Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Martha Tredenius hatte keine Lust, den armen Jacques Italiener zu erhören. Sie wollte höher hinaus. Seine kleinen Geschenke nahm sie gnädig an, aber ihr eitler Sinn lief mit Siebenmeilenstiefeln der Liebe des Warenhausjünglings davon. Ein kluges Mädel wie die Martha hatte allerhand Eisen im Feuer, und jetzt sollte Karl Maria helfen, das beste Eisen rasch in der Glut rot werden zu lassen. Das Wunderkind kam leicht in Kreise, die der armen Postbeamtin hartnäckig verschlossen blieben. Sie kannte einen eleganten Lebejüngling, der zwar gar nichts gelernt hatte und darum als kleiner Rechnungsbeamter in einem Ministerium saß, dafür aber eines wirklichen Ministers Sohn war. Nach dem angelte die geschickte Martha, und Karl Marias Geigenspiel sollte der Köder sein. Feierlich wie zwei Verschworene hockten die junge Arglist und der reine Tor nun Abend für Abend beisammen und tauschten flüsternd ihre Geheimnisse. Die dumme Eitelkeit des Knaben bettelte um das Geschenk, das die Schwester längst bereithielt. Endlich sagte sie großartig: »Morgen sollst du ihn kennen lernen.«

»Darf ich auch die Geige mitnehmen?«

»Nein. Das kommt erst später.«

Karl Maria zog ein schiefes Mäulchen, ging aber doch zur Mutter und log, daß er an einem Schulausflug teilnehmen wolle. So bekam er den nächsten Nachmittag frei. Martha aber ließ den langweiligen Postdienst und meldete sich wieder einmal krank. So zogen Bruder und Schwester hinaus in die Auen an den großen Strom. Es war ein wunderschöner Septembertag, der hinter prunkenden Farben und goldenem Sonnenschein sein heimliches Sterben verbarg.

Beim Bootshaus an einem toten Arm trafen sie die lustige Gesellschaft, einen vornehmen alten Herrn und zwei junge Stutzer mit grellen Krawatten und kümmerlichen Schnurrbärten, dann zwei sehr bunt und prächtig gekleidete Damen, die Fräulein Emilie und Fräulein Coralie genannt wurden, und schließlich ein dunkelhaariges Mädchen, etwa zwei Jahre älter als Karl Maria.

Sie hieß Trix.

Dem Knaben gefiel der hübsche Name und das kecke Gesicht der Kleinen, die ein gelbes Spitzenkleidchen und einen schwarzen Bindehut mit gelben Schleifen trug. Die großen Damen hatten die Lippen gerade so rot bemalt wie Martha Tredenius, und Karl Maria hielt das für besonders fein. Der alte Herr aber war sicher noch feiner; er war ein richtiger Graf und hieß Rothenwolff.

Mit lauter Kommandostimme trieb er die Paare zu den Booten: »Du, Kleiner, und du, Trix, ihr kommt zu mir.«

Da kreuzte die hübsche Trix die Arme und sagte bestimmt: »Wir beide wollen allein fahren.«

Fräulein Coralie, die Trix »Tante« nannte, packte den kleinen Eigensinn am Arm und zürnte: »Gleich gehst mir her!«

»Schrei nur nicht so mit dem Mäderl, Coralüh!« wehklagte Fräulein Emilie ganz außer Atem, »siehst du nicht, wie sie dem armen seligen Aribert gleichschaut?«

Karl Maria fragte frischweg: »Wer ist der selige Aribert?«

Graf Rothenwolff hatte ein ganz besonderes Lächeln: »Mein Vetter.«

Trix aber sagte mit ihrer gleichgültigen Kinderstimme: »Das war mein Papa. Der ist lange tot.«

Fräulein Coralie aber ließ der selige Aribert sehr kühl. Dumme alte Geschichten!

»Wirst du gleich folgen, Trix!« zankte sie unverdrossen.

»Nein!« schrie die Trix, lief zu einem Boot, hatte es blitzschnell los, warf die Ruder aus und rief: »Karl Maria, zu mir!«

Keck sprang der Bub in das Schifflein, ihm nach aber leider ein aller Bootsmann, den der Graf rasch herangewinkt hatte. Doch der alte Schiffer ließ die Kinder ganz ungestört, er blies seinen Tabakrauch geruhsam von sich und bewegte lässig und geschickt die Ruder. So schossen die vier Kähne den toten Flußarm hinauf. Silbergrün schimmerte das Wasser, tiefblau spannte sich der Himmel, daß man weit zum Herrgott hineinsehen konnte, und an den Ufern rauschte und brauste der Herbst. Im Westen zog goldener Feuerrauch um die buntgescheckten Waldberge.

»Der König vom goldenen Berg, nicht?« fragte Karl Maria leise und ließ die rechte Hand im Wasser nachschleifen, daß grünsilberne Perlen auf und niederhüpften

»Magst du auch gern Märchen?« lächelte die Trix. Nach einer Weile seufzte sie leicht: »Du, ich hab' ein Puppentheater. Da führe ich so unheimliche Märchen auf mit lauter Hexen, Menschenfressern, Räubern und Zwergen. Der Nisi spielt immer mit. Der kann prachtvoll den Menschenfresser machen und die Ellermutter, weil er schon so eine tiefe Stimme hat. Aber gescheit ist er trotzdem nicht, – immer verpatzt er das Stichwort!«

»Wer ist der Nisi?«

In dem Buben regte sich ganz leise die Eifersucht.

»Der Sohn vom Onkel Achaz.«

Mißgünstig schwieg Karl Maria.

»Schade, daß du nicht mit uns Theater spielen kannst! Wir haben ohnehin niemand für die Prinzen. Aber Onkel Achaz und die Miß sind so streng, – nie dürfen Kinder zu mir kommen. Gleich heißt es: ›Das ist kein Verkehr für dich. Spiele du nur mit dem Nisi!‹«

Sie seufzte.

Karl Maria fand dieses Abschließen protzig. Mädels mußten immer Faxen machen.

»Na ja, deine Tanten sind auch riesig fein,« sagte er mit etwas widerwilliger Bewunderung. »Bist du eigentlich eine Gräfin?«

»Nein. Ich bin die Trix. Der Onkel Achaz erzieht mich. Er ist mein Vormund, seit mein Papa gestorben ist. Früher war ich bei den Tanten, weil ich keine Mama habe. Jetzt bin ich immer bei ihm.«

Bissig fragte Karl Maria: »Warum wohnst du nicht bei deinen Tanten und gehst in die Schule wie ein ordentliches Mädel?«

»Onkel Achaz erlaubt's nicht. Nicht einmal besuchen darf ich die Tanten. Weißt du, sie sind doch bloß Modistinnen. Wenn sie mich gern sehen wollen, schreiben sie an den Onkel, und dann machen wir alle zusammen eine Landpartie. Die Miß kommt nie mit. Sie stöhnt so lange ›Poor little girl‹, bis ich ganz wütend bin.«

Karl Maria schüttelte verwundert den Kopf und plagte sich mächtig mit seinem Ruder, das viel zu schwer für die kleinen Arme war.

Im Abenddämmer kehrten die Boote zurück. Der Himmel warf sein Blau in den Strom und die Sonne ihr Gold, die kecken kleinen Wellen rissen es in Fetzen und spielten Fangball damit.

In einem Strandwirtshause machte man Rast, ließ Schleien backen und Wein auftragen.

Ein Geiger und ein Harmonikaspieler hockten in einer Ecke und blickten in triefäugiger Begehrlichkeit nach den Weinflaschen.

Die Damen stießen mit den Herren an, und alles war fröhlich und guter Dinge. Nur Trix blieb einsilbig. Ganz hochmütig sah sie drein.

Der junge Herr mit dem blonden Haar und den wasserblauen Augen küßte Martha; sie ward rot und gab ihm einen Klaps. Da lachte er und biß sie in den Finger. Dann legte er ein Geldstück vor die zwei alten Spielleute: »Einen Walzer!«

»Erst Wein!« gröhlte die Ziehharmonika.

Dann tanzten sie. Nur der alte Graf saß wortkarg und zeichnete Männchen auf das schmutzige weiße Tischtuch. Karl Maria blickte nachdenklich auf die Geige, Trix fing Fliegen am Fenster, warf sie dann kichernd den angetrunkenen Spielleuten in den Wein und wollte vor Lachen ersticken, wenn die den Wein wütend ausspuckten und um die Wette fluchten. Als sie es wieder und wieder tat, schlug der Geiger mit dem Fiedelbogen nach ihr. Sie aber fing Hieb und Bogen ab, lief auf Karl Maria zu, gab ihm den Bogen, nahm dem verdutzten Alten die Geige ab und schrie übermütig: »Du willst ja ein Geiger sein. Jetzt spiele!«

Die Geige war groß und Karl Maria noch ein kleiner Junge. Aber in seinen Augen blitzte es auf, die Geige flog in den Arm und darüber der Bogen, schier plump und schwer in der Kinderhand.

Die Trix saß mäuschenstill und hatte erstaunte Märchenaugen, als müßte jetzt etwas Wunderbares geschehen. Und es geschah, daß Karl Maria die Eingangstakte von Joseph Italieners Wassersonate geigte, den Blick starr in der Ferne, ein seliges Lächeln in dem jetzt demütigen Kindergesicht, als ginge es mit purpurnen Segeln in irgendein Zauberreich. Die alten Säufer rissen die Glotzaugen auf und atmeten schwer, als blickten sie plötzlich in eine allzu grelle Sonne, die in ihre armen Seelen zu einem Feiertagsbesuch kam.

»Das ist ja gar kein Walzer,« sagte enttäuscht Max Kirchweger, der lustige Ministersohn, und ließ Martha Tredenius los.

Martha strich über die Stirn, horchte, und eine jähe Freude über Karl Marias Kunst war in den hübschen Augen, auch ein wenig Neid.

Die eleganten Damen, die nur Operetten kannten, saßen gelangweilt und gähnten verstohlen, der zweite junge Herr war eingeschlafen. Trix schlich zu ihm und marterte seinen Schlaf mit ihren Katzenkrallen.

Am seltsamsten gebürdete sich der alte Graf. Er hockte auf dem niedern Fensterbrett, hatte die Fäuste abgestemmt, wie zum Sprunge, in den klugen grauen Herrenaugen zuckten helle Flämmchen, er stieß den Atem durch die Nase, daß der weißbuschige Schnurrbart auf und nieder wehte. »Der liebe Junge!« murmelte er und horchte in heiliger Andacht.

Die Geige schwirrte leiser und leiser, wie sich entfernender Gesang von blumensuchenden Kindern, die der Regen heimscheucht.

Mit heißen Wangen riß Karl Maria den Bogen ab.

Alles blieb ganz still.

Martha Tredenius raffte sich auf, doch der herausfordernde Ton fiel ihr nicht leicht: »Kann mein Bruder etwas oder nicht?«

Drohend blitzte sie den hübschen Max an, der verlegen murmelte: »Das ist ja kolossal.«

Martha hängte sich an ihn und bettelte wie ein Kind: »Du sprichst mit deinen Eltern, Max, daß er bei euch spielt. Du mußt!«

Er zögerte unsicher.

Da sprang der alte Graf von seinem Sitz.

» Sie müssen bitten, junger Herr. Ihre Frau Mama kann sich glücklich schätzen, wenn der Kleine da in ihrem Hause spielt. Glücklich schätzen, haben Sie verstanden?«

»Allerdings, – ich, – wenn Mama nichts dagegen hat –,« stotterte der unglückliche Max, der nur Walzer liebte und mit Todesangst an Mamas strenges Gesicht dachte. Er kannte Marthas Keckheit und fürchtete ein Ende mit Schrecken. Er seufzte kläglich. Zornig ließ Martha ihn stehen. Die Trix trat zu Karl Maria: »Ich danke dir schön.«

Er gab ihr die Hand, die sie streichelte, als wäre es ihre Puppe. Dann rief sie mit ihrer hellen, kalten Stimme: »Jetzt will ich heimgehen, Onkel Achaz.«

Sie warf die Tür auf, daß der Abendwind frostig ins Zimmer fuhr. So gingen sie heim, Trix dicht an Karl Maria geschmiegt, wie gute Geschwister. Er ward ganz zutraulich, malte ihr seine armselige Häuslichkeit aus, die lichte Gestalt seiner Mutter und die dunkle des Vaters, der ihm sein Geigenspiel nicht gönnte, und kam auch auf das Judengärtlein, auf die Miriam und den Joseph Italiener.

Über ihnen stand der Sternenhimmel mit tausend blinzelnden Augen.

Die Sehnsucht gab ihm die Frage: »Wo wohnst du?«

Sie erschrak, wie wenn die Wirklichkeit in ein Märchen tritt, dann aber sagte sie ruhig: »Am Wasserturm.«

Karl Maria wartete in seiner Knabenherrlichkeit, aber die Trix senkte den Kopf und hatte trotzige Falten zwischen den Brauen.

»Wir werden uns kaum wiedersehen, Karl Maria.«

»Warum nicht?«

»Du paßt dort nicht hin.«

Ihre Hand wies in die Ferne, wo das rotgelbe Lichtmeer der Stadt sich breitete und der Himmel in Brand stand.

»Gar nie mehr?«

Doch er blieb ohne Antwort.

 


 << zurück weiter >>