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Da kam eines Tages Franz Tredenius in den »Blauen Herrgott.«

Als er an jenem Mittag im März Frau und Kind ausgerückt und als Erklärung nur einen knappen Brief Lisbeths fand, wollte er die Entflohenen erst mit Gewalt zurückholen. Aber die kluge Martha riet ab: »Das hilft dir nichts. Die Mutter kannst du zurückbekommen, den Buben aber nicht. Eher läuft sie zu Gericht und führt den Gideon Italiener als Zeugen.«

Da warf sich sein Zorn zunächst auf die Familie Italiener.

Doch als er in dem Trödelladen laut schreiend einen Skandal provozierte, schickte Frau Charlotte einfach um einen Schutzmann, und der Herr Postoffizial mußte einen wenig ehrenvollen Rückzug antreten. Zähneknirschend schrieb er wehmutvolle Briefe in den »Blauen Herrgott«, beteuerte seine Reue und bat schlau und höflich um das, was er doch im Grunde als sein Recht fordern durfte.

Johann Sebastian aber sandte alle die schönen Briefe uneröffnet zurück. Jetzt gab Franz Tredenius seine Absicht zunächst auf. Zum erstenmal in seinem Leben schämte er sich und verkroch sich wochenlang. Dann siegte der Leichtsinn, und er genoß in vollen Zügen die unvermutete Freiheit.

Er war ja jetzt wieder, wie er gern mit traurigem Lächeln bemerkte, ein verlassener Junggeselle. Die Martha lief den gleichen Weg, wenn es für sie auch schwerer war, sich ohne das Wunderkind in die gute Gesellschaft einzuschleichen. Aber schließlich konnte man die Herren, auf die es ja hauptsächlich ankam, ganz gut auch an anderen Orten treffen. Mitten in diesem Treiben merkten Vater und Tochter bald, wie das angesammelte Geld hinschmolz und Ebbe in der Kasse ward. Da hielten sie neuerdings Kriegsrat und schlichen wie Spione um den »Blauen Herrgott«.

»Karl Maria wird die ewige Schulmeisterei bald satt haben. Wirst sehen, Vater, er will gar nicht dort sein, unser Bubi ist's besser gewohnt.« So predigte Martha eines Abends in der verstaubten, unglaublich verlotterten Eßstube am ungedeckten Tisch und aß mit den Fingern höchst zweifelhafte Wurstschnitten aus einem fettigen Zeitungspapier. Sie lachte über den kleinen, rotgeschminkten Mund. Franz Tredenius spuckte ärgerlich auf den Fußboden. Dann warf er sich in Pose: »Wenn mein Sohn mit mir gehen will, kann seine Mutter nichts dagegen tun.« Martha nickte, warf die Wurstschalen und das zerknüllte Papier lässig unter den Tisch und suchte zwischen ungewaschenen Kaffeetassen und Brotresten vom Frühstück nach dem Hausschlüssel. Sorgsam vermied sie es, mit dem hübschen hellen Kleid an irgendein Möbelstück zu streifen. Dann wanderte sie mit dem Vater, der galant ihre schmucke Mantille trug, zur Militärmusik in einen großen Biergarten der Vorstadt. Kostspieligere Vergnügungen waren ihnen beiden gerade nicht zugänglich.

 


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