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So kam der kleine Tredenius in das erste Liebesgeheimnis. Und seine Wichtigkeit tat sich nicht wenig darauf zugute. Feierlich übergab er seiner Schwester den Brief. Die hübsche Martha hockte gerade auf dem Fensterbrett und kokettierte mit einem Leutnant, der säbelrasselnd mit gesträubtem Schnurrbart die Gasse auf und nieder lief, wie ein Maikater. Karl Maria merkte natürlich nichts davon. Martha ließ zuerst den Brief vor den Augen des ergrimmten Offiziers tanzen, dann drückte sie heuchlerisch das Kuvert an die Brust, küßte es und sprang lachend zurück ins Zimmer. Die Martha war ein schlankes, rassiges Mädel geworden, mit klugen hübschen Veilchenaugen, mit dunkelroten Lippen, denen sie gerne mit Rot nachhalf. Seit zwei Jahren war sie bei der Post angestellt, doch hielt angebliche Kränklichkeit sie oft vom Amte fern. Da halfen dann ihre nichtsnutzigen Augen und ihr elegantes Parfüm den Zorn der Vorgesetzten besänftigen.

»Daß du Mutter nichts von diesem dummen Wisch sagst, Bubi.«

Sie streckte die schlanken gepflegten Hände nach Karl Marias Ohren.

»Hast du den Jacques lieb?«

»Ach Gott, ja, vielleicht auch das.«

»Eigentlich bist du ein schlechtes Mädel,« entschied Karl Maria in seiner Schuljungenweisheit.

Sie dehnte die Arme, gähnte laut und seufzte. Mit halbgeschlossenen Augen sah sie den Bruder an. War das ein hübscher Kerl! Es liegt wohl in der Familie, dachte sie und lächelte stolz. Dann setzte sie sich vor Mutters Schreibkommode und suchte nach einem Briefbogen. Über die Schulter weg fragte sie schnippisch:

»Bist du schon weit in deinem Geigenspiel?«

Der Junge sollte sich nur ja nicht einbilden, er hätte die Martha Tredenius jetzt in der Hand.

Karl Maria wurde ganz blaß vor Schreck.

»Ja, meinst du, ich weiß das nicht? Der Jacques hat mirs doch längst erzählt.«

»Dann ist er gemein.«

Martha lachte. Sie hatte ihre Antwort fertig. »So, das gib dem Judenjüngel.«

Karl Maria stieg eine seine Röte ins Gesicht: »Pfui, Martha! Dann steh doch nicht immer mit ihm im Garten!«

»Das verstehst du nicht, Bubi. Pass' lieber auf. Du wirst jetzt mein Page. Aber schweigen mußt du, sonst –«

Sie zeigte die weißen Zähne und zog die dunkelgetuschten Brauen hoch: »Sonst sag' ich dem Vater, was du bei den Italieners treibst. Die Schläge kriegst du dann ganz allein. Und mit deiner Geige ist's alle. Mir kann das ja ganz egal sein.«

»Ich will nichts sagen,« keuchte der Bub und griff nach dem Brief.

Um die Dämmerung spielte Frau Lisbeth wie jeden Tag mit ihrem Jungen vierhändig. Diese eine heimliche Abendstunde spann ein wenig Gold um den grauen Werktag. Sie merkte freilich bald, daß sie weit hinter Karl Maria zurückblieb, trotzdem er das Klavier nicht besonders liebte, daß seine flinken Finger gewandter und voller griffen als ihre arbeitsharten Hände, die einst so weiß und gelenkig gewesen. Heute vermied der Junge ihren Blick und wühlte sich förmlich in die Tasten, daß sein Braunkopf fast auf den ab- und zuhuschenden Händen lag. Er spielte herzlich schlecht.

»Was hast du denn?« fragte die Mutter.

»Die – die dummen Septimen im Baß liegen so unbequem,« log er in ratloser Angst.

»Hast du etwas mit der Martha gehabt?«

»O nein.«

»Sie schrie aber vorhin mit dir?«

Statt aller Antwort hämmerte Karl Maria mit voller Kraft eine Pianissimostelle heraus, und Frau Lisbeth fragte nicht weiter. Ihre schwache Liebe hatte Scheu, den Buben derb anzufassen. Und sie wollte aus seinem Mund nicht häßliche Dinge hören, die vielleicht den Streit mit Martha veranlaßt hatten. Von der großen Tochter kam niemals Gutes.

Als Karl Maria am Ende des Stückes den Kopf an ihre Brust lehnte und mit heißen Kinderaugen zu ihr aufschaute, fragte sie nur leise: »Kannst du auch schon lügen, Karl Maria?«

Da weinte er, doch seine Lippen blieben stumm. Er wollte die Martha nicht verklatschen. Sonst gab es wieder lauten, erbärmlichen Zank, und seine feinen Nerven zitterten davor. Auch war es besser, mit Martha gut zu stehen. Mutter würde es nie und nimmer erlauben, daß er auf seiner Geige vor fremden Leuten spielte; die kluge Schwester aber konnte ihm dazu verhelfen. Und sein Kinderherz hungerte, mit seines guten Lehrers Sonate zu glänzen.

Mit finstergerunzelten Brauen sagte er abends zur Schwester: »Um deinetwillen bin ich schlecht. Hilf mir wenigstens, daß ich irgendwo vorspielen darf.«

Martha lächelte freundlich: »Das wird schon werden.«

Karl Marias Ehrgeiz paßte ihr. Der hübsche, begabte Junge konnte ihr in Zukunft recht nützlich werden. War er wirklich ein Genie, wie die Italiener es behaupteten, standen der schönen Schwester alle Türen offen. Nur kirremachen mußte man ihn und Mutters Schrullen aus dem kleinen Kopf vertreiben. Na, das würde nicht schwer halten. Er lief ihr ja ins Netz, wie eine Goldfliege dem schlauen Spinnlein, und war noch voll Dankbarkeit.

 


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