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Weihnachten war vorüber. Das alte Jahr schickte sich an, seinen Leichenschmaus in einer lustigen Silvesternacht zu feiern. Da brachte der Tag vor Jahresschluß ein Brieflein in den »Blauen Herrgott«. Es kam vom Grafen Achaz Rothenwolff. Ein stattliches blaues Siegel war daraufgedrückt, und darin stand in steifen Buchstaben, die wie eine Grenadierkompagnie ausgerichtet waren, die Aufforderung an Karl Maria, am Silvestermorgen im kleinen Palais am Wasserturm vorzusprechen.

Mit Herzklopfen lief der Junge von einem zum andern und fragte, ob jemand wisse, was dies zu bedeuten habe. Keiner konnte es sich erklären, alle aber waren stolz und hoffnungsfroh. Wie einen guten Bissen witterten sie das Glück für Karl Maria.

Gundl lachte hellauf: »Irgendeine schöne Frau wird dir das Wort geredet haben.«

Karl Maria war täppisch, riet auf die Trix und wurde rot wie ein armer Sünder. Dann holte er tief Atem und sagte leise: »Vielleicht wird jetzt alles gut.«

Er wollte die Gundl kurzerhand küssen. Sie aber bog den Kopf zurück: »Laß die Dummheiten!«

Und war sehr stolz über diesen Heldenmut.

 

So wanderte Karl Maria, in Bangigkeit und Hoffnung, an einem frostklaren Wintermorgen zum kleinen Palais am Wasserturm. Wie der Efeu an die altersgrauen Mauern klammerten sich die Erinnerungen an Karl Maria. Er hob den Blick. Die Sonne lag überall und übte Silberschmiedhandwerk an den kraus verschneiten Gittern und Bäumen. Karl Maria nickte der Sonne zu und zog einen trotzigen Mund. Heute suchte er nicht die Trix, sondern sein Glück.

In den grünen Ranken zankten sich die Sperlinge, und eine Wetterfahne kreischte, als müßte alles musizieren im Heim des Musikgrafen Achaz Rothenwolff. Mit festem Griff, als packte er endlich sein Schicksal, ließ Karl Maria den Türklopfer hämmern, einen Türkenkopf mit grimmigen Augen.

Hell und sicher schaute er und flüsterte voll vorwitziger Weisheit: »Sei diesmal kein Narr!«

Das alte Palais schien mit Sonderbarkeiten vollgestopft. Gleich der erste Mensch, dem Karl Maria in die Hände lief, kam aus des Königsberger Hoffmanns spukhaftem Reich und war doch ein alter Bekannter. Gelbhäutig und dürr, ein langer schwarzer Schnurrbart hing nachdenklich rechts und links herab. Karl Maria lächelte vertraulich. Aber der andere blickte den fremden Jungen mißtrauisch an und schritt dann schweigsam und gemessen vorauf, indem er steif die Gelenke bewegte und sich gebürdete, als wäre er gar kein Mensch von Fleisch und Blut.

In einem Rokokosalon, ganz in Weiß und Gold, mit kunstvoll geschnitzten Füllungen, wo Affen, Drachen, Vögel und Blumen ein buntes und doch anmutig verschlungenes Durcheinander bildeten, mußte Karl Maria warten. Die Stuckdecke zeigte allerlei ergötzliche und ulkige Szenen in Weiß und Gold, in Arabeske und Rankenwerk eingefügt. Da gab es goldene Mäuse, auf die weiße Katzen lauerten, Affen, die Pfeile abschossen, andere, die sich mit gekränkter Miene das getroffene Hinterteil hielten. Windspiele jagten flüchtige Hasen. Alles mannigfach und liebenswürdig, ohne den Blick zu verwirren.

In Spiegelschränken und auf winzigen Marmortischen hatte allerlei Porzellanvolk sein Spiel, Amoretten ritten auf Schwänen, Seejungfrauen trugen goldig leuchtende Schalen, zierliche Mädchen tändelten mit stutzerhaften Herrchen, zwei Kavaliere zückten die Degen widereinander. Aus einem Schreibzeug wuchs eine ganze Chinesenfamilie empor. Bunt und farbenfroh, voll stiller Anmut.

Rings tickten kleine Uhren, in Alabasterhäuschen oder in Porzellankähnen versteckt, sogar aus einer Herkuleskeule ertönte feines Ticken.

Mitten hinein aber, aus weiter Ferne, polterten deutsche und italienische Flüche aufeinander los. Dann kam ein Schlurfen und Schleifen in das leise Sammeln der Uhren. Der Schnauzbärtige winkte mit den langen, wie Griffklauen eingebogenen Fingern.

Es ging durch ein Zimmer, wo alte Jagdbilder in die dunkle Wandtäfelung eingelassen waren. Auf einem Lehnstuhl aus Hirschgeweihen saß eine grün gekleidete Puppe mit goldener Haube, wie überhaupt Puppen in mancherlei Jagdkostümen den Geiger Tredenius von allen Seiten aus starren Glasaugen beguckten.

Dann trat Karl Maria in ein hohes und lichtes Musikzimmer. Wertvolle Gobelins mit musikalischen Darstellungen hingen an den Wänden, und in alten geschnitzten Truhen schienen allerlei Musikinstrumente zu ruhen. Auch hier kehrten die merkwürdigen Puppen wieder, nur daß dem Zwecke dieses Raumes entsprechend Figuren der italienischen Stegreifkomödie sowie fahrende Spielleute aller Art, Dudelsackpfeifer, geigende Zigeuner, eine Kirchtagmusik und dergleichen, hier ihr gespenstiges Wesen mit Glasaugen und starr erhobenen Armen trieben.

Der automatenhafte Kammerdiener grinste, daß die spitzen tabakgelben Zähne wie ein Fallgitter bleckten, und strich mit den langen dürren Fingern liebevoll über das Puppenvolk, als er die Verwirrung bemerkte, die dieser Hexensabbath in Karl Marias Miene hervorrief. Es war aber eigentlich nur Freude, da der junge Geiger sich hier auf musikalischem und zugleich romantischem Boden sehr wohl fühlte und frohe Hoffnung in dem bißchen Ängstlichkeit trug. Kam er doch zum Schwiegervater der Trix. Das warf ein zuversichtliches Leuchten vor ihm her. Mit hellen Augen und festem Tritt folgte er dem alten Italiener, der jetzt eine Tür aufriß und mit schlenkernden Armen einladende Bewegungen vollführte, wie ein Jahrmarktschreier, ehe das Spiel beginnt. In dem halbdunklen Gemach unterschied das Auge erst nach einiger Mühe die Bespannung von apfelgrünem Chintz, mit einem Gitter von rosa Prunuszweigen, dazwischen Rosenkörbe, auf denen blaue Pfauen ihr Rad schlugen. Im Hintergrunde verhüllten helle, geblümte Vorhänge eine vierpfostige Bettstatt, altertümlich geschnitzt und gedreht, ein Prachtstück aus der Jakobiterzeit.

In diesem Bette nun saß halb aufrecht, von einer blauen Seidendecke züchtig verhüllt, der kleine Graf Achaz Rothenwolff. Der Kopf war mit Binden umwickelt, daß die langen grauen Schnurrbartenden wie strampelnde Beinchen auf und nieder wippten. Jetzt streckte er die linke Hand aus. Da blitzte das Licht in einer sechseckigen Chippendale-Laterne, deren sechs goldene Rippen wie Pfeiler eines Domes aufstrebten. Nach unten liefen sie in Kelten aus, die sich kreuzweise verschlangen und einen goldenen Greifen trugen. Im Innern hielt ein geflügelter Kupido statt des Wachslichts die elektrische Birne. So schwankte das kostbare Stück von der Decke nieder und fesselte Karl Marias Blick, bis Graf Achaz mit leisem Lachen fragte: »Haben wir also wieder heimgefunden, junger Herr?«

Zugleich winkte er dem Kammerdiener, der die feuchten Binden auf seines Herrn übernächtigem Haupt erneuerte und dann gemächlich abschlurfte.

Der Graf knippte das Licht aus und kicherte boshaft: »Ziehen Sie mal die Vorhänge auseinander, damit die Sonne dies denkwürdige Wiedersehen bescheine.«

 

Er griff nach einer Zigarette und blies behaglich den Rauch von sich, der in blauen Wölkchen um die einfallenden Sonnenbalken wirbelte. Und dabei hielten die grauen Augen schnellen Ausguck.

»Na, er ist ja ein schlanker, hübscher Kerl. Ein bißchen Narretei und Flackersinn. Ist vom lieben Herrgott ganz richtig dosiert. Wie war also die romantische Reise?«

So plauderte er in seiner munteren und krausen Art und tat, als wüßte er gar nicht um den Zweck von Karl Marias Kommen. Und holte sich doch Stück um Stück von dem, was er wissen wollte, bis er ein rundes Bildchen beisammen hatte. Dann zeigte er auf einen Lackkasten, wo rote Drachen in goldenem Gitterwerk saßen, und die Stimme polterte jetzt wie Gottvater, wenn er das große Schuldbuch eines armen Sünders aufschlägt.

»Drin liegt eine gute Geige. Spielen Sie mir Corelli oder Veracini!«

Aha, dachte Karl Maria, jetzt beginnt die Prüfung auf Herz und Nieren. Sein Herz schlug schnell, aber die Hand lag sicher und gelassen um den schlanken Geigenhals.

Der alte Graf bettete sich gemächlich zurecht und blinzelte in genießerischer Vorfreude: »Wenn mein Schädel brummt, ist Musik das beste Heilmittel.«

Karl Maria lächelte dankbar.

Und jetzt hob das Allegro des Veracini an, das Karl Maria in jener wilden und ruhelosen Nacht vor dem Konzert gespielt hatte. Leise ging der Nachtwind über duftschwere Blumen, Mondschein lag auf Teichen, aus denen Marmortreppen zu weißen Villen emporstiegen.

Wohlgefällig nickte Herr Achaz: »Brav gekratzt, mein Sohn. Das war Florenz in einer Frühlingsnacht.«

Und er spann mit der lieben Gesprächigkeit des Alters den gern lauschenden Jungen in ein behagliches Plaudern über diesen seinerzeit so verkannten Meister, erzählte von Veracinis Lebensumständen und von der Sorge ums tägliche Brot, die in Pisa an seinem Sterbebett saß. Hochauf horchte Karl Maria. So hatte noch keiner zu ihm gesprochen. Klug und behutsam zog der alte Graf Hülle um Hülle von dieser Jungenseele, bis er alle Kanten und Schroffen messerscharf vor sich hatte.

Eine Stunde war dahin, da warf Herr Achaz die Binden ab und hatte ein starkes Leuchten in den Augen: »Passen gar gut zueinander, du und ich. Habe dich also nicht zu Unrecht damals an der Tür abgefangen.«

Er merkte gar nicht, daß er Karl Maria duzte. In milder Freundlichkeit faltete er die Hände und fragte: »Was war damals mit dem Konzert?«

Der junge Tredenius stotterte unverständliches Zeug.

»Kalkuliere, daß eine dumme Gans dir den Kopf verdreht haben wird.«

»O, du arme Trix, so übel nennt er dich,« grübelte Karl Maria, leicht und frei in neugewonnener Sicherheit, als guckte er aus dunkler Kammer ins Morgenlicht.

Plötzlich saß Graf Achaz mit gesträubtem Haar aufrecht, in strenger Würde, und sagte kurz: »Sind also bei der ersten Geige engagiert.«

Er wartete, ob jetzt ein überschwänglicher Dank ihn ärgern würde. Doch Karl Maria reichte ihm nur die Hand und zeigte schweigende Freude. Das gefiel dem Alten so wohl, daß er voll Behagen brummte: »Im Nebenzimmer wird gewartet. Wir frühstücken miteinander.«

Sprach's und winkte Entlassung.

Karl Maria Tredenius aber gab den Puppen im Vorbeigehen lustige Nasenstüber: »Verneigt euch doch! Jetzt bin ich etwas.« Mitten im Glück wurde er doch die etwas kleinmütige Erkenntnis nicht los, daß er wie alle auf dieser runden Erde auf den Zufall angewiesen war, so daß ein fetter Pilz Fortunas über alle Arbeiter und Plager gemütlich fortwuchern konnte. Er nickte den Wolken zu, die schneebeladen mit goldenen Sonnenrändern über den Himmel trieben, dem kalten Winterblau und selbst den Bäumen, die verdrossen das schneebepelzte Astwerk bewegten. Und auf einmal rannen ihm gar Tränen über die Backen. So wunderlich gemischt war diese Freude.

Als er so stand, halb Junge und halb Mann, wurde die Tür geöffnet, und ein freundliches Frauengesicht guckte herein, zwei dunkle Augen unter schmalen Brauen und ein übermütiger Mund. Karl Maria aber ließ die Tränen rinnen und klatschte in die Hände, ohne daß er es wußte. Und plötzlich erfüllte ihn warme Dankbarkeit gegen die Trix, weil er doch nur ihrer liebevollen Fürsprache sein schnelles Glück zuschreiben konnte. Da lachte er mitten in seinen Tränen, weil sein Lebensschifflein jetzt vor stetigem Winde gute Fahrt tat. Die Hoffnung von Weimar wurde Erfüllung.

Wie damals nur in Gedanken schaukelte er sich jetzt in aller Wirklichkeit in Behagen. Und wie damals legte ihm plötzlich die Trix die Hände auf die Schultern und fragte leise: »Wie kommst du daher, Karl Maria?«

Noch immer lächelte er und antwortete ins Blaue hinein: »Der alte Achaz.«

Denn er blieb auch im Glück ein Narr. Bald aber merkte er, daß Trix gar nichts von dem Wunder wußte, das sich heute hier begeben halte. Er nahm ihre Hände und drückte sie fest und herzlich: »Das danke ich dir mein Leben lang, du Frau mit dem silbernen Kleid.«

Jetzt kam er endlich in die Wirklichkeit zurück und sah, daß die junge Frau gar kein silbernes Kleid, sondern ein altes blaues trug, dazu ein ziemlich vertanes Hütchen und gestopfte Handschuhe, so daß sie wie eine hübsche kleine Beamtenfrau in dem prunkvollen Jagdzimmer stand. Als sein Blick sein Erstaunen verriet, sagte sie leichthin: »Ach ja, Nisi hat alles Geld verspielt, und nun bin ich eine arme Frau, die zum reichen Großpapa kommt, damit der kleine Achaz nicht hungern muß.«

Sie lachte, aber wieder waren die winzigen Falten um Auge und Mund, wie in Weimar. Und so fand der schwerfällige Karl Maria das Leid der lustigen Trix.

»Die Miriam?« fragte er zaghaft.

»Die auch.«

Wie zwei arme Sünder blickten sie sich an, der Junge, den die Miriam verlassen, und die Frau, deren Mann derselben Miriam ins Garn lief.

»Ist es hier nicht pudelnärrisch?« Damit brachte sie das Gespräch auf heitere Dinge, legte einen Schleier über alles, was besser verschwiegen blieb, und begann mit den Jagdpuppen zu spielen. Mitten im Tändeln aber blickte sie den arglosen Geiger mißtrauisch und etwas eifersüchtig an: »Wenn du heimkommst, findest du ein Brieflein von mir, für morgen abend. Da wollte ich alles richten. Und nun ist mir ein Fremder zuvorgekommen. Wer ist es denn?«

Kleinlaut stammelte er: »Ich weiß es wirklich nicht.«

Zornig fuhr die Trix auf: »Aber ich bitte dich.«

Im knappen Morgenrock trat Graf Achaz herein, frisch und katerfrei, und zog die Brauen hoch, als er das seltsame Paar erschaute. Ein Lächeln ging um seinen Mund, als keimte ihm da ein Plänchen, das dieser Anblick ihm eingab. Er küßte der Schwiegertochter mit altväterischer Höflichkeit die Hand und sagte in schmunzelndem Spott: »Es ist wirklich rührend, wie du dein Elend betonst, Beatrice.«

Zugleich aber kamen die zwei Zornfalten auf seiner Stirn. Schnell strich er sie mit der feinfingrigen Hand glatt und fuhr gleichmütig fort: »Diesen Menschen habe ich heute für die erste Geige engagiert. Meine Hausmusik muß er extra besorgen.«

Und er lächelte wie ein Dieb, der einen geraubten Schatz in Sicherheit weiß. Als könnte er daran nie genug haben. Plauderte er nun über seine geliebte alte Musik und freute sich, daß Karl Maria darin so gut Bescheid wußte.

 

Als später der gelbhäutige Kammerdiener mit würdevollen Bewegungen das Frühstück überwachte, stellte Graf Achaz auch ihm den neuen Hausmusikanten vor. Der Alte gab ein vergnügtes Grinsen und antwortete nachdenklich, halb Diener und halb Vertrauter: »So wollen wir uns denn an Mozart und Schubert wagen.«

Der Graf wies auf den seltsamen Kumpan: »Jacopo Rossi, das Cello meiner Hauskapelle, einst Kapellmeister in Turin, bis ihm der Atem ausging.«

Betrübt lächelte Rossi und wackelte mit dem Kopfe, als sein wenig erbauliches Leben plötzlich in so grelles Licht gesetzt wurde. Als er fort war, berichtete der alte Herr: »Er säuft wie ein Schlauch.«

Aber es klang eher wie stille Anerkennung. Gläschen nach Gläschen wurde gekippt, die grauen Augen wanderten unablässig zwischen Trix und Karl Maria hin und her und fanden gar mancherlei, was Großpapa Achaz innig erfreute, zugleich aber wachsam die Ohren spitzen ließ. Geschickt wandte er das Gespräch, daß alles in Heiterkeit blieb und kein Wolkenschatten über die Sonne siel.

Am Dreikönigstag sollte die erste Hausmusik sein. Für die zweite Geige wurde Joseph Italiener bestimmt, weil Karl Maria, der seinem alten Lehrer etwas Liebes tun wollte, ihn in Vorschlag brachte. Herr Achaz selbst führte die Viola.

Beim Abschied knurrte er wie ein strenger Schulmeister: »Mit den dummen Liebeleien ist es aus. Jetzt wird Ordnung gehalten.« Und er drehte grimmig die Schnurrbartenden zwischen seinen Fingern zu Schwertspitzen aus.

Die Sperlinge schrien Karl Maria ihre Lärmmusik nach, als er mit seinem Glück davonrannte, und zwar spornstreichs zu Franziska Ermattinger, die Graf Achaz ihm als den guten Hausgeist bezeichnet hatte, der alles für ihn in die Wege geleitet habe.

Die Sängerin nickte zufrieden, als er seinen Dank stammelte: »Nun sind Sie im Wasser. Schwimmen müssen Sie allein.«

Sie wartete auf die Frage, wieso gerade er ihr in den Sinn gekommen sei, doch nichts dergleichen geschah. Karl Maria war zu glücklich. Überall war Glanz und Helligkeit.

Da sagte sie langsam: »Als ich zum letzten Male im »Blauen Herrgott« war, erzählte die Gundl, daß Sie bald zurückkämen. Das hat mich auf den Gedanken gebracht.«

Sie wollte das Herz von Kunigunde Williguth dem raschen Knaben nicht preisgeben.

Da fiel Karl Maria das Schicksal der Gundl ein, die im Schatten blieb, während er jetzt endlich in die Sonne kam. Und er fragte: »Nicht wahr, mit ihrer Stimme ist es nichts? Sie tut mir so leid.«

Beinahe heftig antwortete Franziska: »Die hat Besseres voraus. Da braucht sie keine Singerei.«

Unzufrieden blickte er vor sich hin und ärgerte sich auf einmal über das viele Sonnenlicht.

»Ihr bin ich mehr Dank schuldig als allen andern.«

»Vergessen Sie das auch nicht, Herr Tredenius!«

Er schüttelte kleinlaut den Kopf. Leise fragte er dann, wie zum traurigen Vergleich: »Und wie ist's mit der Stimme von Miriam Italiener?« Die Hände hatte er zu Fäusten geballt und harrte so auf die Antwort.

»Um die Miriam ist mir nicht bange.«

»Nein, die ist kalt und klug.«

Wie eine Anklage. Steif und aufrecht stand er da, als hielte er sein Herz in beiden Händen und fürchtete, es könnte ihm neuerdings zu unrechter Zeit davonspringen. Mit heiteren und schweren Gedanken, mit neuer Hoffnung und altem Leid, trat Karl Maria in den »Blauen Herrgott«, als Johann Sebastian gerade das Mittagsgebet sprach. Die riesige Suppenschüssel dampfte auf dem Tisch, und die Williguth hoben die Löffel zum rüstigen Handwerk für Gaumen und Magen.

»So, da bin ich,« sagte Karl Maria und verbeugte sich in dem neuen Übermut, der ihm trotz aller Bedenklichkeit aus den Augen lachte. Viele Blicke hingen an ihm, und es zeugte von dem guten Herzen der Williguth, daß sie sogar die Löffel zur Ruhe brachten. Giacomo stemmte die Ellenbogen so gewaltig auf den Tisch, daß ein Knistern durch das Holz ging.

Kunigunde Williguth senkte den Blick, aus Sorge, die Herrschaft über sich selbst zu verlieren. Denn sie wußte, ihr Ziel war erreicht. Schließlich erfuhren alle die überraschende Begebenheit. Da gab es ein Lachen und Beglückwünschen, daß Frau Apollonia sorglich die Suppe zum Nachwärmen hinaustrug.

Johann Sebastian sprach feierlich: »Nun hast du Boden unter den Füßen. Wandle also aufrecht in Gottes Herrlichkeit!«

Frau Apollonia weinte etliches und sagte demütig: »Amen!«

Als die frühere Dämmerung kam, traf es sich, daß Karl Maria und Gundl Williguth Besorgungen für den Silvesterabend zu verrichten hatten. Beiden aber schien dieses Alleinsein viel wichtiger als Arrak und Zitronen. Sie wanderten zuerst schweigsam durch das Birkenwäldchen, das nun zerzaust und unfestlich in der sparsamen Wintersonne lag. Der Abend ließ über aller Welt einen rosenroten Schimmer. Hier und da schwamm eine kecke Wolkenfeder ganz allein auf dem lichten Grunde. Die Kastanien und Ulmen um die Adlerburg trugen noch eingeschrumpfte gelbe und braune Blätter. Kam der Wind dazu, gab es ein Knistern wie unterdrücktes Seufzen.

Als Bub und Mädel so miteinander durch das öde Birkengehölz gingen, das einst sommergrün und leuchtend gewesen, wachte in ihnen etwas auf, das zwar eine ganze Weile im Lärm des Alltags geschwiegen hatte, aber niemals ganz verstummt war.

So begann das Mädchen, als fände sie am Glück dieses Tages wieder Mut zum Rückblick in eine liebe Vergangenheit: »Weißt du noch, wie wir hier im Frühling saßen und du mir meinen Aufsatz in die Hand sagtest, weil ich so dumm und verzweifelt war?«

»Ach ja.«

Karl Maria stieß den Absatz tief ins welke Laub, ungeduldig und ein wenig gönnerhaft. Es war ja nicht hübsch, daß man so schnell vergaß.

Hell blickte sie ihn an und hielt ihm das Restchen Vergangenheit hin, wie einen Bindfaden von Herz zu Herz.

»Es ist schon spät, Gundl,« sagte er leise. Sein Blick suchte etwas in der Ferne. Die roten Wolkenfedern segelten der Sonne nach.

Grimmig lachte die Gundl, daß ihre Brust unter der Plüschjacke auf und niederflog. Er sah auf und fragte unsicher: »Was ist dir denn?«

»Eine dumme Gans bin ich.«

Sie hob die Hand und wies auf einen Graben, der jetzt mit Schnee und schmutzigen Blättern gefüllt war: »Dort saßen wir. Dann kamen die Italiener.«

Jetzt war ein verdrossenes Schweigen zwischen ihm und ihr.

Endlich sagte er grüblerisch, wie zu sich selbst: »Meine Hände halten nichts fest, Mädel.«

Sie verstand, was er meinte, und senkte den Kopf.

Das Rot des Abends verging. Der Wind fegte den Himmel blank. Eine durchsichtig wassergrüne Glocke stand über der weißen Welt. Kalt und klar, ohne Farbe und Licht. Die Einsamkeit der Nacht war da.

Kalt und klar wurden auch die Gedanken. Karl Maria wußte, daß sein Glück an ihm vorüberstrich, aber er rührte keine Hand, es zu greifen. Sein Trotz war dawider. So blieb Gundl Williguth ohne allen Dank. Karl Maria stand kühl und gelassen vor ihrer bescheidenen Schönheit, weil andere, lockendere Bilder in ihm lebten. Er merkte, wie der Schmerz, beiseite gestellt zu werden, Gundl traf und allen Glanz von ihren Wangen nahm. Schlecht und erbärmlich kam er sich vor. Aber er konnte nicht lügen.

Und auf einmal brannte eine Flamme alles Weh fort, knisterte hoch und zuckte in roten Zungen. Der Ehrgeiz, jetzt ans Ziel zu kommen, loderte auf, grell und glühend, daß er mit geschlossenen Augen in diesen Brand sah, der aus seinen Herzen brach.

Gundl hatte die Lippen aufeinandergepreßt und stapfte tapfer weiter auf dem Pfad, über den die Nacht sank. Sie war doch auch ein Weib, jung und schön, hatte Wünsche und träumte manchmal von ihrer Sehnsucht. Sie haßte das rücksichtslose Vertrauen, das Karl Maria ihr gab, und hätte am liebsten um Lug und Trug gebettelt, der die andern Frauen arm und doch auch reich machte.

Dann glitt ein besonnenes Lächeln um ihren Mund, ihr Blick ging in die letzte Sterbeglut dieses Abends. Darin las sie ihre Bestimmung, wie schon einmal, als Karl Maria Miriams Stimme über alles Maß lobte und bei ihr im Lampenschein saß, der als heller Schimmer um die beiden Köpfe lag, das Gesicht der Gundl aber im Schatten ließ. Schon damals wog ihr Herz ihm leichter als seine Geige und die Liebe der andern.

Noch einmal flackerte das Flämmchen auf, ehe Gundl es erstickte: »Nicht wahr, wenn es dir schlecht geht, kommst du zu mir?«

Er erschrak vor seiner Stimme, als er antwortete: »Zu wem sollte ich sonst?«

Sie griff dankbar nach diesem Trost und war fast glücklich, daß er sie schonte und die Glocken langsam ausschwingen ließ. Und sie grübelte, ob nicht bereits eine andere ihn diese neue Zartheit gelehrt habe. Mild blickte sie ihn an: »Jetzt ist es Abend.«

Und da hatte sie ihr Lachen wieder und neckte ihn, daß er mit solcher Leichenbittermiene ins neue Jahr hineinschreite.

In Karl Maria regte sich etwas wie Reue.

In den Häuschen an der Bergwand huschten die Lichter auf, rote und gelbe.

Er warf trotzig den Kopf zurück und lief voran. Ein wissendes Frauenlächeln ging hinter ihm drein.

 


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