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Als dem Musikgrafen sein Plänchen, dem flatterhaften Dionys durch Eifersucht auf Karl Maria Tredenius in das eheliche Heim zurückzuführen, mißglückt und statt dessen ein neues Liebeswirrsal angerichtet war, wandte sich sein Zorn gegen Lippa Lippi, der er nun allerlei am Zeug zu flicken begann. Aus Vorsicht aber zog er dabei stets den verständigen und vielgewandten Jacopo Rossi zu Rate, der ihn als sein musikalisches Gewissen in allen Fährlichkeiten seines beschwerlichen Intendantenlebens begleitete. Seit dem trefflichen Einfall des gewitzten Italieners, des jungen Tredenius Seele an Meister Hans Geßner zu verhandeln, um seinen Herrn aus übler Lage zu retten, ließ Rothenwolff den Alten gar nimmer von sich, trotzdem dieser sich bescheiden im Hintergrund hielt und niemals mehr sein wollte als des Grafen Achaz Kammerdiener und Leibmusikus. Alle Sänger und Sängerinnen aber kannten die Macht des dürren Gesellen, und Jacopo zehrte auch ganz behaglich von diesem Ansehen. In allen Proben hatte er seinen Platz hinter dem Generalintendanten, bescheiden geduckt, die Finger grüblerisch vor das kahle Haupt gelegt. Rossi bewunderte Miriam Italiener, deren Stimme sein Herz gefangen hatte, und drückte dem fleißigen Mädchen oft anerkennend die Hand. Darum war er recht betrübt, als jetzt Graf Achaz gegen die Lippa Lippi ins Feld zog, mit listigen Stichelreden und kaltem Hohn, je nachdem, wenn ihr etwas übel geriet. Es war ein hartes Mittel, das aus der Verzweiflung kam, und die musikfrohe Seele des alten Herrn lag oft in Zwietracht mit seinem Familiensinn.

Als die Miriam einmal in der Bravourarie der Konstanze ihre Stimme nachlässig behandelte, weil ihr Herz gerade ganz anderswo war, polterte Achaz los und ließ abklopfen.

Miriam schaute den Erzürnten lange an, zuerst selbst zornig, dann erschrocken und schließlich mit klugem Lächeln.

»Verzeihung,« sagte sie leise, »das war häßlich von mir.«

Und sie bat höflich um frischen Einsatz. Aber wieder schnappte sie vor dem Hindernis ab. Da wetterleuchtete es in ihrem Gesicht, die kurze Oberlippe sprang hoch, unwillig zuckten die Lippen. Sie warf den Kopf zurück und krallte die Finger in ihr Kleid.

Der Graf verbiß seinen Zorn, weil ihm dieser trotzige Ehrgeiz gefiel, und fragte ganz sänftiglich: »Was ist denn heute los?«

»Ach, Exzellenz, es ist zu dumm. Ich bin ein armes Judenmädel, mein Elternhaus ist schwarz und schmierig. Aber lieb hab' ich es doch. Und nun wird es abgerissen. Ein kleiner Garten war da, mit einer uralten Linde. Die liegt jetzt gefällt. Und da kann ich nicht einmal singen.«

»Das ist freilich ein Grund,« brummte der Alte und lächelte beinahe freundlich. Und dann grübelte er, was dieses Prachtmädel an seinem Windhund Nisi nur finden konnte. Die küßte den armen Dionys höchstens als Türöffner ins neue Leben. Des Grafen Achaz Vaterstolz sah nicht gern in solch unwillkommene Klarheit. Plötzlich haßte er sein Alter. Bei Gott, er war ein anderer Kerl gewesen. Dann schmunzelte er wieder und saß mäuschenstill.

Als Miriam endlich ihre Stimme in die Hand bekam, versah es die erste Geige und blieb kläglich zurück. Man hörte ein greuliches Kratzen von dem Platze des Geigers Tredenius.

Graf Achaz spitzte die Ohren. Wie Mitleid mit all dieser dummen und reichen Jugend packte es den alten Mann.

Am Schlusse der Probe trat Karl Maria zu Miriam und fragte: »Ist das wahr mit der Linde?«

So wechselte er seit den Tagen von Weimar das erste Wort mit ihr.

»Freilich, man hat sie schon umgeschlagen.«

Sie wartete, hätte nicht ungern mit ihm von dem alten Garten Abschied genommen. Aber er rührte sich nicht. Zu einer Bitte war sie zu stolz. So gab sie ihm kalt die Hand.

Karl Maria aber begriff nicht, was die Miriam so handeln ließ, und trabte im Haß davon.

Am selben Abend ging er ins Winkelwerk der Judengassen. Es war später März, überall wuchs neues Grün aus altem Holz.

Bauschutt sperrte den Weg. Durch leere Fensterhöhlen blickte ein blaßblauer Simmel. Die Vorderseite des Hauses war schon abgetragen. An aufgeschichteten alten Ziegeln vorbei kam Karl Maria in den Hof.

Da lag die Linde, noch kahl, aber mit tausend Knospen, vom Rosenstock war nichts mehr zu sehen. Nur der Fliederbaum stand noch, halb begraben in Staub und Steintrümmern.

Karl Maria hockte sich auf den gefällten Stamm. Viele Jahre lang hatte diese alte Linde grüne und goldene Blätter und auch Schneelasten getragen und alles überdauert, was rings um an Leid und Freude geschah. Jetzt war sie tot, faulendes Holz, und die Knospen mußten verderben.

Da zog Karl Maria einen dicken Strich unter alle Erinnerungen seiner Kindheit. Und jetzt wußte er: nichts ging verloren in dieser Gotteswelt, alles hatte seine Ewigkeit, wenn auch Menschen und Bäume umsanken. Schwer und widerwillig hatte er diese Erkenntnis erlernt, aber jetzt hielt er sie fest als seinen besten Besitz. Ohne Haß sah er zurück, weil er doppelten Gewinn in alle Zukunft trug. Und deshalb konnte er auch lächeln wie einer, der das Gute gar nimmer verlieren kann.

Freilich wünschte er sich die Muskeln des Giacomo, der alles vor sich niederzwang und seinen Weg durch dick und dünn brach. Die Tredenius aber hatten langsameres Blut und guckten nur dem Leben zu, statt es kräftig zu fassen. Und doch fühlte Karl Maria, wie er mählich reifer und zielbewußter wurde, wie das unnütze Funkenwerk in seinem Blut verknisterte.

Einen Augenblick zögerte er, dachte an Vater und Schwester. War ja nicht weit von hier. Dann schüttelte er den Kopf: Nein! Die sollten ihm jetzt nicht mehr den Weg ans Ziel verlegen, die nicht und niemand sonst. Aber da stutzte er wieder. Es gab eine liebe Frau und gab eine lockende Möglichkeit. Doch auch dies galt ihm heute nichts, als wäre er endlich an aller Dummheit Ende gelangt.

Mit einem Male schlug er die Hände auf den Stamm. Durch wollte er und nicht länger warten.

Harte Hände und trotzige Tat.

Am nächsten Nachmittag kam Joseph Italiener in den »Blauen Herrgott«. Da packte Karl Maria zu und tat gleich einen derben Griff, wie einer, der es noch nicht gewohnt ist. Joseph bettelte mit treuen Augen um das Glück, das hier wohnte und nicht zu ihm finden wollte. Zum erstenmal sprach er offen von seiner Liebe, verwickelte sich aber in unbeholfene Sätze, als wüßte er nicht ein noch aus.

Ganz dunkel war Karl Marias Blick. »Komm!« sagte er rauh. Und schritt voran in den Musiksaal, wo Gundl allein über einer Stickerei saß, die ein Hauskäppchen für Vater Johann Sebastians kahlen Scheitel werden sollte.

Sie nickte den zwei Männern entgegen und legte die Arbeit fort, Joseph Italiener schaute in Gottergebenheit auf das geliebte Mädchen und wackelte zum bräutlichen Gruß mit den Henkelohren. Als Gundl darüber lächelte, griff er erschrocken nach dem vorwitzigen Ohrenwerk.

Sie gab ihm die Hand: »Was soll es denn sein?«

Gut und zutraulich glaubte sie an einen Scherz.

Karl Maria sagte mit seltsam fester Stimme: »Da ist mein alter Lehrer. Weil er aber als Traumichnicht im ganzen Leben zu nichts den Mut hat, muß ich es für ihn tun. Er hat dich lieb, Gundl. Und jetzt sage mir, ob du ihn leiden kannst.«

»Karl Maria! stammelte Joseph und rang bittend die Hände.

Aber der junge Tredenius blickte Gundl Williguth an wie einer, der eine Last endlich von sich legt.

Gundl war aufgestanden, daß ihr Schattenriß auf dem Goldgrund des Fensters schwamm, hinter dem die Märzsonne im Sinken war. Langsam strich sie über ihr lichtes Haar, als ob jetzt aller Schimmer fort sollte. Ihr Herz schlug viele Schläge, rasch zurück in die Vergangenheit und dann pedantisch in die Zukunft.

»Ich kann noch nicht,« murmelte sie schließlich und sah geradeaus in den Abend.

Karl Maria wartete. Da war ein Mensch, der ihn lieb hatte. Schwer ging sein Atem. Ungeduldig trat Joseph von einem Fuß auf den andern.

Da wandte sich Gundl nach ihm um: »Wenn Karl Maria am Ziel ist, kommen Sie wieder, Joseph!«

Unwillig rieb der ehrliche Brautwerber die Fingerknöchel widereinander. Zum zweitenmal schon erhielt er diesen Bescheid. Er konnte ja Karl Maria nicht mit Gewalt ans Ziel bringen. Plötzlich ging ein frohes Grinsen um seinen häßlichen Mund.

»Hans Geßner ist wieder in der Stadt. Und wenn Karl Maria ...«

Zuversichtlich lächelte er jetzt, als hätte er den Weg gefunden, der den jungen Tredenius und ihn zugleich zum guten Ende führen mußte.

»Hörst du, Karl Maria, Hans Geßner ist da?« wiederholte die Gundl.

Er aber schwieg, nickte kurz und ging hinaus.

Gundl nahm Josephs Hand: »Einen solchen grundgescheiten Einfall hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.«

Und Joseph war dankbar für diese Anerkennung.

Gundl hoffte, daß Karl Maria auf Hans Geßner zurückkommen werde, aber er tat nichts dergleichen, und als sie selbst das Gespräch dahin brachte, sagte er gleichgültig: »Ich weiß, daß er da ist. In der Zeitung war es zu lesen.«

Der Regens chori mischte sich ein: »Der könnte dir freilich behilflich sein in den weltlichen Dingen, von denen ich selbst leider Gottes nichts verstehe.«

Lauernd blies er den Rauch aus der Pfeife.

Karl Maria aber sagte nur: »Ich muß zur Arbeit.«

Und gleich darauf klang seine Geige durch den »Blauen Herrgott«.

Nur der Trix vertraute er das nächstemal: »Mir ist zumute, wie wenn ich eine Seifenblase in die Luft schickte, von der ich dann nicht weiß, wird sie steigen oder fallen.«

Trix sah klar. Das erste Gähnen kam in ihre Vertraulichkeit. Und wenn Karl Maria ihre Hand streichelte, das einzige, was ihm erlaubt blieb, wußte sie: Er glaubt, es ist seine Geige.

 

Da sagte sie zum Grafen Achaz: »Unser Tredenius hat wieder das Wanderblut.«

»So? So?« murmelte der Alte und verbarg knapp ein zufriedenes Lächeln.

Tags darauf schenkte er der Schwiegertochter ein hübsches Rokokobild von der Hand des deutschen Malers Georg David Matthieu. Als er glücklich einen passenden Platz für die Malerei entdeckt, das Bildnis eines fürstlichen Geschwisterpaares aus dem Hause Mecklenburg, rieb er schmunzelnd Hand wider Hand und guckte listig um sich. »Ist das nicht prachtvoll gemacht, liebe Bea,« fragte er, »wie die kleine Prinzeß mit dem Fächer in den Park weist und den Bruder anlächelt? Und der Knirps erwidert zaghaft das Lächeln der Schwester, wischt mit dem Federballschläger hin und her und weiß nicht recht, was er tun soll.«

»Ich danke dir sehr, Großpapa,« antwortete Beatrice, indessen ein ganz kräftiger Zorn in ihr aufwuchs wider den alten Schlaukopf, der seine Diplomatenkunst jetzt an ihr versuchte, und dem Herzweh vogelleicht wog.

So wurde es ein beinahe frostiger Abschied. Und der arme Dionys, der gerade seinen vergnügungssüchtigen Leib daheim zur Rast bettete, erhielt arge Blicke, daß er seine Schwelgerei schließlich als nötige Flucht aus allem Trübsal betrachtete. Dabei hatte die Miriam keinen milderen Sinn, so daß der blonde Graf in lichten Augenblicken sein Schicksal mit dem von Buridans Esel verglich, der zwischen zwei Heubündeln Hunger litt.

Den meisten Nutzen zog daraus der kleine Achaz, der Küsse und Spielzeug im Überfluß einheimste.

Als der Geiger Tredenius die Malerei des Matthieu zum erstenmal sah, schob er die Brauen kraus und blieb wortkarg.

Ganz leise fragte die Trix: »Willst du in den Park, Karl Maria?«

Da schaute er lange auf das Bild, über das alle Wunder und Zärtlichkeiten von Farbe und Licht ausgegossen waren, und nickte.

»Laß dich nicht halten!«

Ungläubig schüttelte er den Kopf.

»Es ist stärker als ich.«

Und plötzlich schrie er auf: »Du liebe Frau!«

Aber sie küßte ihn nicht.

So lebte Karl Maria in neuer Unruhe. Gundl Williguth, die Art und Unart seines Wesens von Kindesbeinen kannte, warf manchmal die Frage hin: »Nicht wahr, der ›Blaue Herrgott‹ ist dir schon wieder zu eng?«

 


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