereallee trug. Doch nur am späten Abend durfte er kommen, weil Miriam allen Theaterklatsch von sich fernhalten und unangefochten als silbernes Sternlein in der Kulissenwelt glänzen wollte. So war viel Klugheit in ihrer Liebe, die wie ein plötzlicher Frühling in das Netz witziger Berechnung gefallen war. Wenn aber Johanna mißmutige Vorstellungen wagte und warnende Briefe von Vater und Mutter vorzeigte, die um alles wüßten, erwachte in der jungen Sängerin der Trotz auf ihr Glück, und sie verbat sich zornig jede Einmischung der Schwester. Kam dann der Abend, und mit ihm Karl Maria, hieß es voll Hochmut: »Der dicke Hans kann verschwinden«.

Er verschwand und liebäugelte in der Einsamkeit mit dem Sparkassenbuch.

Vom »Blauen Herrgott« traf in diesen Wochen keine Nachricht ein. Die hatten offenbar den leichtsinnigen Geiger in Zorn und Trauer vergessen. So viel erriet Karl Maria aus den umständlichen Satzungetümen des wackeren Joseph.

Aber er lebte nur in der Gegenwart und stieß alle mißliebigen Gedanken kurzerhand von sich. Daß ihn alle Welt allein ließ, band ihn nur noch fester an die Miriam.

Sie war eitel und stolz, daß sie jetzt den Jugendfreund ganz allein besaß und ihre heimliche Liebe sein ganzes Glück war. Arm in Arm schlenderten sie an den warmen Juniabenden durch den Park und horchten den vielen Singvögeln zu, die ihr Brautlied schmetterten. Es traf sich auch, daß Miriam voll Überschwang den kleinen Sängern Widerpart hielt und lustig drauflos sang oder Karl Maria bat, seine Geige mitzunehmen und, im grünen Busch wohlgeborgen, für sie allein ein Konzert zu geben. Dann blieben die Fremden, die im Frühling und Sommer in dieser Stadt den verlorenen Gottesfrieden suchten, wohl stehen und lauschten, woher die Geige klang und die Stimme jubelte. So hatte ihre Liebe ein frohes Fest, bis Karl Maria auf einmal keinen Pfennig mehr besaß. Da begann nun freilich eine trübe Zeit, aber er hielt seine Not vor aller Welt geheim, knappte und darbte und schien doch guter Dinge. Im Orchester des Hoftheaters, wo er trotz der Sommerferien Nachfrage tat, fand er alles besetzt, und die Miriam wollte er nie und nimmer um ihre Fürsprache bitten.

Johanna Italiener spitzte die Ohren, als die kleinen Gaben an ihre Schwester ein Ende hatten und Karl Maria mager und bleich wurde, mit geduldigem Behagen sah sie ihre Erntezeit reifen.

Karl Maria hielt jetzt oft die kostbare Geige der Trix in der Hand. Die war ja sein einziger Schatz. Während bisher alles so leicht und sicher lief, daß er glaubte, alle Schwere des Lebens auf den Handflächen tragen zu können, grinste ihn jetzt die leibliche Not an. Manchmal ließ er da die Guarneri beiseite, gleichsam als hätte er sie schon verloren, und spielte auf der alten Wandergeige, die Andreas Katzenkopf ihm zum Abschied verehrt hatte.

Der Leichtsinn der Miriam sah nicht in fremde Kümmernis.

Die Augen der rothaarigen Johanna aber achteten genau auf ihre Zwecke. Sie begann das Spiel auf der alten Geige des Katzenkopf über alles Maß zu loben und den Besitz zweier Geigen als Verschwendung zu schelten. So rückte sie ihr geheimes Plänchen gefällig in den Vordergrund.

An einem Abend rannte der Junge ihr richtig ins Netz. »Du hast hohle Wangen, Karl Maria. Und meine Mutter sagt, am Essen soll man niemals sparen.«

Er hörte kaum, was sie sagte. Nur doppelt bitter empfand er seine Bedrängnis, weil jetzt ein anderer davon sprach.

Bedachtsam lenkte sie ein Stück weiter: »Ich meine es nur gut mit dir.« Als er mürrisch schwieg, wandte sie ihm scheinbar beleidigt den breiten Rücken.

Da tat er das Dümmste, was er tun konnte, und bat um ihren Rat.

»Das läßt sich schon anders hören«, erwiderte sie befriedigt und riß teilnehmend ihre Froschaugen auf.

»Weißt du, Karl Maria, dir fehlt noch gänzlich ein fester Charakter. Das aber braucht man im Leben vor allem. Ach Gott, du warst ja leider immer ein Schlemihl. Du hast vom Himmelsblau gefaselt, während ich das beste Stück von Mutters Torte dir wegaß. Wäre ich bloß deine Schwester, ich wollte dich schon auf den rechten Weg bekommen. Aber ich habe genug Last mit der Miriam.«

Und jetzt sprach sie ziemlich wegwerfend von der Schwester, die eigentlich kein Herz, nur Launen habe, und je mehr Karl Maria die Angegriffene verteidigte, wie einer, der seinen letzten Besitz festhalten will, um nicht ganz einsam zu sein, desto näher erblickte Johanna das gute Geschäft.

Schließlich nannte er das Ding beim rechten Namen: »Verkaufen mag ich die Geige nicht. Es ist alles, was ich habe.«

»Du lieber Gott,« beschwichtigte Fräulein Johanna, »bei Künstlern kommt das ja vor. Miriam hätte keinen Rock am Leibe, wenn ich nicht wäre.«

So wurde endlich der Beschluß gefaßt, daß Johanna in aller Heimlichkeit mit der Guaineri nach Leipzig fahren und die Geige dort kunstverständig abschätzen lassen sollte.

»Ist's ein ziviler Preis, will ich selbst meine Ersparnisse daran wagen«, erklärte die mitleidige Johanna, und als Karl Maria sie erstaunt und dankbar anblickte, sagte sie bescheiden: »Es geschieht nur aus einem guten Herzen. Bei mir ist das kostbare Stück sicher geborgen.«

»Und wenn alles aus ist,« schloß sie in voraussehender Klugheit, »kannst du die Geige ja wieder auslösen.«

Doch sie dachte, daß es wohl nie dazu kommen würde. Himmelsgucker sitzen ja immer auf der irdischen Eselsbank. Und wenn auch das Unwahrscheinliche geschah, barg dieses Pfand das Geheimnis, durch großherzige Rückgabe Karl Maria gefügig zu machen, falls seine Liebe das Emporkommen der Miriam irgendwie in Frage stellen sollte.

So verpfändete er sein Herz an die Miriam und seine Geige an die Johanna, letztere um tausend Mark.

Ein Teil dieser Summe wanderte wieder in den Haushalt der beiden Schwestern. Miriam war freilich voll Ärger, als sie erfuhr, Karl Maria habe seinen wertvollen Schatz in Leipzig in Pfand gegeben, und wollte das Stück sofort selbst auslösen. Aber sie traf auf hartnäckigen Widerstand, der kein Geschenk nehmen wollte, auch nicht von ihr. Im Hintergrund blinzelte vergnügt die schlaue Johanna und strich, wenn sie allein und verwiesen das heiße Glück der anderen hinter der Türe wispern hörte, liebkosend über die Geige, daß das Meisterwerk des Guarneri unwillig brummte über solche Entweihung.

Miriam Italiener vergaß bald das Opfer Karl Marias und wandelte wohlgemut in seiner willfährigen Liebe. Nur einmal kam sie darauf zurück, als er endlich einen seltsamen Posten für seine Kunst gefunden hatte. In Werthers Garten, einem Abendlokal, konzertierte eine Wiener Damenkapelle, und da das weibliche Oberhaupt infolge der Geburt eines strammen Jungen gerade notgedrungen die Dirigentengeige niedergelegt hatte, war diese Schar verwaist und griff zu, als der junge Tredenius sich zur Stellvertretung bereiterklärte. Zwar erschloß sich ihm da keine Goldquelle, aber immerhin eine kleine Einnahme, die seiner Not ein Ende machte und ihm neues Selbstvertrauen gab. Auch reizte es ihn, alles, was er im »Blauen Herrgott« dem Oheim an Dirigentenkünsten abgelernt hatte, hier praktisch zu betätigen.

Die Miriam pfauchte zuerst: »Bratlgeiger! Und dein altes Holz willst du dort streichen?«

In ruhiger Festigkeit antwortete er: »Das andere gab ich um deinetwillen fort.«

Keine Spur von Reue war in seinen Worten. Aber die Miriam schluchzte ein wenig und hängte sich an seinen Hals: »Ich bin ein grundschlechtes Ding.«

 


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