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Seit diesem Abend verbot der Vater dem Knaben ernstlich den Verkehr mit der Familie Italiener. Aber Karl Maria ging nun heimlich. Dort drüben hatte er ja zum erstenmal eine wirkliche Geige in der Hand gehalten, weil der Prophet Elias kleine Knaben so lieb hatte. Und Josephs Geige zog das Kind an wie ein singender Zauberschrank aus einem Märchen.

»Die Miriam gibt schon auf mich acht,« sagte er beruhigend zur Mutter, die um seine Schleichwege wußte. Und Frau Lisbeth wehrte ihm nicht. Sie ließ ihrem Jungen seine kleinen Heimlichkeiten, seinen ersten inneren Besitz, und war zufrieden, wenn er mit leuchtenden Augen von seinen verbotenen Gängen heimkam, still zu ihren Füßen saß und ihrem Klavierspiel lauschte. Und darüber schlief er geruhsam ein.

Lisbeth bat jeden Abend aufs neue um diesen Schlaf, damit der Kleine nichts hörte, wenn Franz Tredenius aus dem Wirtshaus heimfand und zärtlich zu werden begann. Sie trug seine Küsse wie Brandmale. Aber sie wollte Karl Maria die Unberührtheit seiner Kinderjahre retten, darum blieb sie stumm. In einer Nacht jedoch geschah es, daß Franz Tredenius ihre fromme Lüge zuschanden machte. Er hatte allzuviel Geld im Kartenspiel verloren und beichtete nun seiner Frau in der Wehmut der Trunkenheit, daß er einen Griff in die Postkasse getan und dieses Geld bis Samstag unbedingt ersetzen müsse.

Da vergaß Lisbeth ihre Selbstbeherrschung und gab ihm harte Worte, die laut und schrill klangen wie gesprungenes Glas. Alles, was sie jahrelang unterdrückt, kam hervor und zerriß die Stille der Nacht. Tredenius raufte sich das Haar und schrie: »Du und der Bub, ihr seid an allem schuld. Hätte ich euch nicht, wäre ich ein freier Mann.«

In Hose und Hemd rannte er durchs Zimmer und hämmerte mit den Fäusten wider die Wand. In seiner hilflosen Wut packte er Lisbeth und schüttelte sie. Sie bog sich zurück, daß sein Atem, der nach Bier und Schnaps roch, sie nicht traf.

Da brüllte er: »Ekelt dir gar vor mir?« und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht.

In der Tür stand Karl Maria in seinem langen weißen Nachthemdchen, hatte die Augen entsetzt aufgerissen und die kleinen Hände wider den Vater geballt. Mit einem dumpfen Laut stürzte er sich auf den starken Mann, der halb zornig, halb verlegen ihn abwehrte, und hieb seine Fäuste gegen die Knie des Vaters, an die er gerade reichen konnte.

»Karl Maria!« Lisbeth riß das Kind an sich.

Franz Tredenius strich den blonden Schnurrbart, schob die Hosenträger empor, zuckte die Achseln und sagte endlich finster: »Bis Samstag brauche ich das Geld.«

Damit ging er.

»Mutterle!« stammelte der Bub und huschelte sich in das weiche, schwarze Haar der erschrockenen Frau. »Er darf dir nichts tun, Mutterle!«

Und der kleine Mund wurde herb, beinahe hart.

»Ja, Kind.« Und sie strich ihm das Haar aus der Stirn. Karl Maria zitterte am ganzen Körper und hielt noch immer die Fäuste geballt. So trug sie ihn in sein Bettlein, wie damals, als er den Becher des Elias zu rasch ausgetrunken, und blieb die ganze Nacht bei ihm.

 

Am Morgen zog sie sich besser an als sonst und nahm das Büblein mit sich. Schier feierlich schritt Karl Maria mit der Mutter durch die morgenhellen Gassen, in dem Gefühl seiner neuen Wichtigkeit. Allen Menschen sah er trotzig ins Gesicht, als wollte er ihnen zeigen, daß die Mutter unter seinem Schutze stehe. Er lauschte auf jegliches Geräusch und formte selbst das schrille Läuten der Pferdebahn zu hüpfenden Takten. Was er hörte, setzte sich in seinem Ohr allsogleich in Musik um. So wandelte er freudig in den Morgen hinein und hatte nach Kinderart die schlimme Nacht schon längst vergessen. Da kam ihnen ein Herr entgegen, stattlich und elegant gekleidet, mit eisgrauem Schnurrbart und hellen blauen Augen.

Frau Lisbeth hob flüchtig den Blick und lächelte ein wenig, als sie den Fremden bemerkte.

»Kennst du den? Wer ist das?« fragte der Knabe.

»Ach Gott, das ist ein Geiger.«

Karl Maria riß es herum, er ließ die Mutter los und starrte dem Herrn nach, der langsam über den sonnenhellen Platz schritt.

»Ein wirklicher Geiger?«

»Ein ganz großer, Kind.«

»Und wie heißt er?«

»Hans Geßner, du Neugier.«

Der Kleine war sehr nachdenklich und trabte stillschweigend neben der Mutter her. Jetzt hatte er einen großen Geiger gesehen. Das Kinderherz brannte. Dieser Hans Geßner hatte sicher schon als ganz kleiner Junge eine Geige haben dürfen.

Endlich machte die Mutter vor einem einstöckigen Hause halt, das mit Mitteltrakt und zwei vorspringenden Flügeln, sowie dem Glockentürmchen auf der Dachmitte einem kleinen Kloster glich. »Zum blauen Herrgott« hieß das Gaus kurzerhand, weil vor Jahren irgendein weltfroher Kauz das ehemalige Klösterlein, das längst profanen Mietern diente, ganz himmelblau hatte tünchen lassen.

Und plötzlich wußte der Kleine, daß er hier schon einmal gewesen war. Ein guter, duftender Bratapfel tauchte in seiner Erinnerung auf und ein großer, dicker Mann, der ihm diesen Leckerbissen gereicht.

Frau Lisbeth blieb stehen und sagte ernst: »Hier wohnt dein Onkel.«

»Gelt, der ist sehr dick? Warum kommt er nie zu uns?«

Sie gab keine Antwort, sondern zog einen Glockenstrang, der ein geflügeltes Engelköpfchen als Handgriff trug. Wie in einem Zauberschloß ging die Tür von selbst auf, daß Karl Maria voll Ehrfurcht sein Käppchen lüftete. Weit und hell war das Stiegenhaus, durch große Fenster mit kleinen bunten Scheiben kam die Sonne.

»Es muß gerade Messe sein,« dachte das Kind, denn laute Musik lief ihnen entgegen, übernatürlich laut. Auch Frau Lisbeth griff diese Musik ans Herz, so zerrissen und abscheulich sie im Grunde war. Nach drei Jahren kam sie zum erstenmal wieder in dies wundersame Haus, darin ihr einziger Bruder, der Chormeister bei St. Pankraz, Johann Sebastian Williguth, mit zwölf Kindern und seiner Frau Musika hauste. Sein eheliches Weib Apollonia, genannt »Affi«, rumorte in Küche und Keller und haßte den tollwütigen Lärm, der losbrach, wenn der Musikgewaltige seine Orgelpfeifen zu einem Orchester zusammenzwang.

Wie in die Heimat kam Lisbeth in das blaue Kloster, wo ihre Kindheit noch in allen Ecken schlummerte. Ihr Mann hatte sie auch von dem wunderlichen Bruder losgerissen, den er stets anpumpte und dann einen dicken Hanswurst nannte, bis eines Tages der empörte Bruder Williguth seinen Cellobogen auf Franz Tredenius' Rücken tanzen ließ. Da war dann alles aus. Und Lisbeth hielt sich fern, weil sie den Zorn des Gatten fürchtete und auch ihren Gram nicht zeigen wollte. Heute aber trieb die liebe Angst sie wieder her. Als Willkommengruß schmetterte ihr Vater Haydns Musik zu den letzten Worten Christi entgegen. Aber, o Jammer, wie zerstückt und zerschlagen! Vom martervollen Durst des Heilands war im Pizzikato nichts zu verspüren. Die Viola allerdings kratzte abscheulich.

Still blieb die Frau vor der Tür, hinter der dieser Hexensabbat raste. Williguths Kinder waren alle fast unmusikalisch, und der Fiedelbogen des Vaters übte da pädagogisches Zwangsrecht. Das Schicksal war grausam mit Johann Sebastian.

Wutschreie drangen heraus. Eine greuliche Dissonanz. Jemand klopfte zornig ab. Ein mächtiger Baß fluchte alle Teufel herab und bat Meister Haydn, der bei diesem Gewinsel die Perücke tief über die Ohren gezogen hätte, kniefällig um Verzeihung.

Karl Maria stand und lauschte. Drin bekam einer Hiebe. Deutlich tönte sein Wehgeschrei. Dann hob das Klingen wieder an. Und jetzt dröhnte der feierliche Baß: »In manus tuas, Domine, commendo spiritum meum.«

Hellauf jubelte die erste Geige, wurde weich und innig und frohlockte von neuem, weil der Sohn das Werk vollbracht hatte und zum Vater im Himmel heimkehrte. Dann glitt wieder alles auseinander, ein kräftiger Fluch schuf Ordnung.

Frau Liesbeth öffnete leise die Tür und ließ Karl Maria den Kopf hineinstecken. Sie wagte nicht einzutreten, bevor ihr Bruder den Satz und seine zwölf Kinder zu Ende gemartert hatte.

Schnell und herrlich sollte die Melodie hinfließen, doch sie hatte nur kurzen Atem und widerwillige Erzeugerhände. Oft war es ein Winseln und Kratzen. Aber es war und blieb ein Sturm, der vor dem Erdbeben wehte. Die Hörner trieben es am tollsten, wollten gar nicht mehr schweigen und ließen die armen Geigen nicht zu Worte kommen. Soviel Freude hatten die Hornbläser an dem prächtigen Lärm, der sogar für ein wirkliches Erdbeben hingereicht hätte. Lisbeth schob sich leise hinter ihren Buben und sah den Bruder, der sein Cello hielt. Kleine, größere und fast erwachsene Buben und Mädel seufzten und wischten den Schweiß von den jungen Stirnen. Groß und erhaben thronte Johann Sebastian unter seinem Volk.

Da erschaute er Frau Lisbeth und ihren Knaben, warf das mächtige kahle Haupt nach vorn, daß das Blut ins fette Antlitz schoß, und streckte den Cellobogen wie ein Schwert von sich: »Du bist's, Schwester?«

Dann sank der Fiedelbogen langsam herab und sauste schließlich mit wilder Kraft auf den Rücken eines dicken, zwölfjährigen Jungen, der noch das Horn in der Hand hielt, und eine mächtige Baßstimme brüllte den Text zu dieser Melodie: »Lausbub, verdammt in Apoll! So denkst du den seligen Meister Haydn zu verschustern?«

Der dicke Junge duckte sich und suchte seine fette Leiblichkeit vor dem musikalischen Schwert zu schützen. Nachdem Herr Williguth seinen Zorn, der eigentlich der Schwester galt, die den Lumpen Tredenius geheiratet hatte, auf dem Rücken seines Buben ausgetrommelt, schrie er grimmig: »Instrumente versorgen, Musikidioten!«

Hierauf stieg der Riese von seinem Hochsitz und nahm Lisbeth in den Arm.

Es war mäuschenstill.

»Du armes, armes Ding!«

Karl Maria zupfte ihn am Ärmel: »Ich lasse sie nicht schlagen.« Und mutig blickte er zu dem Onkel auf. Frau Lisbeth schrak zusammen, machte sich los und sah den hilfsbereiten Kleinen schier zornig an.

»Komm!« sagte der regens chori und zog die Schwester mit sich.

Karl Maria stand ganz allein unter den großen dicken Williguth, die sich gegenseitig neckten, an den Ohren zogen und ein gar nicht scherzhaftes Raufen anhuben. Nur der Mann mit der Primgeige im Arm schritt groß und knochenstark, trotz seiner vierzehn Jahre, auf den Kleinen zu, hob ihn mit einem Ruck auf die Schulter, hielt ihn an den Beinen fest und lachte.

Ein kleines Mädchen, dem flachsgelbes Haar um die Schulter wehte, lief herbei und sagte gutmütig: »Laß ihn, Giacomo, er ist noch zu klein.«

Aber sie selbst war nicht älter als Karl Maria.

Statt einer Antwort griff der junge Riese auch sie auf, schob Karl Maria auf die eine Schulter, stellte das blonde Ding auf die andere und sagte schmunzelnd:

»So, jetzt seid ihr beide groß!«

Das Mädel ward rot: »Wie heißt du eigentlich?«

»Karl Maria. Und du?«

»Kunigunde. Eigentlich Gundl, das ist mir lieber.«

»Kundry heißt sie,« heulte der Balg mit dem Horn und schwang das mißhandelte Instrument wie einen Tomahawk.

»Kundry, die Hexe!« brüllte der Chor, der blutwenig von Musik, aber viel von den närrischen Namen wußte, mit denen Williguth seine Nachkommenschaft geziert hatte.

Das Mädel weinte. Karl Maria beugte sich ritterlich hinüber und küßte sie.

Da ward sie rot und glücklich: »Du bist gut.«

Eine große, schwere Frau trat jetzt ins Zimmer und trug eine Platte mit riesigen Butterbroten. Sie lachte über das breite rote Gesicht, als sie das Durcheinander erblickte: »Da hat man's wieder! Das nennt er dann Musik!«

»Das ist der Karl Maria Tredenius«, stellte Giacomo vor, »Tante Lisbeth ist beim Vater.«

»Da muß ich doch gleich – o Gott, o Gott,« ächzte die dicke Frau, »sonst rennt ihm wieder das Herz davon.«

Sie stellte schnell die Butterbrote auf das große Schlagwerk und lief schnurstracks dem weichen Herzen ihres Eheherrn nach.

Die kleine Gesellschaft fiel über die Platte her und tat sich gütlich. Kunigunde teilte ihr Stück mit Karl Maria und bat mit leiser Stimme: »Willst du meine Puppen sehen?«

Ihr neuer Freund nickte. Er hatte Angst vor diesem wilden Volke, das am hellen Sonntagmorgen so lärmte. Das kleine freundliche Mädchen führte Karl Maria eine schmale Hintertreppe hinab, stieß mit dem ganzen Körper eine nur angelehnte Tür auf, – und Karl Maria stand im Wunderlande.

Maiblüte war es, der langgestreckte Obstgarten trug sein Hochzeitskleid; im jungen Gras lagen ganze Häufchen von weißen und rosenroten Blüten, die es in ihrer duftigen Freude allzu toll getrieben hatten und deshalb abgestürzt waren. Nun mußten sie sterben. Ein Summen von Bienen brummte auf und nieder, gewaltig im Baß. Und darüber läuteten die Sonntagsglocken die Meßzeit ein. Es war ein feines Zittern in der Luft, das Karl Marias Ohr sogleich auffing.

»Hörst du die Musik?« fragte er.

Doch Johann Sebastians unmusikalische Tochter erwiderte bedrückt: »Die Glocken läuten.«

»Nein, hier, dicht bei uns. Die Bienen und der Wind. Hörst du nicht?«

»Nein,« gestand die blonde Kundry sehr beschämt und zog den Knaben schnell fort zu ihrem Puppenhaus.

In einem alten, einstöckigen Gartenhäuschen war Gundls Puppenheim. Zwölf Puppen beiderlei Geschlechts saßen und lagen herum. Es gab da häßliche und schöne, armselige Fetzenkinder und vornehme Porzellanpuppen mit starren, hochmütigen Augen. Und nun verwunderte sich der Bub, wie Gundl: »Guten Morgen, liebe Kinderchen« beim Eintritt sagte, dann die Reihe abschritt, ein Gesicht küßte, eine andere Puppe beim Schopfe zog, weil sie sich wieder nicht gewaschen habe, und dann die Sonntagstoilette vornahm. Eine greuliche Fetzenpuppe, deren Gesicht eine gerunzelte Kastanie bildete, in die zwei schwarze Schuhknöpfe als Augen geklemmt waren, bekam ein prächtiges rotes Kleid, weil sie in der letzten Woche die bravste gewesen sei. Und Kundry erzählte, daß sie mit Mutters Hilfe dies Festkleid aus einem von Vaters rotseidenen Taschentüchern selbst zusammengenäht habe.

»Es kommt alles viel billiger, wenn man es daheim macht!«

Sie plapperte wichtig diesen Satz her, wie sie ihn wohl von den Großen gehört hatte, und schien sehr stolz darauf. Karl Maria dachte nach, dann fragte er hastig: »Kann man auch eine Geige daheim machen?«

»Ganz gewiß.«

»Weißt du nicht wie, Gundl?«

»Ach nein. Ich bin so dumm.«

Und einen Augenblick ging ein trauriges Lächeln über das helle Kindergesicht. Dann spielten sie mit der Puppenküche. Er sammelte dürres Holz, schleppte Wasser und brachte Veilchen und Blütenblätter vom Markt heim. Sie schalt, wenn er etwas schlecht machte, und lobte, wenn er brav war. Er machte aber meistens seine Sache schlecht und lässig, weil er immer noch grübelte, wie er sich selbst eine Geige verfertigen könnte. Der Joseph Italiener würde ihm dabei sicher helfen. Das war sein Trost.

Schließlich erklärte Kundry, sie müsse jetzt einige Puppen ins Bad tragen, nahm ein altes Taschentuch als Handtuch mit und gab Karl Maria eine Puppe in den Arm. Die andere hielt sie an ihr Herz gedrückt und sagte belehrend: »Anständige Kinder müssen baden. Sonst werden sie schmutzig und dürfen nicht in den Himmel. Mama gibt dir dann auch einen Kuß und kocht dir Veilchenkompott.« Karl Maria trabte geduldig hinterdrein und sah dem Puppenbad zu. Nun kam seine Puppe dran.

Aber plötzlich rutschte Gundl aus, das Porzellankind entglitt ihr und sank im Wasser des Teichleins unter. Gundl heulte: »Nun muß sie ertrinken!« Sie rang die Hände und tat verzweifelt. Karl Maria aber überschritt die Wiese, in der er abseits stehen mußte, weil die Kinder sich beim Baden vor dem Papa schämten, wie Gundl behauptete, und marschierte schnurstracks in das seichte Wasser, das ihm bis ans Knie reichte. Er bückte sich und holte das Puppenkind vom Grunde. Stolz überreichte er den Schatz der blonden Gundl, die das nasse Ding innig herzte und küßte. Mit einem Male fiel ihr ein, daß der arme Lebensretter zähneklappernd daneben stand und sich verzweifelt die Sonne auf den Bauch scheinen ließ, von dem das Wasser in kleinen Bächlein lief. Sie warf die Puppe ins Gras und fragte mitleidig: »Ist dir kalt?«

Er klapperte mit den Zähnen und schüttelte heldenmütig den Kopf.

Gundl warf einen suchenden Blick ringsum, doch sie fand nichts. Da riß sie ihr Schürzlein herab, kniete vor Karl Maria hin und rieb und trocknete emsig.

»Ach, Gundl,« seufzte der Bub und tat einen heftigen Nieser in die Sonne.

Zwei dunkle Schatten fielen über das lenzgrüne Gras, und vor den Kindern stand Johann Sebastian mit Frau Lisbeth.

»Was ist meinem Buben geschehen?« rief die Mutter und zog Dame Kundry am Flachshaar empor.

»Gar nichts,« sagte Karl Maria und lächelte glücklich.

»Er hat meine Puppe aus dem Teich geholt,« beichtete reumütig die zitternde Gundl.

»Steck' ihn ins Bett und gib ihm Fliedertee zu trinken!« riet Herr Williguth und sandte unheilvolle Blicke nach seiner Tochter. Und so geschah es. Den ganzen Tag lag Karl Maria im Bett des dicken Hornbläsers, bekam Tee und Glühwein und glühte wie ein Apfel im Bratrohr. Er hatte selige Träume, in denen Engel musizierten und der heilige Petrus dazu die Orgel spielte. Die schuldbewußte Gundl saß am Bett und hielt seine Hand, voll Angst, daß er sterben könnte. Als er im Halbschlaf wieder von einer Geige sprach, schlich sie fort und kramte aus einem Winkel alte Geigensaiten zusammen, die legte sie ihm auf das Deckbett. Und als er erwachte, faßte er diesen Schatz mit beiden Sünden und war fest entschlossen, sich eine Geige zu machen. Aber Onkel Johann Sebastian sagte er nichts davon; er hatte Angst vor diesem Riesen mit der Stimme, die so gewaltig rollte wie der Donner.

So gingen sie am Abend aus dem »Blauen Herrgott«, Karl Maria mit einem Schnupfen und einer Handvoll zerrissener Geigensaiten, Frau Lisbeth mit dem Gelde, das ihren Mann wieder ehrlich machen sollte.

 


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