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Eine Zeitlang wichen die beiden Missetäter einander aus. Dann aber wanderten sie gar einträchtig in das Birkenwäldchen, das in grünsilberner Einsamkeit fast an den »Blauen Herrgott« grenzte. Mittendurch lief ein Sträßlein schnurgerade nach einem kleinen, alten Barockschloß, das unbewohnt und nachdenklich in dem Baumwerk von uralten Kastanien und Ulmen steckte. Bei dem stocktauben Parkwächter der Adlerburg konnte man einen einfachen Imbiß bekommen, und für ein blankes Silberstücklein ließ er von den Wasserkünsten in den Parkgrotten spielen, was noch beweglich und nicht ganz verfallen war. Eine tanzende Säule gab's da und eine Wasserharmonika, die ein dünnes, zitterndes Madrigal glucken konnte, Schneewittchen saß mit den Zwergen bei Tisch und nickte gar freundlich, eine Hirschhatz mit Hunden und Pikeuren ritt, in drollig abgehackter Beweglichkeit der singerlangen Figürchen, einen steilen Quarzblock hinan.

Karl Maria und Kundry waren wieder heiter und glücklich, ja, sie fühlten sich ohne jedes Wort durch eine neue, stille Vertraulichkeit gebunden. Wie Kinder jagten sie einander zwischen den weißatlassenen Stämmen nach, haschten und flohen sich und jubelten sich neckend den uralten Kindersingsang zu:

»Kuckuck!
Wo bist?
Im Wald!
Was friß'st?
Einen Frosch!
Gib mir auch!
Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein!«

Atemlos warfen sie sich ins Gras und besannen sich plötzlich der staubgrauen Schulernsthaftigkeit, die ihre Freiheit einschnürte. Gundl ließ sich jetzt von Karl Maria alle Hausaufgaben mit Haut und Haar besorgen. Er selbst war gerade kein hervorragender Schüler, aber er lief leidlich gut mit den andern und hielt jetzt bei Julius Cäsar und der Rheinbrücke. Für Kundry war er geradezu ein Orakel. Diesmal nun hatte Kundrys schöner, blondumlockter Literaturprofessor seinen Mägdlein ein holdromantisches Aufsatzthema gegeben, das kurz und bündig »Ein Maitag« hieß und den gefühlvollen Seelchen eine Geburtstagstorte sein mußte. Auch die Kundry fühlte allerhand Wonnigliches und Schönes, doch ausdrücken konnte sie ihr mailiches Empfinden leider gar nicht.

Goldig glänzten die zartgrünen Schleier der Birken, wenn ein Sonnenstrahl wie eine Lanze in den dämmerigen Waldboden fuhr. Karl Maria blies nachdenklich dem verblühenden Löwenzahn ein Lichtchen ums andere aus und guckte durch das feine Birkenlaub in den lachenden blauen Himmel. Aus diesen frühlingshellen Träumen heraus begann er der blonden Gundl den schweren Aufsatz zu diktieren. Mit hochroten Wangen und sorglich hochgezogenen Knien hockte das Mädel bei der Arbeit. Die hastig beschriebenen Blätter fielen achtlos ins Gras. Bald war alles getan. Da sagt sie betrübt: »Wie du das nur so schön und klar sagen kannst!«

Und nach einer Weile, als sie ihre Arbeit zusammenlegte, seufzte sie wieder: »Ich bin doch eine rechte Gans.«

Karl Maria hörte gar nicht hin; in angespanntem Lauschen saß er plötzlich, die Hände aufgestützt, den Kopf vorgestreckt, die Lippen halb geöffnet. Kundry schüttelte verwundert den Kopf, was hatte er nun wieder?

Aber jetzt horchte auch sie.

Ein Lied.

Noch in weiter Ferne, verschwebend und zart, und dann kam es allmählich näher, süß und stark, in hellen Trillern und perlenden Tönen. Eine Stimme war's wie ein Frühlingstag.

Karl Maria ward blaß und schloß dann feige die Augen. Mit einem Ruck sprang er auf und wollte fliehen. Doch er blieb wie angewurzelt. Langsam breitete er die Arme aus, als käme eine alte, nie ganz zerronnene Sehnsucht lächelnd wieder zu ihm.

Kampfbereit stand Gundl, ihn zu schützen.

Wie auf summenden Bienenflügeln schwebte es heran:

»Der Schäfer hebt zu singen
Von seiner Phyllis an.
Die Welt geht in ein Springen,
Es freut sich, was nur kann.«– – –

»Miriam! Miriam!« jauchzte jetzt Karl Maria. Ein gar seltsames Terzett kam von der Adlerburg daher und zog aus der hellen Maisonne in den behaglichen Birkenschatten. Voran ein plumper Gesell mit einem sonderbaren, rotbraunen Anzug, einen schwarzen Schlapphut in der Sand. Feist und gutmütig das glatte, glänzende Gesicht, das Haar rötlich, wie die irdische Hülle.

Hinterdrein ein hübsches, hochaufgeschossenes Ding von fünfzehn oder sechzehn Jahren, ein reifer, scharfgeschnittener Frauenkopf auf einem noch unfertigen Mädchenleib. Schwarze Augen mit dichten Brauen über einer kleinen Stupsnase, kräftig ausladende Backenknochen und ein voller roter Mund mit sehr kurzer, kecker Oberlippe. In dem ganzen schlanken Persönchen hüpfte ein leiser Rhythmus, schaukelnd wie das Lied, das Miriam Italiener sang. Dann kam noch ein häßliches, kurzes, dickes Ding, einige Jahre älter als die Miriam, der »dicke Hans«, der geduldig Miriams schönen blauen Schal und den weißen Sonnenschirm nachtrug.

Noch immer stand Karl Maria mit ausgebreiteten Armen, ein Flackern in den Augen. Gundl faltete ängstlich die Hände, jetzt griff man wieder in ihr Recht. Mitten in einem Triller riß das Liedlein ab, und eine jähe Röte schlug der Miriam ins Gesicht. Spöttisch funkelten ihre Augen über die hübsche Kunigunde Williguth hin.

»Ach, du, Karl Maria? Warum hast du mir zwei ganze Jahre nicht mehr geschrieben?«

Er zuckte die Achseln und schwieg trotzig.

Joseph Italiener schob seine grundgute Freude zwischen dies Wiedersehen: »Was macht deine Geige?«

»Die habe ich zerschlagen.«

»Warum?« fauchte die Miriam wie eine böse Katze.

Karl Maria sagte halblaut: »Ich muß im ›Blauen Herrgott‹ bleiben und warten.«

Ein schmerzliches Lächeln ging um seinen Mund. Alle hübschen Träume von einst schwebten wieder um die Miriam, die jetzt im hellen Zorn losbrach: »Du hast mir einmal gesagt, du mußt geigen, und wenn du darüber sterben solltest.«

Nach einer Pause sagte er schwermütig: »Du weißt doch, wie alles kam.«

Miriam kreuzte die Arme. »Ich will dir helfen, wenn es sonst niemand tut.«

Und wieder blickte sie spöttisch auf Kunigunde Williguth.

»Sie hat ihn lieb, die Miriam,« dachte erschrocken die Kundry und wich in den grünen Schatten zurück.

Die dicke Johanna Italiener setzte sich behaglich ins Gras und begann langsam ein mitgebrachtes Schmalzbrot zu verzehren. »Reg' dich nicht auf, Miriam! Ich begreif' dich nicht. Reg' ich mich auf?«

Miriam stampfte mit dem Fuß: »Warum laßt ihr ihn nicht seiner Wege gehen?«

»Wir haben ihn alle so lieb –,« stammelte die arme Kundry.

»Laß seine Seele in Frieden,« sprach ernst der rothaarige Joseph und packte die Schwester mit festem Griff am Handgelenk. Doch die Miriam ließ sich nicht beirren. »Wenn du geigen mußt, lauf ihnen doch einfach davon. Ich liefe sofort weg, wenn Vater und Mutter mich nicht singen ließen. Das ist doch einfach dein Recht, Karl Maria!«

Da nickte er. Alle bescheidene Behaglichkeit zerrann in nichts, die alte Sehnsucht lockte wieder. Die Miriam stand vor ihm, so sicher, so klug wie nie zuvor. Und er war ein verträumter Kerl, der zu nichts taugte.

Seufzend wandte er sich zur Kundry: »Das ist ein liebes Mädel, die Kunigunde Williguth. Und das ist die Miriam Italiener, ein wildes böses Mädel. Jetzt kennt ihr euch.«

Die beiden kleinen Frauen maßen sich einen Augenblick, als Feindinnen, die um Karl Maria kämpften.

Dann warf Miriam den Kopf zurück. »Komm, Karl Maria!«

Sie schritt schnell mit ihm voran, in den sinkenden Abend. Die alten Bäume rauschten leise, das Gras glänzte feucht. Fledermäuse schwirrten auf und nieder. Der Himmel zwischen den Ulmen und Kastanien bekam einen seltsamen Opalglanz.

Leise fragte Miriam: »Hast du es wirklich gut bei denen im »Blauen Herrgott«?«

»Ja.«

»Lüge nicht, Karl Maria!«

Er blieb stumm.

Der Abschied war da. Zaghaft stand Kunigunde Williguth im Dunkel.

Miriam nahm den Strohhut ab und strich ihr widerwilliges Haar zurecht.

»Ich will dir also wieder schreiben.«

Wie eine Königin, die Gnaden spendet.

Als sie allein waren, fragte Karl Maria: »Sage, Gundl, hat dir die Miriam gefallen?«

»Sie ist so ganz anders.«

Und hatte ein feines Lächeln um den weichen Mund. Aber Karl Maria merkte nichts.

Er lebte wieder in der alten, halb vergessenen Herrlichkeit.

 


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