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Andreas Katzenkopf stelzte vergnügt durchs Zimmer:

»Recht so, Hals über Kopf fort. Das ist das Beste.«

Dann packten sie Noten und Kleider, hastig wie Verbrecher. Und Andreas kicherte dazwischen: »Nun geht's auf die Wanderschaft. Und ich werde wieder jung.«

Er beguckte Karl Marias Geige, bewunderte die kunstreiche Arbeit und den prachtvollen Ton. Voll Gottvertrauen sagte er dann: »Versetzen kann man sie auch.«

Heimlich wollten sie fort, gleich morgen, und alles hinter sich lassen, der Alte die Kirche zu den Neun Chören der Engel und der Junge den »Blauen Herrgott« und vieles andere auch.

»Mit Gewalt werden sie dich wohl nicht zurückholen,« sinnierte Herr Andreas, »das könnte sonst recht unangenehm werden.«

»Eher töte ich mich,« schrie Karl Maria und band Mozarts Quartette in einen Pack.

»Unsinn! Wirst Augen machen, wie lustig das ist. Hinter dem Ofen kriecht kein Schmetterling aus. Das liebe Tier braucht Sonne.«

Und er klatschte in die Hände und hüpfte wie ein alter Ziegenbock auf seinen gichtkrummen Beinen

Daheim kramte Karl Maria die ganze Nacht in seinen Siebensachen und stopfte das Allernotwendigste in eine große buntgestickte Handtasche, die eigentlich Onkel Williguth gehörte. Er tat auch reichlich Tränen dazu, aber der Zorn trocknete sie schnell. Zwei Briefe schrieb er, an die Mutter und an die hochgeborene Gräfin Beatrice Rothenwolff.

»Verzeih mir alles, liebe Mutter! Ich kann nicht anders.«

An die Trix klang es kühl und knapp.

Schließlich besann er sich und gab noch ein Brieflein an die Gundl dazu. Jetzt war er bereit zur Wanderschaft. Er faltete die Hände und bat um frohes Gelingen.

So kam der nächste Abend.

Im »Blauen Herrgott« saßen sie beim Abendbrot. Mit schmunzelnder Gelassenheit verteilte Frau Apollonia die Portionen und schob auch einen reich beladenen Teller vor Karl Maria. Aber die Bissen blieben ihm im Halse, daß er üble Grimassen schnitt.

»Klopfe ihm den Rücken!« befahl Johann Sebastian dem Mediziner, der stracks in wichtiger Geschäftigkeit dieses Amt besorgte.

»Heute ist unser Paganini wieder besonders gesprächig,« brummte Meister Williguth und blies vergnügt die Backen auf.

»Das macht die Freude über die neue Geige,« entschuldigte Frau Lisbeth, die schon von dem Geschenk der Trix wußte. Ihre Augen wanderten zu Karl Maria und liebkosten ihn in der unerschütterlichen Hoffnung, die eine Mutter bis zum Grabe aufrechterhält.

Er aber senkte feig den Blick.

So lief die Mahlzeit in behaglicher Gefräßigkeit hin, bis die Williguth ihren irdischen Menschen gesättigt hatten und nun auch nach seelischer Kost verlangten.

»Hole also deine neue Geige und spiele uns die Chaconne von Bach!« ermunterte Johann Sebastian und schwelgte schon in musikalischen Genüssen, die er sogar dem Abendpfeifchen vorzog.

Als Karl Maria widerwillig aufstand, als gälte es noch ein letztes Zögern, rief der gute Onkel: »Er mag den Bach nicht, der Barbar. Na, zeige uns, was du von Mozart gelernt hast!«

Und breitspurig stapfte er zum Klavier. Denn die Schar der Williguth schmauste stets im Musiksaal, derweil ihre Leiblichkeit sonst keinen Platz fand.

Karl Maria warf noch einen raschen Blick zurück. Da hing die Lampe mit dem grünen Schirm wie eine große Zipfelmütze über den gutmütigen Köpfen der Leute vom »Blauen Herrgott«. Und dort leuchtete das Goldhaar der Gundl.

Mit einem Ruck schleuderte Karl Maria Schuld und Dankbarkeit von sich. Jetzt mußte es geschehen. Was wollte er noch hier? Ein unnützer Fresser war er, sonst nichts. Das Herz der Gundl hatte er verraten und die Mutter belogen. Noch einmal die Trümmer seiner Welt betrachten? Was gewann er damit?

Jetzt stand er hinter der Tür.

Wie aus weiter Ferne kam Gundls Stimme: »Karl Maria ist heute abend so sonderbar.«

Und dann der Baß Johann Sebastians: »Sein Kopf ist wie ein Fliegenglas, voller Mucken.«

Da lief Karl Maria davon.

Und ein Wagenrollen ließ die Fenster des »Blauen Herrgott« leise erzittern.

 


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