Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ehe aber die Gundl noch einmal einen Gang zu Franziska Ermattinger tun konnte, um Karl Maria in sein Glück zu schmuggeln, ließ Graf Achaz Rothenwolff seine Minen springen. Und es war kein Sterngucker mehr, der die erste Geige in Brahms H-Dur-Trio führte. Gundl Williguth hätte ihre Freude an dem Eifer gehabt, mit dem Karl Maria ans Werk ging, und hätte zufrieden gelächelt wie eine echte, treue Schwester. Und ein anderer hätte dicke deutsche Tränen geweint, Meister Johann Sebastian. Denn es war deutsche Musik, die der junge Tredenius da in den Barockbau gebracht hatte, langsam und geschickt, sehr gegen den Sinn des Grafen Achaz und seines getreuen Rossi, die ihre zierlichen Zöpfchen und verschnörkelten Passagen aus einer Bastion nach der andern verdrängt sahen. Von E. Th. A. Hoffmann gab es mancherlei Wege zu Johannes Brahms und zu seinem H-Dur-Trio. Deutsche Demut trug Karl Maria in sich, eine Gabe aus dem »Blauen Herrgott«, und deutschen Träumersinn, der sein Haupt unter dem Sternenhimmel bettet und einen Blick durch Regenwolken höher wertet als reichen Prunk. Das war wieder ein Geschenk des Weltwanderers Andreas Katzenkopf, der fortan verschollen blieb, als wäre es genug, daß er seine Pflicht an dem Wunderknaben Tredenius getan hatte.

So geriet dieses Trio allen zur Freude, selbst dem widerhaarigen Jacopo Rossi, der ein Jugendfreund Verdis war und deutsche Musik nur wenig gelten ließ. Auch Frau Beatrice blickte zufrieden. Sie wußte ja: »Du bist auch in diesem Wunder drin.«

Das Klavier des alten Grafen jubelte über die beiden Geigen manchmal allzu keck hinweg, als hätte er heute Eile, aus der sonst so geliebten Musik zu anderen und vielleicht noch erfreulicheren Ereignissen zu gelangen.

»Ihr dummen Menschlein!« rief er und ließ die Tasten ruhen.

»Dieser Brahms ist nicht ohne Talent,« erklärte mit zögernder Anerkennung der Maestro aus Turin.

»Ich bin stolz, daß ich dein erster Lehrer war,« sagte Joseph Italiener und blies die Backen auf.

Stolz und Demut stritten in Karl Maria. Ganz leise sagte er da: »Jetzt will ich Hans Geßner bitten, daß er mich als Schüler nimmt.«

Graf Achaz lächelte wunderlich und wandte sich um, als suchte er etwas. Aus dem Hintergrunde kam eine feste Männerstimme: »Es gilt, Tredenius!«

Graf Achaz' Lächeln wurde ein breites Schmunzeln.

Rossi verkroch sich schnell in den Kammerdiener und rückte Stühle zurecht. Frau Beatrice schaute in das Flackern der Kerzen, von denen Wachstränen tropften. Jetzt nahm ihr das Leben den lieben Jungen, und sie konnte sich nicht sogleich darein finden.

Karl Maria erkannte die Stimme. Unwillkürlich zog er den Kopf zwischen die Schultern wie einst, da er als kleiner Junge, der mit seiner Geige in reiche Häuser lief, zum erstenmal vor Hans Geßner gestanden war. Die blauen Augen von einst glänzten ihm entgegen, aber der Schnurrbart war jetzt weiß, und Falten gruben kreuz und quer in dem klugen Gesicht.

Hans Geßner gab Karl Maria die Hand: »Wir sind ja alte Bekannte.«

Blick traf in Blick.

»Es ist kein Wunder, Tredenius. Ich saß im Nebenzimmer.«

Vergnügt gestand Graf Rothenwolff: »Der Missetäter bin ich.«

Jacopi Rossi schenkte gemessen Tee ein und verriet mit keinem Muskel, daß seinem Witz dieses artige Plänchen entsprungen war.

Karl Maria hatte es nicht leicht, die Hände bohrte er in die Taschen und sah zu Boden.

Hans Geßner baute ihm goldene Brücken: »Damals sind wir nicht zusammengekommen. Vielleicht geht es jetzt.«

Noch immer zögerte Karl Maria.

Da trat Beatrice heran, helläugig und frei, wie schon lange nicht, und legte ihm die Hand auf die Schulter, wie Gundl Williguth es nicht anders getan hätte.

Und Karl Maria fragte: »Darf ich Ihr Schüler sein?«

Reife und Stille war um ihn. Und doch rauschte und brauste es in seinem Blut, wie wenn tausend Geigen auf einmal anklingen. Und er lächelte wie ein glücklicher Mensch.

Herr Achaz stand als Taufpate dieses Glücks im Hintergrund und rieb die Hände, weil ihm dies Stücklein so wohl gelungen war. Karl Maria und Beatrice beugten sich über zwei Puppen, die Dudelsack bliesen. Zum Abschied war es.

»Du, Trix?«

»Ja?«

»Jetzt ist alles anders.«

»Freust du dich?«

Keine Antwort kam.

Ein feines Frauenlächeln: »Auf glückliche Fahrt!«

Da faßte er ihre Finger: »Das hat der alte Achaz getan.«

Zornig nickte sie und freute sich doch, daß sie beide stark und rein geblieben und keine Bitterkeit Platz in ihrer Freude hatte. Als wäre es gar nicht zu begreifen, schaute Karl Maria in das Wunder, daß seine Geige seine Liebe verdarb. Dumm und grausam schien ihm das Leben und war doch nur eine Fahrt zum Ziel.

Im »Blauen Herrgott« wartete die Gundl bis Mitternacht auf Karl Maria. Als sie dann alles wußte, sagte sie nur still: »Du lieber Bub!« Wie Bruder und Schwester saßen sie beieinander und blickten dankbar in die Mainacht.

Am nächsten Morgen aber sprach Johann Sebastian in bedächtiger Wehmut: »Vergiß mir nur die alten frommen Deutschen nicht!«

Und er wies auf das Bild des geliebten Meisters Bach.

Nichts von Neid oder Furcht vor der Zukunft. Alle schauten in zuversichtlicher Liebe auf den Jungen, dessen Herz sie reich gemacht hatten, jeder auf seine Art.

Nur Karl Marias Mutter bekam von diesem raschen Wechsel einen verwirrten Kopf, so daß sie mit dem neuen Glück beinahe haderte, obschon es nach ihrem unerschütterlichen Mutterglauben einfach gar nicht anders hatte kommen können. Sie fühlte sich zurückgesetzt, wie in den Schatten verwiesen. Das frohe Verzichten der Gundl war ihr fremd, da sie doch früher Karl Maria ganz allein besessen hatte. Zudem meldete sich das Alter, daß ihr Blick nach rückwärts ging, in die erste Zeit ihrer Ehe, als alles noch neu und zukunftsreich schien. Sie sehnte sich jetzt oft nach Mann und Tochter. Eigentlich war sie ja doch nur um Karl Marias willen in den »Blauen Herrgott« geflohen. Die Vergangenheit rückte alles in unwirkliche Ferne, wo Linie und Umriß Härte und Eckigkeit verloren.

Manchmal versuchte sie Karl Maria in ihren Gedankenkreis zu ziehen. Aber er schüttelte unwillig den Kopf: »Das ist alles tot, Mutter.«

Da schwieg Frau Lisbeth und hatte vor ihm dieselbe Scheu wie einst vor Franz Tredenius. So hatte das Elend Mutter und Sohn besser verbunden als jetzt das Glück.

Johann Sebastian wieder tat gekränkt, daß Karl Maria mit Leib und Seele Hans Geßners Schüler wurde und überhaupt anderen Göttern zu dienen begann. Manche stachelige Rede schnellte der herzensgute Alte in verletzter Eitelkeit wider seinen halsstarrigen Neffen. Alles kam anders. Meister Williguth hatte gehofft, daß Karl Maria und Gundl einmal sich finden würden, seitdem die Tochter ihm ihre Liebe gestanden und so seine Faust gebändigt halte. Und jetzt schlich Joseph Italiener durchs Haus, und Gundl lächelte ihm sogar zu.

Der Vater des muskelstarken Giacomo verachtete den kurzgewachsenen Kapellmeister, und daß der arme Joseph allen Spott ruhig verschluckte, reizte Johann Sebastian nur noch mehr. An die Gundl aber wagte er sich nicht. Vor ihren klaren und klugen Augen hatte er Angst, wennschon ein grämliches Mißbehagen auch bei ihr die Heiterkeit von einst ersetzte.

Im »Blauen Herrgott« wurden sie alt, einer wie der andere.

Nur die dicke Frau Apollonia blieb stets gleich besorgt um das leibliche Wohl ihrer Familie, von seelischen Absonderlichkeiten hatte sie ja nie viel begriffen und Seelenweh immer mit einer Lieblingsspeise zu heilen gesucht. Deshalb hatte sie allein etwas für den schüchternen Brautwerber übrig, weil Joseph oft von der Kochkunst seiner Mutter Charlotte plauderte und auch selbst Verständnis für kulinarische Genüsse zeigte.

 


 << zurück weiter >>