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Noch einmal brannte die Flamme aus der Asche, als im Herbst die »Entführung aus dem Serail« den Sieg der Miriam Italiener entschied. Gerade in Andreas Katzenkopfs geliebtem Mozart sang die Miriam.

Irgendwo am Himmel zogen die wilden Gänse. Tredenius aber geigte. Die goldenen Lindenblätter sanken zu Boden, der Park zu Weimar flüsterte mit feinen Stimmen.

Und Miriam sang die Konstanze. Es war ein Bravourstück, ein Hieb ins Volle. Mit Tod und Teufel wurde sie fertig, mit Triller und Roulade.

Karl Marias Violine hämmerte klopfende Oktaven zur Arie des Belmonte und begleitete mit Sordinen das Seufzen des unglücklichen Liebhabers. Er selbst aber trug keine Fesseln mehr. Das Leben hatte viele Wege. Wie ein schöner Schein zog es vorüber. Nichts ging zugrunde, alles wirkte ineinander, wie das Schicksal wunderliche Bausteine zusammensetzt, eckiges Gestein und glatte Quadern. Und neben dem lauten Ruhm mit tausend Händen, wie er jetzt die Miriam umrauschte, gab es einen stillen, der nicht schlechter war, wenn auch die Menschen schwerer zu ihm fanden.

So ertrug Karl Maria das Glück der Miriam und schritt unverzagt durch die Gaffer, die sich vor ihrer Garderobe drängten. Er klopfte kurz und trat ein. Da stand Graf Achaz und sagte allerlei Höflichkeiten, und die Kapellmeister schwänzelten schon um den neuen Stern. Hochmütig ließ Miriam sich alle Schmeichelei gefallen, wie ein junger Bär, der Honig leckt. Die Oberlippe hatte sie hochgezogen, weil ihr Mund vor Verwunderung halb geöffnet war.

Gideon Italiener strich den schon ganz grauen Bart und legte dann die Hand vor die Brust: »Ich bin ihr Vater.«

Graf Achaz sträubte die Brauen und lächelte verbindlich.

Frau Charlotte knixte tadellos, daß überall ein Krachen und Knistern geschah.

Jacques Italiener klemmte das Monokel ein und musterte Karl Maria, der mit stiller Sicherheit auf die Miriam zuging. Die dicke Johanna zog sich vorsichtig in den Hintergrund.

»Alles Gute, Miriam!«

»Bist du auch da?«

Sie lächelte vergnügt wie ein verwöhntes Kind, das heute Geburtstag hatte.

»Nun habe ich's erreicht.«

So sprach der junge Stolz. Sie breitete die Arme aus, wie um die ganze Welt zu umarmen, und atmete tief.

»Das Goldkind erregt sich zu sehr,« murmelte Frau Charlotte und machte sich heran, wie eine Henne, die einen Adler um ihre Küchlein kreisen sieht.

Zornig wies die Tochter ihre Hilfe zurück: »Laß mich, Mutter! Wir beide, nicht wahr, Karl Maria?«

Das war der alte Ton aus der Kinderzeit. Heute aber sagte Karl Maria nicht kleinmütig, wie einst nach dem Liedlein vom roten Sarafan: »Ich bin ein armer Teufel gegen dich.«

Hell und frei war sein Blick.

Leise kam die Miriam näher: »Nicht wahr, es war doch schön?«

Er allein wußte, was sie meinte.

Und sie dachte: Er ist ganz anders geworden, segelt nimmer in einer goldenen Nußschale und blickt nimmer zum Himmel.

Da polterten zwei Paare herein, zwei verheiratete Schwestern der Miriam mit ihren Männern, geputzt und geschmückt wie zu einer Hochzeit. Neugierig guckten sie überall herum und zogen schnuppernd die Luft der Theatergarderobe ein, in der Sehnsucht kleiner Kaufmannsfrauen und zugleich mit schicklicher Entrüstung.

Ihre Gatten befingerten sachverständig die Vorhänge und begutachteten den Toilettentisch. Man konnte überall etwas lernen.

»Geh jetzt!« sagte Miriam zu Karl Maria. An der Tür murmelte sie noch voll Eifer: »Denke dir nur, ich habe die Linde gekauft, unsere alte liebe Linde, und lasse mir daraus ein altmodisches Bett machen. Ist das nicht hübsch?«

Mit dieser romantischen Gebärde tat sie ihre Jugend ab.

Sie strich das wellige Haar zurück: »Ach, Karl Maria, ich bin ein armes Tierlein, das alle plagen.«

Gideon Italiener hob seine Stimme: »Freude ist über uns gekommen. Der Herrgott sei gepriesen und gelobt!«

Wie ein Fanatiker seines Glaubens stand er unter den Seinen. Helle Tränen tropften in seinen Bart.

»Komm zu mir, mein Kind!«

Er breitete die Arme um die Tochter und schluchzte in seiner Seligkeit.

Da flüsterte Miriam: »Du mußt bei mir bleiben, Vater, und mich stets verbrummen, wenn ich etwas Schlechtes tue.«

»Großer Gott, wie sollst du etwas Schlechtes tun? Dir ist alles erlaubt.«

Alle Schwere und Bangigkeit fiel von der Miriam. Man bewunderte sie, weil sie Glück hatte. Spöttisch zog sie die Lippen hoch, aber keiner merkte es. Karl Maria war ja schon fort.

Trotzig befahl sie dann der Johanna: »Zieh mir die Türkenschuhe aus!«

Johanna tat ihre Pflicht. Ihr Sparkassenbuch sollte jetzt wachsen wie ihre runde Leiblichkeit.

»Sind meine Handschuhe da, Mutter?«

Frau Charlotte keuchte heran: »Ich will sie dir anziehen, Kind.«

»Jemand soll sehen, ob der Wagen da ist.«

Ihr Blick traf die beiden Schwäger, die sie nicht leiden konnte, weil sie plump und gewöhnlich im Alltag für Weib und Kind sich rackerten.

»Ich weiß nicht, wie man da hinauskommt,« antwortete der eine, und den andern hielt seine Frau fest, damit er nicht Knechtesdienst täte.

»Jacques!«

Herrisch klang es, und Jacques Italiener, der gerissene Geschäftsmann und eitle Warenhausbesitzer, wagte keinen Widerspruch.

Zärtlich schob Frau Charlotte die Finger der Miriam in das weiße Leder: »Der Intendant muß dir jetzt viel mehr zahlen.«

Eifrig nickten die verheirateten Schwestern, die an Geschenke für ihre Kinder dachten.

Miriam aber fauchte: »Herrgott, ich habe jetzt doch ganz andere Gedanken.«

Da schüttelten sie die Köpfe und stießen sich heimlich an, kluge Rechner, die mit einer leichtsinnigen Künstlerin gerne Nachsicht übten.

Nur Vater Gideon begriff sein Kind. Miriam lebte in einem Wunder. Der Himmel war vor ihr offen und ihre Augen noch nicht an das viele Licht gewöhnt.

Er blickte sein Kind an wie ein Demütiger seinen Gott.

Miriam nickte ihm zu und fragte ganz leise: »Hast du Karl Maria gesehen?«

Gideon beeilte sich zu frohlocken: »Der hat es zu nichts gebracht.«

»Du irrst.«

»Sie hat ein Herz, ein gutes, mildes Herz, mein Goldkind,« lobte der alte Mann und lächelte glücklich, weil ihm das Herz mehr wog als Gold. Ergeben und schüchtern stand er hinter seiner Tochter.

»Den Mantel!« herrschte Miriam und sprang auf. Von allen Seiten halfen die Schwestern. Sie dankte nicht einmal. Die lebten doch alle von ihr, bettelten und jammerten alle Tage.

Schnell forderte sie Papier und Feder. Wieder flog alles. Sie lächelte trotzig. Köpfe guckten über ihre Schultern, als sie schrieb. Da hielt sie die Hand darüber und kritzelte ein Billett an Hans Geßner.

»Bitte, machen Sie den Karl Maria Tredenius endlich berühmt! Ich habe ihn schon als kleinen Jungen gekannt. Und ich will es so haben.«

Noch ein paar höfliche Worte. Dann schloß sie den Umschlag und warf ihn zum lebhaften Verdruß der ganzen Familie ihrer Garderobiere zu.

»So, jetzt bin ich fertig.«

Sie nahm des Vaters Arm und rauschte voran.

»Väterchen, ich bin so glücklich.«

Gideon aber dachte an den Abend, als die kleine Miriam ihren ersten Erfolg im Ballett »Blaubart« hatte und er voll Angst sie erwartete. Dankbar gegen Gott und alle Welt führte er sein Kind hinaus.

Als Miriam zum erstenmal ihre hübsche kleine Villa betrat, klatschte sie in die Hände, lachte und weinte und hatte gleich wieder gelassenen Spott für alle Pracht. Graf Dionys hielt sich taktvoll fern. Die Familie Italiener aber nahm wohlgemut von dem reichen Heim Besitz. Alles wurde beguckt und befingert, gelobt und auch getadelt. Jacques schritt voll Wichtigkeit von Zimmer zu Zimmer. Sein sicherer Geschmack hatte alles angeordnet, da der kluge Kopf kein Geschäft sich entgehen ließ und Graf Dionys ihm alles anvertraut hatte. Jacques mußte ja alle Liebhabereien seiner Schwester am besten kennen. Frau Charlotte saß in der Küche und begann die Herrschaft über die Dienstboten. An den Fingern zählte sie die Lieblingsspeisen des Fräuleins Lippa Lippi her.

Nur Vater Gideon war verzagt. Fischbestecke haßte er, und dann war dies alles ja eigentlich schlimme Sünde. Plötzlich hob er den unzufrieden gesenkten Kopf.

Ein großer, dicker Mann polterte ins Zimmer, im Frack, mit bunten exotischen Orden. Das Haar war kunstvoll gefärbt. An den Fingern blitzten viele Ringe.

»Wo ist die Lippa Lippi?« schrie er und focht mit den Armen in der Luft.

»Tag, Mr. Lewis!« sagte die Miriam und ließ sich von ihm küssen.

Kreischen und Zanken kam aus dem Nebenzimmer. Die verheirateten Schwestern begannen die Wäsche aus den Kästen zu nehmen und jedes Hemd zu bewundern. Miriam war in Gebelaune. Sie warf ihnen seidene Strümpfe und bunte Bänder hin: »Das schenke ich euch.«

Voll Freude kramten die kleinen Kaufmannsfrauen alles zusammen.

Unterdessen hatte der Impresario einen Gastspielvertrag für Paris hervorgeholt und hielt ihn lockend der Miriam hin: »Da freust du dich, was, mein liebes Mädel?«

Vater Gideon setzte die Brille auf und las bedächtig. Heute wollte er sein Schlemihltum Lügen strafen. Klug wie eine Schlange wollte er sein.

»Das Doppelte, mein Herr,« entschied er gemessen.

Der Impresario seufzte: »Sie machen mich zum Bettler.«

»Das Doppelte«, wiederholte starrsinnig das Oberhaupt der Familie Italiener.

»Sie ist noch zu jung,« widersprach S. Lewis und trocknete die nasse Stirn. Diese Wunderkinder von heute waren gar nicht mehr bequem.

»Na, Fräulein Lippa Lippi,« rief er endlich, »helfen Sie mir doch!«

Miriam streichelte gerade eine Bronzefigur: »Wie der Vater will.«

Jetzt fiel der Impresario in den Jargon zurück, aber Gideon Italiener war ihm auch darin gewachsen, selbst erstaunt über seine Geschicklichkeit, die doch nur aus der Liebe zu seinem Kinde kam.

Als Frau Charlotte den Tisch deckte, was sie sich nicht nehmen ließ, und heftig gestikulierend den grinsenden Dienstboten Weisungen gab, und die Schwestern neugierig das Besteck betasteten, fehlte die Miriam.

»Wo ist mein Goldkind?« schrie Mutter Charlotte.

Jacques sah flüchtig auf. Er überlegte gerade, daß er seine Rechnungen für den Grafen Dionys viel zu niedrig angesetzt habe, und zankte deshalb seine blasse, ängstliche Frau, die ganz unbeachtet eingetreten war und wie stets in rückhaltloser Bewunderung zu ihrem Manne aufblickte, ob ihres geschmacklosen Aufzuges grimmig aus. Das junge Weib neigte demütig den Kopf und zwang sich ein Lächeln ab.

Vater Gideon und der Impresario machten sich auf die Suche nach der Miriam.

Sie stand im Wintergarten unter einer Palme und trällerte das geliebte Storchenlied:

»Storch, Storch, Langbein,
Wann fliegst du ins Land herein?«

Lewis hielt ihr den Kontrakt vor die Augen: »Weiß Gott, Blut schwitzen hab' ich müssen.«

»Ach ja,« sagte die Miriam.

 


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